Weil die Türken/Türkei hier das Thema ist ...
Tuba Sarica über deutschtürkische Parallelgesellschaften
In ihrem Buch Ihr Scheinheiligen! erhebt die Bloggerin Tuba Sarica schwerwiegende Vorwürfe gegen die deutschtürkische Community. Telepolis sprach mit der Autorin.
Frau Sarica, was ist Ihre Meinung zur Özil-Debatte?
Tuba Sarica: Ich betrachte Özils Statement als Ablenkungsmanöver von seiner eigenen Verantwortung und das ist typisch für die Parallelgesellschaft. An der Debatte stört mich, dass man sich nun von Özils Fremdenfeindlichkeitsvorwürfen manipulieren lässt. So schafft es die Parallelgesellschaft immer wieder, das Thema Rückständigkeit bei den Deutschtürken zu vermeiden.
Der Rassismus der Deutschen steht wie fast immer im Vordergrund, obwohl es hierbei darum geht, dass sich selbst integriert wirkende junge Menschen mitten in Deutschland für eine faschistische Politik interessieren.
Was läuft generell schief bei der Integration der Deutsch-Türken?
Tuba Sarica: Ein großes Problem sehe ich darin, dass falsche Gründe als Ursache für die schlecht laufende Integration vorgeschoben werden. Die Integration der Deutschtürken scheitert meiner Meinung nach nicht etwa an fehlender Toleranz in der deutschen Gesellschaft. Sie scheitert an dem Unwillen vieler Deutschtürken, sich zu integrieren.
Auch bin ich davon überzeugt, dass die Integration so lange nicht funktionieren wird, bis man Verantwortung von den Deutschtürken selbst einfordert beziehungsweise bis die Deutschtürken selbst die Verantwortung für ihre Situation übernehmen.
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Sie schreiben, dass die Deutschtürken fremdenfeindlich wären. Inwiefern?
Tuba Sarica: Die Fremdenfeindlichkeit der Deutschtürken richtet sich gegen Nichtmuslime, den Westen, Griechen, Aleviten und gegen Juden. Was ich besonders perfide finde, ist ihre Feindlichkeit gegen die Menschen und das Land, in dem wir wohnen: Deutschland und die Deutschen.
Tatsächlich pflegt man in der Parallelgesellschaft eine recht klare Rassenhierarchie: Ganz oben stehen muslimische Türken und ganz weit unten stehen Deutsche und Türken, die nicht religiös sind oder ihren Glauben nicht nach außen tragen.
Das merkt man, sofern man türkisch spricht, daran, dass im alltäglichen Sprachgebrauch deutschenfeindliche Kommentare dazu gehören und Menschen, die religiöser sind als andere (muslimisch, versteht sich) nicht kritisiert werden dürfen. Wohingegen Menschen, die sich Freiheiten im Leben nehmen, zum Beispiel Frauen, die offen eine uneheliche Partnerschaft führen, sehr schnell und hart kritisiert werden.
Als Teenager merkte ich: Obwohl ich mich sozial engagierte, würde ich bei den deutschtürkischen Verwandten niemals so beliebt sein wie eine junge Verwandte, die Kopftuch trägt und die antisemitische und deutschenfeindliche Äußerungen von sich gibt.
Besonders gefährlich ist, dass über den Rassismus innerhalb der Parallelgesellschaft nicht gesprochen wird. Er wird, anders als der Rassismus innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft, nicht einmal als solcher benannt.
"Die Religion spielt eine noch wichtigere Rolle als die Nationalität"
Wie wichtig ist dabei die Religion?
Tuba Sarica: Ich würde sagen, die Religion spielt dabei eine noch wichtigere Rolle als die Nationalität, weil sich die Deutschtürken der Parallelgesellschaft eher über ihre Religion definieren als über ihre Nationalität. Sie verstehen sich als Gemeinde. Sie glauben zudem fundamental und betrachten Andersgläubige nicht als vollwertige Menschen.
Das behindert die Integration natürlich. Durch die fundamentale Art zu glauben erklärt sich auch, dass sie Erdogan wählen. Fundamental zu glauben, bedeutet auch, dass die Religion immer im Mittelpunkt aller Lebensbereiche steht und somit auch die Politik für die Parallelgesellschaft nicht ohne Religion denkbar ist.
Erdogan sagte in einer seiner Reden:"Du kannst nicht sowohl muslimisch als auch laizistisch sein." Das seien "zwei entgegengesetzte Magnetpole".
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Welche Fehler haben die deutsche Politik und welche Fehler haben die Deutsch-Türken bei der Entstehung der Parallelgesellschaft gemacht?
Tuba Sarica: Die deutsche Politik hat gegenüber den Deutschtürken von Anfang an zu wohlwollend agiert. So wurde aus falscher Toleranz heraus unter anderem der fatale Fehler gemacht, Deutschtürken mit der Einrichtung von Wahllokalen in Deutschland, die Möglichkeit zur Teilnahme an Wahlen in der Türkei zu geben - ohne dass sie dafür in die Türkei reisen müssen. Die Auswirkungen sehen wir heute.
