Dritte RAF-Generation
Unfassbar
Garweg, Staub, Klette: Drei mutmaßliche frühere Terroristen der RAF gehören seit Jahren zu den meistgesuchten Kriminellen des Landes. Die Polizei ist ratlos - und fürchtet die nächste Tat.
[...]
Nach einem gescheiterten Überfall auf einen Geldtransporter in Stuhr bei Bremen fanden Kriminaltechniker im Tatauto DNA-Spuren, die sie Staub, Klette und Garweg zuordnen. Stück für Stück entrollte sich vor den Ermittlern eine Serie von zwölf Raubtaten. Beginn: 1999. Schwerpunkt: Niedersachsen. Diese Fälle machen das Trio zu den meistgesuchten Verdächtigen des Landes.
Der bis dato fast erstarrte Fahndungsapparat aus RAF-Zeiten läuft wieder. Zentrale ist nicht mehr das Bundeskriminalamt (BKA), sondern das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen. Und nicht mehr der Generalbundesanwalt (GBA) leitet die Ermittlungen, sondern die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Verden. Alle Behörden, das beteuern sie, arbeiteten eng zusammen.
Je mehr Zeit indes verstreicht, ohne dass die drei zu fassen sind, desto stärker lastet der Druck auf den Fahndern. "Wir stehen immer noch vor einem Rätsel", sagt einer. Der jüngste Überfall ist mehr als zwei Jahre her, er fand Ende Juni 2016 statt, in Cremlingen bei Braunschweig. Zugleich fürchten Ermittler das Risiko eines Zugriffs: "Wenn man sie stellt, werden sie versuchen zu schießen", sagt ein Beamter.
Die Täter gehen in mancher Hinsicht professionell vor. "Sehr souverän" sagt ein Ermittler. Über Wochen baldowern sie in der Regel ihre Tatorte aus. Kaufen gebrauchte Fahrzeuge unter falschem Namen. Achten darauf, dass sie nach sechs bis zehn Kilometern unbemerkt das Fluchtauto wechseln können. Zünden den hinterlassenen Wagen an, auch wenn das ein paar Mal schiefging.
Der frühere Chefermittler des LKA, Matthias Behnke, sagte im Juli dem SPIEGEL: "Wahrscheinlich haben sie keinen Kontakt mehr in alte Unterstützerkreise und nutzen keine modernen Kommunikationsmittel." Man gehe davon aus, dass sie mit einem echten Ausweis unter einer falschen Identität in Deutschland lebten - und zwar seit Langem. Auf ähnliche Weise war es den Mitgliedern des rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) gelungen, über viele Jahre eine Fassade aufrechtzuerhalten, hinter der sie rauben und morden konnten.
Perfekte Maskerade?
Die mutmaßlichen Ex-RAFler Staub, Klette und Garweg würden wohl für die Überfälle ihr Aussehen verändern, sagte Behnke. Nach den Taten legten sie ihre Maskerade ab und lagerten die Waffen womöglich in Erddepots aus RAF-Zeiten ein. "Wir glauben, dass sie in ihrem Lebensumfeld anders aussehen", so Behnke im Juli.
Eine rasche optische Verwandlung könnte erklären, dass Öffentlichkeitsfahndungen mit neuen Bildern von Staub und Garweg erfolglos geblieben sind. Vermutlich verkleiden sich die Täter schon, wenn sie die Tat nur vorbereiten. Doch all das bleibt vage. Auch eine Operative Fallanalyse, mit der Profiler Handlungsmotive von Tätern ergründen, brachte der Staatsanwaltschaft nichts Greifbares.
Die nächste Tat, so heißt es in Justizkreisen, dürfte nur eine Frage der Zeit sein. "Die spannende Frage ist, wo die drei zuschlagen werden", sagt ein Ermittler. Einer internen Berechnung des BKA zufolge sollen sie von 1999 bis 2015 etwa zwei Millionen Euro geraubt haben. Hinzukommen dürfte die Beute aus Cremlingen, mehr als 600.000 Euro.
Anlass zu Spekulationen gibt die Ungewissheit, was die drei mit dem Geld machen. Nach dem ersten Überfall 1999 in Duisburg waren sie über DNA-Spuren rasch als Tatverdächtige identifiziert. Staub, Klette und Garweg hatten, so lautete die Hypothese der Ermittler damals, eine neue terroristische Vereinigung gegründet. Der Generalbundesanwalt reagierte prompt - und eröffnete ein Terrorismusverfahren.
Gewöhnliche Kriminelle?
