Post by fragezeichen on Dec 23, 2016 16:35:47 GMT 1
Schwäbisch Hall
Schuss auf Moschee wird untersucht
Am Donnerstag vor genau zwölf Jahren hat ein unbekannter auf das muslimische Gotteshaus in Hall geschossen.
LKA, BKA und U-Ausschuss befassen sich mit diesem und anderen Altfällen.
Das Projektil durchschlägt die doppelt verglaste Fensterscheibe des Gebetsraums. Das Geschoss dringt 14 Meter entfernt in die Innenwand ein. Durch die Wucht bröckelt der Putz. Glassplitter auf dem Teppich lassen die Flugrichtung erahnen. Der Schuss auf die Mevlana Moschee in Hall, heute auf den Tag genau vor zwölf Jahren, schockiert nicht nur die Mitglieder des türkisch-islamischen Vereins. Der türkische Kulturattaché reist noch am selben Tag aus Stuttgart an, besichtigt zusammen mit Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim das muslimische Gotteshaus. Dieser kommentiert den Schuss als „ungeheuerlichen“ Akt. Schnell taucht die eine Frage auf: Handelt es sich um eine politische Tat?
Spuren zum NSU übersehen?
Diese Frage stellt sich bis heute, da die Hintergründe nie aufgeklärt wurden. Nun befasst sich auch der zweite Untersuchungsausschuss im Landtag zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) mit dem Vorfall. Das Gremium will von den Behörden wissen, ob bei ungelösten Kriminalfällen eine Spur zu den Rechtsterroristen aus Zwickau übersehen wurde, denen unter anderem der Heilbronner Polizistenmord von 2007 zur Last gelegt wird.
Mehrere hundert Delikte seit 1990 seien nach einem Kriterienkatalog durchleuchtet worden, sagte nun die Beamtin Bettina F. vom Landeskriminalamt in der Dezember-Sitzung des Ausschusses im Landtag. Im Fokus standen Tötungsdelikte, Raubüberfälle sowie Brand- und Sprengstoffdelikte. Bei 17 Raubüberfällen könne ein Bezug zum NSU zwar nicht ausgeschlossen werden. Insgesamt aber gehe man von keiner Tatbeteiligung der bekannten Rechtsextremisten aus.
209 Altfälle gemeldet
Dennoch hat das LKA 209 Fälle an die Arbeitsgruppe „Fallanalyse“ des Bundeskriminalamts geschickt – mehr als jedes andere Bundesland. Aus diesen wurden dort 34 Fälle herausgefiltert, die aber ebenfalls keine Bezüge zum NSU und keine neuen Ermittlungsansätze ergeben hätten.
Zu den nun im Fokus stehenden Fällen gehört auch jener Moschee-Schuss 2004 in Hall. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) hakt zu Hintergründen beim Leitenden Kriminaldirektor Hans Matheis vom LKA nach. Allerdings ist der Beamte nicht auf den Fall vorbereitet. „Da müsste ich in den Akten nachschauen.“
Drexler kommentiert später: „Der Beamte hat umfangreich ausgesagt, allerdings nur global. Im Detail konnte er uns nicht weiterhelfen.“ Die Hintergründe zum Moschee-Vorfall sollen daher in der Sitzung am 30. Januar erneut beleuchtet werden. Matheis werde wieder geladen. Insgesamt kritisiert Drexler aber, dass die Prüfungen der Altfälle in Baden-Württemberg nicht umfangreich genug durchgeführt worden seien. So habe es auf Landesebene keinen Abgleich mit Daten des Verfassungsschutzes gegeben.
Ob dies im Fall der Moschee geholfen hätte, bleibt fraglich, wenn es nach den Worten des Haller Oberstaatsanwaltes Peter Bracharz geht. Die Ermittler seien damals nicht weitergekommen, sagt er auf HT-Nachfrage. „Wir hatten das Projektil. Die Patrone hat sich aber ziemlich zerlegt.“ Es sei ein Kaliber 8,5 gewesen, wohl aus rund 40 Metern Entfernung aus einer Langwaffe abgefeuert, vermutlich ein Jagdgewehr. Spuren habe man auf dem Projektil nicht sichern können. Zudem habe es weder Zeugen noch anderweitige Spuren gegeben. Hinweise gab es lediglich aus der Nachbarschaft zur Uhrzeit. Diese hatten berichtet, gegen 2.45 Uhr drei Schüsse gehört zu haben.