Die Deutschtürken der "deutschtürkischen Mitte" haben den Fehler gemacht, die deutsche Gesellschaft nicht auf die Deutschenfeindlichkeit aufmerksam zu machen und die Regierung nicht vor Erdogan zu warnen. Da sehe ich vor allem die zahlreichen deutschtürkischen Personen der Öffentlichkeit in der Verantwortung.
Meiner Meinung nach haben die Vorbilder der Deutschtürken, seien es deutschtürkische Comedians, Sportler, Journalisten und Politiker versagt. Sie wussten (wie jeder Deutschtürke, der Türkisch versteht) von der Deutschenfeindlichkeit, die in der deutschtürkischen Community herrscht. Sie hatten ihren deutschen Kollegen gegenüber also einen Wissensvorsprung.
Diesen haben sie aber, wenn sie als Experten zum Beispiel in Talkshows eingeladen wurden und ihnen die Frage nach den Gründen für das Integrationsproblem gestellt wurde (meiner Meinung nach bewusst) nicht genutzt. Jedes Mal, wenn ich mir in der Vergangenheit eine politische Talkshow ansah, hoffte ich darauf, dass einer der zahlreichen deutschtürkischen Künstler, Journalisten oder Politiker endlich die eigentlichen Gründe für die schlecht laufende Integration aufdecken würden.
Aber ich wurde jedes Mal enttäuscht. Sie unterstützten die Auffassung, die Deutschen seien Schuld an allem. Erst jetzt, als die Parallelgesellschaft damit schockiert, dass sie einen Präsidenten darin unterstützt, die Demokratie auszuhebeln und die Kritik an ihnen und Erdogan seitens der deutschen Medien laut geworden ist, schließen sich diese öffentlichen Vertreter der deutschtürkischen Gesellschaft der Kritik an. Aber das hilft meiner Meinung nach zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht mehr.
Auch hat die deutsche Mehrheitsgesellschaft viel zu lange aus Angst, als fremdenfeindlich angesehen zu werden, den ehrlichen Dialog in der Gesellschaft und mit den Deutschtürken über die Gründe für das Integrationsproblem vermieden. Dieser Umgang ermöglicht den Deutschtürken, der Konfrontation zu dem Thema auszuweichen und (statt selbst einen produktiven Austausch zu initiieren) die Frage nach den Ursachen für das Scheitern immer wieder auf eine mangelnde Toleranz in der deutschen Bevölkerung umzulenken.
"Demokratiefeindliche Predigten"
Ich bin in den 80er Jahren in der BRD aufgewachsen und da war der Spruch "Türken raus!" wahrlich kein Exot unter den Graffities. Außerdem wurde jahrzehntelang von der Politik realitätsfern behauptet, Deutschland sei kein Einwanderungsland und angenommen, dass die Türken in wenigen Jahren Deutschland wieder verlassen. Deswegen hat man sich auch nicht um die Organisation und Zusammensetzung der Islamverbände geschert. Sind das nicht auch Gründe für die Entstehung einer Parallelgesellschaft?
Tuba Sarica: Ich sehe ebenfalls die Islamverbände als Hauptverantwortliche an. Sicherlich wäre es gut gewesen, diese zu kontrollieren beziehungsweise stärker im Dialog mit ihnen zu stehen. Dass man staatlich nicht gründlich kontrolliert, gibt ihnen nicht das Recht, etwa demokratiefeindliche Predigten zu veranstalten und die Integration zu hemmen. Das haben meiner Ansicht nach viele Islam- und Integrationsverbände getan: Nicht für, sondern gegen die Integration gearbeitet.
Für die Zukunft bin ich deswegen sehr dafür, dass Islamverbände verstärkt unter die Lupe genommen werden. Besonders kritisch sehe ich die DITIB. Da ist fraglich, ob ein Dialog etwas bringt. Die DITIB ist der deutsche Ableger der Diyanet, also dem Amt für Religionsangelegenheiten in der Türkei, das dem türkischen Präsidenten obliegt - und der aktuelle Präsident ist nun mal antidemokratisch. Die Diyanet ist sogar der Meinung, Mädchen seien schon im Alter von 9 Jahren geschlechtsreif.
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Sie haben ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu Deutschland. Was denken sie über die Mordserie des NSU und den Prozess?
Tuba Sarica: Die NSU-Mordserie ist meiner Meinung nach ein schreckliches Beispiel für fremdenfeindlich motivierten Terrorismus. Vor allem aber der unsägliche Umgang des Verfassungsschutzes mit dem Fall ist unseres Rechtsstaates unwürdig. Deswegen bin ich heilfroh über das Urteil gegen Beate Zschäpe. Auch bin ich dafür, dass der Fall nie vergessen und alle verantwortlichen Personen ausfindig gemacht und vor Gericht gestellt werden sollten. So etwas darf nie wieder passieren.
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