Das Leben nach dem Ku-Klux-KlanDer frühere Chef des deutschen KKK war ganz anders, als ich erwartet hatte. Sanft. Wir telefonierten stundenlang. Viele seiner Antworten warfen neue Fragen auf. Am Schluss suchte ich auch in Unterlagen der NSU-Untersuchungsausschüsse und auf Seiten von Rechtsextremen nach Antworten. Das ist mein Versuch zu ergründen, wie man ein Leben im Ku-Klux-Klan wieder los wird.
...
Der Verfassungsschutz versucht, Schmid anzuwerbenNach einem Konzert, Schmid ist gerade 18 oder 19, klingelt ein Mann an der Tür seines Elternhauses. Er stellt sich vor als Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. Schmid meint sich zu erinnern, dass er sich mit „Jürgen“ vorstellte. Allerdings würde keiner dieser Leute seinen echten Namen nennen. Sie geben sich meist Vor- und Nachnamen-Alliterationen zum Schutz ihrer Identität. Jürgen und Schmid sitzen am Esstisch der Familie. Ob Schmid sich nicht etwas dazuverdienen wolle, fragt er. Er bräuchte nur ab und an ein paar Fragen beantworten: Wer da so kommt, wo die Konzerte stattfinden, wer sie organisiert.
Schmid lehnt ab.Ein Jahr später, Schmid kommt gerade zu Fuß nach Hause, hält ein Auto neben ihm: Es ist Jürgen. Er wolle sich nur unterhalten, sagt der. Achim steigt ein und fährt mit ihm zu einem Lokal. Ein zweiter Anwerbeversuch. Dieses Mal bietet der Andere Geld. Schmid willigt ein. Über einen längeren Zeitraum hätten dann immer wieder Gespräche stattgefunden – gegen Bezahlung –, sagt er heute. Er sei aber nie in der Behörde gewesen, die Treffen hätten privat oder im Freien stattgefunden. An die Höhe der Beträge erinnere er sich nicht mehr, sagt Schmid. Viel könne es nicht gewesen sein. Konkrete Aufträge habe er aber nie bekommen.
Trotzdem fühlt sich Schmid wichtig, gefragt und einflussreich vernetzt. Und er glaubt, alles unter Kontrolle zu haben. Ein Irrtum mit schweren Folgen.
Der Klan fragt und Schmid sagt sofort zu
1998 wird Achim Schmid, mittlerweile einer der bekanntesten rechten Liedermacher Deutschlands, vom Ku-Klux-Klan angesprochen. Ein Grillfest nahe Stuttgart. Holger „Tweety“ Wied ist unter den Gästen, früherer Gitarrist der rechtsextremen Skinband „Triebtäter“ und szenebekanntes Mitglied des Ku-Klux-Klans. Schmid kennt ihn, man hatte einige Zeit eine lose Freundschaft gehabt. Schmid hat gerade seinen Auftritt beendet, da holt Wied ihn auf ein Bier zu sich und fragt in breitem Schwäbisch: „Willsch net bei de Zipfelmitze mitmache?“
...
Im Klan ist der „Zauberer“ der Oberchef, die „Drachen“ sind seine StatthalterWährend seiner Neonazi-Zeit wird Achim Schmid zunehmend paranoid. Seine Nächte verbringt er am Computer. Schaltet er ihn aus, zieht er die Kabel, geht hinaus und stellt ihn unter die Treppe am Haus seiner Mutter. Sicher ist schließlich sicher.
Die ersten Treffen beim Ku-Klux-Klan – den „International Knights“ – verlaufen enttäuschend. Schmid ist zunächst euphorisch, dann ernüchtert und schließlich enttäuscht. Der Klan hat keine Bibel. Es werden keine Zeremonien abgehalten. Kaum jemand trägt weiße Kutten. Es sind schon wieder: geistlose Männer, die saufen.