Moschee damals ohne Priorität
Ein Projektil durchschlug die Scheibe. Es wurde am 20. Oktober 2005, also zehn Monate später, beim LKA untersucht – ohne nennenswerte Ergebnisse. „Das ist ein normaler Zeitraum“, so Bracharz.
Die Akte wurde danach geschlossen. Der Fall habe damals „keine besondere Priorität“ gehabt, Moscheen seien 2004 „noch keine gewichtigen Sachen“ gewesen. Das sei heute anders.
Schwäbisch Hall und der NSU-Ausschuss
Bei der Aufarbeitung der NSU-Mordserie spielt Hall auf Landesebene eine bedeutende Rolle. 2012 war bekannt geworden, dass von 1999 bis 2003 die „European White Knights of the Ku Klux Klan“ ihren Sitz in Gailenkirchen hatten. Zum rassistischen Geheimbund gehörten auch zwei Polizisten. Einer der beiden war der direkte Vorgesetzte der Polizistin Michèle Kiesewetter, als diese 2007 in Heilbronn getötet wurde. Für die Tat wird der NSU verantwortlich gemacht.
Regelmäßig kam Thomas Richter zum Klan nach Hall. Er wurde damals als V-Mann „Corelli“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt. Richter hatte bereits 2004 Informationen über den NSU ans Amt geliefert – sieben Jahre, bevor die Terrorzelle bekannt wurde. Als 2014 Nebenklagevertreter im NSU-Prozess in München einen Beweisantrag für die Vernehmung des Spitzels vorbereiteten, verstarb dieser plötzlich. Offiziell heißt es, er sei einer unerkannten Diabetes erlegen. Der Gutachter räumte dieses Jahr ein, dass Rattengift als Ursache nicht ausgeschlossen werden könne. Der NSU-Ausschuss will die Hintergründe des KKK nun erneut beleuchten.
Rechtsextreme spielten in Hall immer wieder eine Rolle, etwa durch eine Reihe von Aufmärschen nach der Wehrmachtsausstellung 2003 – angeführt von Lars Käppler. Bis 2005 lockte er immer wieder rechte Demonstranten nach Hall.
link
Schuss auf Moschee wird untersucht
Am Donnerstag vor genau zwölf Jahren hat ein unbekannter auf das muslimische Gotteshaus in Hall geschossen.
LKA, BKA und U-Ausschuss befassen sich mit diesem und anderen Altfällen.
Das Projektil durchschlägt die doppelt verglaste Fensterscheibe des Gebetsraums. Das Geschoss dringt 14 Meter entfernt in die Innenwand ein. Durch die Wucht bröckelt der Putz. Glassplitter auf dem Teppich lassen die Flugrichtung erahnen. Der Schuss auf die Mevlana Moschee in Hall, heute auf den Tag genau vor zwölf Jahren, schockiert nicht nur die Mitglieder des türkisch-islamischen Vereins. Der türkische Kulturattaché reist noch am selben Tag aus Stuttgart an, besichtigt zusammen mit Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim das muslimische Gotteshaus. Dieser kommentiert den Schuss als „ungeheuerlichen“ Akt. Schnell taucht die eine Frage auf: Handelt es sich um eine politische Tat?
Spuren zum NSU übersehen?
Diese Frage stellt sich bis heute, da die Hintergründe nie aufgeklärt wurden. Nun befasst sich auch der zweite Untersuchungsausschuss im Landtag zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) mit dem Vorfall. Das Gremium will von den Behörden wissen, ob bei ungelösten Kriminalfällen eine Spur zu den Rechtsterroristen aus Zwickau übersehen wurde, denen unter anderem der Heilbronner Polizistenmord von 2007 zur Last gelegt wird.
Mehrere hundert Delikte seit 1990 seien nach einem Kriterienkatalog durchleuchtet worden, sagte nun die Beamtin Bettina F. vom Landeskriminalamt in der Dezember-Sitzung des Ausschusses im Landtag. Im Fokus standen Tötungsdelikte, Raubüberfälle sowie Brand- und Sprengstoffdelikte. Bei 17 Raubüberfällen könne ein Bezug zum NSU zwar nicht ausgeschlossen werden. Insgesamt aber gehe man von keiner Tatbeteiligung der bekannten Rechtsextremisten aus.
