Neue Überwachungspläne: Innenminister will Hintertüren in digitalen Geräten
Private Computer, der heimische Fernseher und alle anderen digitalen Geräte sollen offenbar nach Plänen des amtierenden Innenministers mit einer Hintertüre ausgestattet werden, die Geheimdiensten und Polizeien den Zugriff erlaubt. Die Maßnahme wäre nicht nur ein großer Schritt in den Überwachungsstaat, sie gefährdet auch die digitale und physische Sicherheit aller Bürger.
Der amtierende Innenminister Thomas de Maizière will die Industrie verpflichten, Hintertüren in allen digitalen Geräten zu schaffen. Betroffen sind private Tablets und Computer genauso wie Bord-Computer in Autos, Smart-TVs und alle anderen Geräte im „Internet der Dinge“ – von der Küchenmaschine bis zum vernetzten Sexspielzeug. Das geht offenbar aus einer Beschlussvorlage des Bundes hervor,
aus der das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zitiert.
Laut RND ist der Antrag mit „Handlungsbedarf zur gesetzlichen Verpflichtung Dritter für Maßnahmen der verdeckten Informationserhebung nach §§ 100c und 100f StPO“ überschrieben. Es handelt sich dabei um eine massive Ausweitung des Lauschangriffs. Hintergrund der Maßnahme seien Probleme der Behörden bei der „verdeckten Überwindung von Sicherheitssystemen“.
Im Artikel des RND heißt es weiter:
Gemeinsam mit den Unions-Innenministern der Länder verlangt er in einer zusätzlichen Protokollnotiz, die geplante Gesetzesänderung „technikoffen“ zu formulieren, „um eventuelle künftige Entwicklungen mit erfassen zu können“. Demnach wären Lauschangriffe künftig überall dort möglich, wo Geräte mit dem Internet verbunden sind. Die Industrie soll dem Staat exklusive Zugriffsrechte einräumen, etwa bei privaten Tablets und Computern, Smart-TVs oder digitalisierten Küchengeräten.
Zudem will de Maizière eine Art „Kill-Switch“, mit dem im Krisenfall die Sicherheitsbehörden private Rechner herunterfahren können. Das beinhaltet laut einem „Fachkonzept zum Takedown von Botnetzen“ auch, dass Geheimdienste und Polizeien private Daten abgreifen dürfen – angeblich um die Nutzer vor Hacker-Zugriffen auf ihre Rechner zu warnen.
„Frontalangriff auf die Sicherheit der Bürger“
Frank Rieger, Sprecher des CCC, hält die Pläne für einen „Frontalangriff auf die digitale und physische Sicherheit aller Bürger“. Der Zwang zu Software-Hintertüren bedeute, dass in Zukunft jedes Alltagsgerät ganz legal aus der Ferne zu einer Geheimdienst-Wanze gemacht werden könne: „Und ein Zugriff auf die IT eines modernen Autos bedeutet Gefahr für Leib und Leben: ein buchstäblicher Kill-Switch.“
Volker Tripp von der Digitalen Gesellschaft warnt, dass es bei Umsetzung des Vorhabens „keinerlei Privatsphäre, keinerlei Rückzugsraum und keinerlei Unbefangenheit“ mehr gebe. Die Pläne seien die „Antithese zu einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat“ und widerspreche diametral dem Menschenbild des Grundgesetzes. Den Akteuren im politischen Feld müsse spätestens jetzt klar sein, dass sie sich im Falle einer Koalition mit der CDU womöglich zum Steigbügelhalter bei der Einführung eines allumfassenden Überwachungsstaates machen würden.
„Orwellscher Albtraum“
Auch in der Politik regt sich Widerstand gegen die Pläne. Gegenüber netzpolitik.org nennt der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz das Vorhaben einen „Orwellschen Albtraum“. Aus gutem Grund habe das BMI einer gesetzlichen Verpflichtung für staatliche Hintertüren in Hard- und Software bislang immer eine klare Absage erteilt. Bei den jetzigen Plänen handele es sich um einen direkten Angriff auf das Grundgesetz und den Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung. Das Vorgehen untergrabe massiv das Vertrauen in digitale Infrastrukturen und Angebote. Zurecht wehre sich auch die Wirtschaft gegen die Pläne.
Auch vom möglichen Koalitionspartner SPD kam Kritik: „Der Bundesinnenminister hat scheinbar jeglichen realpolitischen Anstand verloren“ sagte der Innenexperte Uli Grötsch gegenüber spiegel.de.
