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Filmemacher Andreas Maus zum Nagelbombenattentat Dokumentarfilm „Der Kuaför aus der Keupstraße“
Filmemacher Andreas Maus erzählt in seiner einfühlsamen Dokumentation über das NSU-Attentat in der Keupstraße. Von Petra Pluwatsch
Mülheim.
Herr Maus, Sie haben einen Film über den Kölner Nagelbombenanschlag und seine Folgen gedreht: „Der Kuaför aus der Keupstraße“. Was hat Sie an dem Projekt gereizt?
Ich hatte bereits einige Fernsehbeiträge über den NSU gemacht. Im Zuge unserer Recherchen waren wir auch auf Unterlagen zu dem Nagelbombenanschlag gestoßen. Mich interessierte vor allem, was es für diese Menschen bedeuten mag, vom Opfer zum Täter gemacht zu werden. Das war damals ja fast schon ein geflügeltes Wort. Irgendwann hatten wir dann so viel Material zusammen, dass es sich geradezu anbot, einen Dokumentarfilm daraus zu machen.
Die Friseure, vor deren Geschäft die Bombe explodierte, sind jahrelang verdächtigt worden, selber Drahtzieher des Anschlags zu sein...
Nicht nur die Brüder Yildirim. Die ganze Straße stand unter Verdacht. Es ist unglaublich, wie die Polizei versucht hat, diese Menschen in eine bestimmte Ecke zu drängen.
Schlimmer als erwartet
Der Film setzt sich wie ein Puzzle aus vielen einzelnen Szenen und Gesprächen zusammen. Welches Konzept steckt dahinter?
Wir haben zunächst die Aktenlage gecheckt und dem „Sound“ der Akten nachgespürt. Wie wurde ermittelt? Wie haben die Ermittler gedacht? Und wie konnte eine Ermittlung so komplett aus dem Ruder laufen? Parallel dazu lassen wir die Opfer die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählen und spiegeln ihre Wahrnehmungen mit dem, was sich davon in den Akten der Polizei wiederfindet.
Sind Sie zu neuen Erkenntnissen über die Ermittlungen gekommen?
Manches war noch viel erschreckender als das, was die Menschen uns erzählt haben. Wenn man diese Akten liest, versteht man plötzlich, was es konkret bedeutet, vom Opfer zum Täter gemacht zu werden. Damals hieß es ja häufig, es wird schon nicht so wild gewesen sein. Heute kann ich sagen: Nein, all das ist wirklich so passiert und es war so schlimm, wie die Leute sagen.
Sie haben sich auf fünf der Opfer des Anschlags konzentriert. Wie kam es zu dieser Auswahl?
Das sind die Männer, die sich bei der Explosion in dem Friseursalon aufhielten beziehungsweise auf die sich die Ermittlungen der Polizei fokussiert haben: die Friseure Özcan und Hasan Yildirim natürlich und die Kunden Abdulla Özkan, Atilla Özer und Tamer Aldikacti. Die drei wurden der Kölner Türsteherszene zugerechnet, und die Polizei ging davon aus, dass sie irgendetwas mit dem Anschlag zu tun hatten.
Wie lief die Zusammenarbeit?
Es hat eine Weile gedauert, bis sie sich geöffnet haben. Gerade die beiden Friseure trauen sich anfangs vor lauter Angst kaum, den Mund aufzumachen und haben sich permanent selber kontrolliert. Darf ich das jetzt sagen? Was könnte passieren, wenn ich rede? Gerate ich womöglich noch einmal in den Fokus von Rechtsradikalen?Wie haben Sie ihnen ihre Angst genommen?
Das war gar nicht nötig. Sie haben durch den Umgang mit ihrer eigenen Geschichte zunehmend an Selbstbewusstsein gewonnen, und irgendwann waren sie total offen. Sie haben sogar über Dinge geredet, die ihnen hätten peinlich sein können. Welcher Mann gibt schon gern zu, dass er Angst hat. Auch miteinander gehen sie jetzt ganz anders um und können akzeptieren, dass sie in vielen Dingen unterschiedlicher Meinungen sind. In diesem Punkt sind sie ebenfalls sehr viel offener geworden.
Polizei wollte sich nicht äußernWieso kommt die Polizei bei Ihnen nur in einem kurzen Statement des ehemaligen Polizeipräsidenten Klaus Steffenhagen zu Wort?
Polizei und Staatsanwaltschaft haben von Anfang an gesagt, dass sie sich zu den Ermittlungen inhaltlich nicht äußern werden.
Im Film wird der NSU-Prozess komplett ausgeblendet. Warum das?
Ursprünglich war durchaus geplant, unsere Protagonisten nach München zu begleiten und den Prozess aus ihrer Perspektive zu thematisieren. Doch dann wurde der Teil, der sich mit dem Anschlag in Köln befasst, immer weiter nach hinten geschoben bis auf Anfang 2015. Zu diesem Zeitpunkt waren wir jedoch weitgehend durch mit den Dreharbeiten. Wir merkten zudem, dass der Film den Prozess überhaupt nicht braucht. Also haben wir ihn komplett rausgelassen.
Was heißt, der Film braucht den Prozess nicht? Er dürfte doch enorm wichtig sein für die Menschen hier
Ich glaube, da sind die Erwartungen von Anfang an gegen Null gegangen. Auch dieser Prozess wird nicht dazu führen, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt oder dass es für sie eine Entschuldigung gibt. Ich glaube ohnehin, dass es noch sehr lange dauern wird, bis die Menschen hier verarbeitet haben, was passiert ist. Bei manchen wird das vielleicht nie der Fall sein.
Regisseur Andreas Maus