Schmid hatte in dem Geheimbund ein Geheimnis vermutet, das ihn elitär machte. Verlorenes Wissen. Nichts davon findet er vor. Er redet sich ein: Man werde in die Geheimnisse wohl erst eingeweiht, wenn man einen höheren Rang erlangt. Irgendwann sagt der Anführer zu ihm, weil er seine Ambitionen erkennt: Achim, es gibt da so viele Geheimnisse. Aber Schmid erkennt: Das eigentliche Geheimnis ist – es gibt kein Geheimnis.
Schmid verachtet die Truppe jetzt regelrecht, aber er hat einen Plan, wie er das ändern kann. Er holt sich eine Bibel und liest sie genau.
Sie inspiriert ihn. Er saugt alles auf. Die alten Geschichten. Die merkwürdigen Sätze. Die Botschaften, deren Wirkung ihn manchmal Wochen begleitet.
Zeitgleich recherchiert er unter amerikanischen „Klansmen“: Warum ist der Klan christlich? Wie lassen sich Christentum und Rassismus vereinen, wenn es doch Geschichten von Juden und Israeliten sind? Die Antworten, die er findet, reichen ihm nicht. Er liest und studiert so lange, bis er selbst auf Stellen stößt, die, aus dem Kontext gerissen, wunderbar als Grundlage für seinen Rassismus funktionieren. Bei den amerikanischen Klan-Chefs stoßen sein Fleiß und sein Eifer auf Wohlwollen. Sie laden ihn ein; er solle einen eigenen Klan für Deutschland gründen – dafür würden sie ihn zum „Grand Dragon“ ernennen. Der Anführer im Klan ist der „Imperial Wizard“. Seine Statthalter in den Bundesstaaten, die eigene Ableger führen, sind die „Grand Dragons“.
Schmid gefällt die Idee seines eigenen, deutschen, urtypischen Klans. Schnell denkt er sich einen Namen aus: „European Knights of the Ku Klux Klan“. Dieses Mal mit Kutten, mit Kreuzen und mit einem Kloran. Das ist das geheime Handbuch der Ku-Klux-Klan-Ritter. Schmidt übersetzt es ins Deutsche. Im deutschen Vorwort heißt es nun:
Dieses Buch ist ein klassifiziertes Dokument und ist immer mit der höchstmöglichen Sicherheit zu bewachen.
Es ist an einem sicheren Platz zu lagern, wo weder ein Mensch noch ein Alien ein Auge darauf werfen können.Der US-Klan schlägt Schmid zum Ritter – für ihn der größte Tag seines LebensSchmid steht vor einem brennenden Kreuz. Durch die Sehschlitze seiner weißen, spitzen Kapuze blickt er ins Feuer. Jemand ruft seinen Namen, dann ziehen die Männer im Kreis um das Kreuz, Fackeln in den Händen. Der „Imperial Wizard“, Jimie Maxey, Anführer des Klans „South Mississippi Knights“, schlägt Schmid zum Ritter. Schmid fühlt sich endlich angekommen, zu Hause, am Ziel. Es ist der größte Tag seines Lebens.
Die Kreuze werden entweder im Inneren eines Haues zu Zeremoniezwecken mit Kerzen erleuchtet – oder draußen angezündet. Sie stehen für die Erleuchtung und das Licht Christi. Aber auch Gegnern stellt der Klan brennende Kreuze in den Garten: als Warnung.
Auch das NSU-Trio wird während seiner Zeit an der Kreuzverbrennung eines Klans in der Nähe von Jena teilnehmen.
Als „Grand Dragon“ leitet Schmidt ab jetzt die „European Knights“. Er will seinen Klan starkmachen und ihn mit aller Macht in die Mitte der Gesellschaft führen – dorthin, wo der Klan in den USA bereits einmal war.
Und die Klanchefs und -mitglieder würden ihn dafür lieben und verehren.
In Deutschland nimmt Schmid den Rechtsextremisten „Corelli“ aufAls Achim Schmid nach Deutschland zurückkommt, passieren zwei Dinge: Seine Gespräche, die er mit dem Landesamt für Verfassungsschutz führt, werden ausgesetzt. Schmid habe seinen USA-Besuch und dessen Ziel verschwiegen. Er sei „nachrichtenunehrlich“, heißt es. Er wird daraufhin „abgeschaltet“.