Der Wirtschaftsverband Bitkom befürchtet wegen des „technikoffenen Ansatzes“ einen „staatlichen Zugriff auf schlichtweg alles, jedes und jeden“. Ein so weitreichender Eingriff dürfe nicht handstreichartig erfolgen. Bitkom-Chef Rohleder fordert deswegen gegenüber netzpolitik.org eine Debatte: „Wir brauchen eine schnelle, aber auch sorgfältige Abwägung darüber, wo wir die Privatsphäre im Zweifelsfall der allgemeinen Sicherheit opfern – und wo wir ganz bewusst allgemeine Sicherheitsrisiken eingehen, um die Privatsphäre Einzelner zu schützen.“
Laut Golem.de hat das Bundesinnenministerium dementiert, dass Ermittler auf Wunsch der Unions-Innenminister umfassende Möglichkeiten für einen sogenannten Lauschangriff bei Verdächtigen erhalten sollen. Innerhalb der Bundesinnenministerkonferenz werde lediglich diskutiert, das Anbringen von Abhörwanzen innerhalb und außerhalb von Wohnung besser zu ermöglichen, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Johannes Dimroth. „Maßnahmen in Bezug auf in Computer oder Smart TV eingebaute Mikrofone wären hiervon nicht betroffen, da hierfür ein Zugriff in informationstechnische Systeme erforderlich wäre“, so der Sprecher des BMI gegenüber Golem.de weiter.
Eine Klärung, wie weitgehend das Vorhaben wirklich ist, kann nur aus der Veröffentlichung des fraglichen Papiers hervorgehen.
Update:
Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) Ulrich Schellenberg sagt zum Vorhaben:
Nach Plänen zur Innenministerkonferenz sollen Hersteller verpflichtet werden, in elektronischen Geräten wie Computern, Smart-TVs sowie Autos eine Überwachungsmöglichkeit für die Ermittlungsbehörden vorzusehen. Dies stößt beim Deutschen Anwaltverein auf erhebliche rechtliche Bedenken. Eine Überwachung muss stets verhältnismäßig sein. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn unabhängig von Verdachtsmomenten bei praktisch jedem Bürger Einfallstore für mögliche Überwachungsmaßnahmen eingebaut werden. Das Gesamtmaß der Überwachungsmöglichkeiten nimmt dabei auch bei unbescholtenen Bürgern ein zunehmend bedrohlich wirkendes Ausmaß an.
Außerdem würde eine derartige Regelung für alle Bürger eine erhebliche Sicherheitslücke darstellen. Schließlich könnten auch Dritte sich dieser technischen Systeme bedienen. Es gibt daher ein erhebliches Missbrauchsrisiko.
Ungeklärt ist auch die Frage, wie diese Überwachungsmöglichkeiten bei Berufsgeheimnisträgern, wie etwa in Anwaltskanzleien, ausgeschlossen werden. Der Gesetzgeber übersieht, dass es hier nicht nur ein Verbot der Überwachung geben kann, sondern dass er verpflichtet ist, diese Freiräume vor verbotener Überwachung zu schützen.
Zu einer Beschlussvorlage des Bundes zur Innenministerkonferenz und der aufkommenden Debatte um ein etwaiges neues Überwachungsgesetz, sagt eco-Vorstand Prof. Dr. Norbert Pohlmann, gegenüber netzpolitik.org:
„Wir fordern den Bundesinnenminister dringend dazu auf, Abstand von unverhältnismäßigen Gesetzesvorhaben zu nehmen, die der Internetbranche weitreichende Auskunfts- und Mitteilungsverpflichtung auferlegen wollen. Staatliche Überwachung und Zugriffe auf personenbezogene Daten müssen unbedingt auf das Notwendigste beschränkt bleiben.“
Das gezielte und bewusste Implementieren von möglichen Sicherheitslücken konterkariere jegliche Bestrebungen der Unternehmen zur Verbesserung der IT-Sicherheit und schwäche das Vertrauen der Nutzer in das Internet sowie in die deutsche Internetwirtschaft. Gleichzeitig führten mehr staatliche Eingriffe und Überwachung nicht zu mehr Sicherheit, sondern könnten sich als kontraproduktiv erweisen.
„Staatliche Hintertüren und Generalschlüssel sind grundsätzlich als inhärent unsicher einzustufen, jede Lücke bedeutet ein potentielles Sicherheits-Leck und erhöht damit das Risiko von Diebstahl und Missbrauch im Internet.“, so Pohlmann.
netzpolitik.org/2017/neue-ueberwachungsplaene-innenminister-will-hintertueren-in-digitalen-geraeten/