209 Altfälle gemeldet
Dennoch hat das LKA 209 Fälle an die Arbeitsgruppe „Fallanalyse“ des Bundeskriminalamts geschickt – mehr als jedes andere Bundesland. Aus diesen wurden dort 34 Fälle herausgefiltert, die aber ebenfalls keine Bezüge zum NSU und keine neuen Ermittlungsansätze ergeben hätten.
Zu den nun im Fokus stehenden Fällen gehört auch jener Moschee-Schuss 2004 in Hall. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) hakt zu Hintergründen beim Leitenden Kriminaldirektor Hans Matheis vom LKA nach. Allerdings ist der Beamte nicht auf den Fall vorbereitet. „Da müsste ich in den Akten nachschauen.“
Drexler kommentiert später: „Der Beamte hat umfangreich ausgesagt, allerdings nur global. Im Detail konnte er uns nicht weiterhelfen.“ Die Hintergründe zum Moschee-Vorfall sollen daher in der Sitzung am 30. Januar erneut beleuchtet werden. Matheis werde wieder geladen. Insgesamt kritisiert Drexler aber, dass die Prüfungen der Altfälle in Baden-Württemberg nicht umfangreich genug durchgeführt worden seien. So habe es auf Landesebene keinen Abgleich mit Daten des Verfassungsschutzes gegeben.
Ob dies im Fall der Moschee geholfen hätte, bleibt fraglich, wenn es nach den Worten des Haller Oberstaatsanwaltes Peter Bracharz geht. Die Ermittler seien damals nicht weitergekommen, sagt er auf HT-Nachfrage. „Wir hatten das Projektil. Die Patrone hat sich aber ziemlich zerlegt.“ Es sei ein Kaliber 8,5 gewesen, wohl aus rund 40 Metern Entfernung aus einer Langwaffe abgefeuert, vermutlich ein Jagdgewehr. Spuren habe man auf dem Projektil nicht sichern können. Zudem habe es weder Zeugen noch anderweitige Spuren gegeben. Hinweise gab es lediglich aus der Nachbarschaft zur Uhrzeit. Diese hatten berichtet, gegen 2.45 Uhr drei Schüsse gehört zu haben.
Moschee damals ohne Priorität
Ein Projektil durchschlug die Scheibe. Es wurde am 20. Oktober 2005, also zehn Monate später, beim LKA untersucht – ohne nennenswerte Ergebnisse. „Das ist ein normaler Zeitraum“, so Bracharz.
Die Akte wurde danach geschlossen. Der Fall habe damals „keine besondere Priorität“ gehabt, Moscheen seien 2004 „noch keine gewichtigen Sachen“ gewesen. Das sei heute anders.
Schwäbisch Hall und der NSU-Ausschuss
Bei der Aufarbeitung der NSU-Mordserie spielt Hall auf Landesebene eine bedeutende Rolle. 2012 war bekannt geworden, dass von 1999 bis 2003 die „European White Knights of the Ku Klux Klan“ ihren Sitz in Gailenkirchen hatten. Zum rassistischen Geheimbund gehörten auch zwei Polizisten. Einer der beiden war der direkte Vorgesetzte der Polizistin Michèle Kiesewetter, als diese 2007 in Heilbronn getötet wurde. Für die Tat wird der NSU verantwortlich gemacht.
Regelmäßig kam Thomas Richter zum Klan nach Hall. Er wurde damals als V-Mann „Corelli“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt. Richter hatte bereits 2004 Informationen über den NSU ans Amt geliefert – sieben Jahre, bevor die Terrorzelle bekannt wurde. Als 2014 Nebenklagevertreter im NSU-Prozess in München einen Beweisantrag für die Vernehmung des Spitzels vorbereiteten, verstarb dieser plötzlich. Offiziell heißt es, er sei einer unerkannten Diabetes erlegen. Der Gutachter räumte dieses Jahr ein, dass Rattengift als Ursache nicht ausgeschlossen werden könne. Der NSU-Ausschuss will die Hintergründe des KKK nun erneut beleuchten.
Rechtsextreme spielten in Hall immer wieder eine Rolle, etwa durch eine Reihe von Aufmärschen nach der Wehrmachtsausstellung 2003 – angeführt von Lars Käppler. Bis 2005 lockte er immer wieder rechte Demonstranten nach Hall.
link