Die zweite Sache: Aus dem alten Klan nimmt er einen Anwärter mit, Thomas Richter. Dessen Deckname beim Bundesamt für Verfassungsschutz: „Corelli“.
Richter ist ein rechtsextremer Tausendsassa, der, wie Schmid auffällt, merkwürdig lispelt und spuckt, wenn er aufgeregt ist. Eigentlich findet Richter den pseudo-religiösen Quatsch des Klans nicht sonderlich attraktiv – aber er folgt Schmid, und das hat seinen Grund. Richter ist die Topquelle des Inlandsgeheimdienstes in der rechten Szene. Bis heute steht der Vorwurf im Raum, „Corelli“ habe einen Großteil des Geldes, das er vom Verfassungsschutz bekommen haben soll, genutzt, um rechte Infrastrukturen überhaupt erst aufzubauen. Ist der Klan nur ein Honigtopf der Behörden, um Rechtsextreme anzulocken? Ein unfassbarer Vorwurf.
Schmid widerspricht. Aber auch der NSU-Untersuchungsausschuss I in Baden-Württemberg ging dieser These nach, die die Presse ins Spiel brachte – fand aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verfassungsschutz selbst den Ku-Klux-Klan durch V-Männer gründen ließ.
2014 wird „Corelli“ tot in seiner Wohnung aufgefunden. Nachdem Untertauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos hat er dem Trio in seiner Wohnung kurz Unterschlupft gewährt. Im Gutachten der Obduktion heißt es, er sei an einem unerkannten und unbehandelten Diabetes gestorben. Mit 40. Später wird der Gutachter sagen: Es könnte auch Rattengift gewesen sein. Die genauen Umstände sind bis heute nicht abschließend aufgeklärt.
Im deutschen Ku-Klux-Klan sind auch Polizisten2002. Es ist kurz nach dem Abendessen. Achim Schmid hat nach eigenen Angaben zu diesem Zeitpunkt schon lange mit keinem Beamten mehr gesprochen. Er sitzt noch am Computer. Er schaltet ihn auch nicht mehr aus – er fühlt sich sicher. Was merkwürdig ist.
Ein paar Tage zuvor hatte es an der Tür geklingelt. Ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz stand im Türrahmen. Zeitgleich klingeln Beamte der Verfassungsschützer der Länder bei allen seinen Klan-Mitgliedern. Man nennt das: „Gefährderansprache“. Die Beamten wollen Präsenz zeigen. Vor allem: Unruhe stiften.
Neben seinen rassistischen Pamphleten hatte sich Schmid im Internet damit gebrüstet, „Polizisten im Ku-Klux-Klan zu haben“. Seinen Mitgliedern verbietet Schmid jeden Kontakt zur rechten Szene. Er will nicht, dass seine alten Neonazi-Freunde Richter und Staatsanwälte davon abhalten, seinem Klan beizutreten. Die Szene ist für ihn zu schmutzig geworden. Die Mitte ist wichtiger als das Extreme.
Die rechtsextremen Mitglieder von Schmids Klan sind anderer Meinung, ihnen kommt er zunehmend weichgespült vor. Plötzlich sitzen alte Leute aus christlichen Gemeinden bei ihnen. Ob das jetzt ein Kirchenkreis werde, fragen sich die Mitglieder. Man wollte schließlich nicht in eine Kirche eintreten. Sie denken: Schmid ist durchgeknallt. Sein Klan, nur eine christliche Sekte.
Die „Gefährderansprache“ hatte Schmid keine Angst gemacht. Doch bald danach bekommt er über den Messenger seiner E-Mail-Adresse eine Nachricht: Ein anonymer User bitte ihn um einen Yahoo-Chat. Schmid folgt dem Unbekannte in den Chat-Raum. Bis heute ist nur intern bekannt, welcher Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (vermeintlich: Thüringen) Schmid in dieser Nacht warnte: Ihr habt einen Spitzel, sagt er zum Klanchef – in den eigenen Reihen. Sein Englisch ist gut, aber nicht sehr gut, Schmid glaubt, er wollte damit seine Herkunft verbergen.