Doch im Laufe der Jahre zerstreute sich dieser Verdacht. Es gebe heute überhaupt keinen Anhaltspunkt mehr für einen Terrorhintergrund, heißt es nun. Im Sommer 2017 gab der Generalbundesanwalt das Verfahren als Raubdelikt an die Staatsanwaltschaft Duisburg ab. Für das Trio gehe es nur darum, das teure Leben im Untergrund zu finanzieren. Man habe es mit gewöhnlichen Kriminellen zu tun, hieß es.
Wolfgang Kraushaar ist da skeptisch. Der Hamburger Politologe gilt als einer der renommiertesten RAF-Forscher. "Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich", sagt Kraushaar, "dass die drei mit einem Teil des Geldes militante Strukturen finanzieren." Linksextreme also, die mit Gewaltaktionen den Staat bekämpfen, aber keine Morde begehen. "Die Beute ist eigentlich zu hoch, um sie allein zu verbrauchen."
Auch sei nicht plausibel, dass Staub, Klette und Garweg ihre Weltsicht geändert hätten. Aus ideologischen Gründen seien sie zur RAF gegangen, hätten ein entbehrungsreiches Leben in der Illegalität riskiert. "Sie werden auch heute eine Haltung der Widerständigkeit gegen das kapitalistische System für sich in Anspruch nehmen", vermutet Kraushaar.
Für die These spricht, dass es offenbar weiterhin Sympathisanten gibt, die sich mit dem Trio verbunden fühlen. Im April schrieb etwa der frühere RAF-Genosse Karl-Heinz Dellwo, Angehöriger der zweiten Generation und erfolgreicher Unternehmer, in einem Leserbrief: Er hoffe, die drei würden "von solidarischen Strukturen getragen" und "nie gefangengenommen".
Auch die Hamburger Hafenstraße fiel mit Solidaritätsbekundungen auf. Ende der Achtzigerjahre gab es dort schwere Krawalle, noch heute leben Alternative in den Häusern. Garweg und Staub wohnten vor ihrem Abtauchen dort. Im Mai 2017 prangte an einem Haus ein Transparent mit dem Spruch: "Freiheit und Glück für Burkhard, Dani und Ernst - Einstellung aller RAF-Verfahren".
"Lasst es Euch gutgehen!"
Die Rote Hilfe wiederum, eine linksextreme Organisation, veröffentlichte in ihrer Mitgliederzeitschrift 2016 ein Editorial, in dem es hieß: "Daniela, Burkhard und Volker: Wir wünschen Euch viel Kraft und Lebensfreude. Lasst es Euch gutgehen -
und lasst Euch nicht erwischen!" Daniela Klette engagierte sich vor ihrem Abtauchen jahrelang in dem Verein, den der Verfassungsschutz beobachtet.
Würde das Trio gefasst, müsste es wohl mit einer langen Gefängnisstrafe rechnen. Die Ermittler werten den Überfall in Stuhr 2015 als versuchten Mord. Selbiges wird darüber hinaus Daniela Klette wegen zweier Terroranschläge Anfang der Neunzigerjahre vorgeworfen.
Gegen alle drei richtet sich der Verdacht, dass sie beim Sprengstoffanschlag in Weiterstadt dabei waren. Bereits 2007 machte der Generalbundesanwalt publik, dass man auf einer Strickleiter DNA von Staub und Klette gefunden habe. Mit der Leiter waren die Täter über die Gefängnismauer geklettert. Starke Indizien gibt es offenbar auch für die Beteiligung Garwegs. Von ihm existiert zwar in den Datenbanken der Behörden kein DNA-Material zum Abgleich. Die Ermittler entdeckten aber in Weiterstadt dieselbe unbekannte DNA wie später bei mehreren Überfällen der Raubserie.
www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/raf-die-suche-nach-ernst-volker-staub-daniela-klette-burkhard-garweg-a-1229742.htmlEhemalige RAF-Terroristen bleiben verschwunden
Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Fahnder außer einiger Überwachungsbilder wenig in der Hand haben. Drei seit langem untergetauche Ex-RAF-Terroristen verüben immer wieder im Norden Raubüberfälle und tauchen dann ab. Gibt es keine neue Spur?
Hannover
Die wegen einer Überfallserie auf Supermärkte gesuchten drei Ex-RAF-Terroristen bleiben auch knapp ein Jahr nach Ausweiten der Fahndung auf Südeuropa verschwunden. Es gebe keine neue Spur zu den Ex-Terroristen Ernst-Volker Staub (64), Burkhard Garweg (50) und Daniela Klette (60), teilte das Landeskriminalamt (LKA) in Hannover mit. Einen Ansatz zu einer neuen öffentlichen Fahndung haben die Ermittler ebenfalls nicht. Zuletzt schlug das Trio im Juni 2016 in Cremlingen bei Braunschweig zu, wo es einen Geldtransporter und ein Geschäft überfiel.
weiter:
www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Ehemalige-RAF-Terroristen-bleiben-verschwunden