Für Informationen aus dem Innenleben des Klans bietet der Verfassungsschützer Schmid Schutz an. Schmid überlegt fieberhaft: Wer könnte der Spitzel sein?
Schmid schreibt dem Mann: Ich glaube Dir nicht.
Der Mann fragt zurück: Aber woher weiß ich dann, dass Du vor einigen Tagen ein Klan-Treffen mit Mitgliedern abgesagt hast, weil Du Durchfall hattest. Aber in Wirklichkeit wolltest Du mit deinem Sohn Fahrradfahren, weil Du es versprochen hattest?
Schmid bekommt Angst. Er schmeißt die Leitung des Klans hin, der wegen der „weichen Linie“ von Schmids christlichen Abwegen mittlerweile komplett zerstritten ist. Schmid geht nicht mehr ans Telefon. Der Klan wird sich wenig später auflösen.
Schmid hingegen baut sich ein neues Leben auf. Sein altes verstaut er in einem Schuhkarton. Er will es verdrängen und nicht mehr darüber reden.
Das NSU-Wohnmobil brennt und ein Ausschuss-Marathon beginnt...
An jenem Tag im Sommer 2012 kommt Schmid gerade von der Arbeit nach Hause. Sein Job läuft schlecht. Seiner Firma droht Insolvenz. Zu seinen Kindern hat er seit sechs Jahren keinen Kontakt mehr. Sein altes Leben liegt verstaut und vergessen im Schuhkarton und träumt von alten Zeiten.
Ein Reporter wartet auf ihn.
„Sind Sie der ehemalige Chef des Ku-Klux-Klans in Deutschland“, will der Reporter wissen.
„Ja“, sagt Schmid.
„Wussten Sie, dass Polizisten aus Baden-Württemberg in Ihrem Klan Mitglieder waren?“
„Ja.“
„Wie viele waren es?“
„Zwei oder drei. Wir hatten noch mehr Anfragen, wir hätten eine ganze Abteilung aufmachen können.“
„Wussten Sie, dass einer der Beamten Zugführer von Michele Kiesewetter war – jener Polizistin, die in Heilbronn wohl vom NSU mit einem Kopfschuss getötet wurde?“
„Da war ich doch schon lange raus. Der Mord war doch fünf Jahre später“, sagt Schmid.
„Wussten Sie es?“, hakt der Reporter nach.
„Chef der Kapuzen“ setzt sich nach Memphis, Tennessee, ab„Jetzt, ja.“
Die Schlagzeilen eine Woche später werden die Familie zerreißen, die Region erschüttern; seine ältere Schwester bricht den Kontakt sofort ab. Baden-Württemberg hat einen Skandal: Polizisten im Ku-Klux-Klan! Schmid ist jetzt überall: Schmid, der V-Mann? „Chef der Kapuzen.“ Welche Kontakte hatte Achim Schmid zum Verfassungsschutz?
Was hast du noch, fragt ein Freund irgendwann. Hier will dich keiner. Du hast alles verloren. Schmid packt seine Sachen und bucht Tickets: Memphis, Tennessee. Es wartet: ein neues Leben. Ein besseres, vielleicht.
„Wenn ich könnte, würde ich alles nochmal zurückdrehen“, sagt Schmid heute. Er lebt in der Gegend Amerikas, die man den „Bibel-Gürtel“ nennt. Er glaubt an Gott. „Für amerikanische Verhältnisse wenig, aber für deutsche wohl ziemlich viel“, sagt er.
krautreporter.de/1820-das-leben-nach-dem-ku-klux-klanDa ist jetzt alles geklärt. Obwohl Schmidt damals schon V-Mann war, geschah die Gründung des "KKK" aus Eigeninitiative. Natürlich.
Es ist verständlich, daß man einfach seine Ruhe haben will, wenn man auf diese Art Spielball der Behörden wurde.
Davon abgesehen ist auch der US-amerikanische KKK von Lockspitzeln durchsetzt. Vielleicht schon im Heimatland heute eine staatliche Veranstaltung?