Zeuge beschreibt Mundlos und Böhnhardt als rechte Szenepolizei von Jena
16.09.2015 - 15:50 Uhr
München. Fünf Ladungen waren erforderlich, bis Tom T. als Zeuge im NSU-Prozess befragt werden kann. Am Mittwoch war es dann soweit, der 37-Jährige erschien vor Gericht.
www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Zeuge-beschreibt-Mundlos-und-B-246-hnhardt-als-rechte-Szenepolizei-von-Jena-1784306706#.VfmT5LDNKVA.twitterRalf Wohlleben (im Bild) sei laut Aussage des Zeugen damals eine Führungsfigur in der rechten Szene in Jena gewesen. Archiv-Foto: Sascha Fromm
Tom T. kommt in hochgeschlossener schwarzer Trainingsjacke und dunkler Hose. Am Hals ist der Ansatz eines Tattoos erkennbar, dessen Fortsetzung die hinterm Ohr rasierten Haare erkennen lassen. Anfangs wirkt er nervös, antwortet hastig auf die Fragen des Gerichts. Doch in seiner mehrstündigen Befragung gibt er tiefe Einblicke ins Entstehen der Jenaer Neonazi-Szene.
Zugleich bestätigte er dem Gericht, dass sich die in der Anklage genannten Thüringer Personen aus der Beschaffungskette für die mutmaßliche NSU-Mordwaffe „Ceska 83“ gekannt haben. Einen der Betreiber des Jenaer Szeneladens „Madley“ bezeichnete der Zeuge als einen seiner besten Freunde in der damaligen Zeit. Über diesen Laden seien damals Kontakte in der Szene geknüpft worden. Auf direkte Nachfrage verneinte er aber, Kenntnis davon zu haben, dass über das „Madley“ illegal Waffen vertrieben wurden.
Böhnhardt war der „Mann fürs Grobe“
Die verstorbenen mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren nach seinen Angaben nicht von Anbeginn die engen Kameraden, als die sie später viele erlebt und auch vor Gericht beschrieben haben. So hatte der Zeuge im April 2013 Böhnhardt bei der Polizei als den „Mann fürs Grobe“ beschrieben. Er sei jemand gewesen, der „einer Konfrontation nicht aus dem Weg gegangen“ ist, bestätigt der Zeuge seine damalige Aussage.
„Wenn wir damals alle links gewesen wären, wäre er Linksterrorist geworden“, hatte der Betonbauer der Polizei noch zur Charakterisierung von Böhnhardt gesagt. Er sei bei weitem nicht so überzeugt wie Mundlos gewesen, der mit „seiner Meinung geboren“ wurde, erklärt er nun seine damalige Einschätzung. Mundlos habe mit den Leuten argumentiert. Er sei nicht der aggressive Typ gewesen.
Zschäpe war „Kumpeltyp“
Beate Zschäpe beobachtet den Zeugen während seiner Aussage genau. Für eine gewisse Zeit soll der Kontakt zwischen ihr und dem Mann recht eng gewesen sein. Denn Tom T. war 1993 mit Mundlos immer wieder auf Skinheadkonzerte gefahren. „Sie war dabei“, beschreibt der Zeuge ihre Rolle als damalige Freundin von Mundlos und wie schon andere frühere Bekannte der Hauptangeklagten fügt auch er den Satz hinzu, dass sie sich durchsetzen konnte.
Zur politischen Einstellung der 40-Jährigen konnte er nichts sagen. Sie sei ihm „nicht als politische Aktivistin aufgefallen“. Der Polizei hatte er vor zwei Jahren gesagt, sie sei der Kumpeltyp gewesen. Wenn sie mitdiskutiert habe, dann mit den Worten von Mundlos. Tom T. lernte Böhnhardt bereits 1991 oder 1992 in einem Jenaer Kinderheim kennen, als Böhnhardt dort einen Bekannten besuchte.
Die KSJ
Der Zeuge gehört zu den Gründern der rechtsextremen Kameradschaft Jena. Er spricht immer nur von der „KSJ“. Ziel sei gewesen, die eigenen Interessen durchzusetzen und nennt Demonstrationen, Kameradschaftsabende sowie das Verteilen von Flugblättern. Er erzählt auch davon, dass damals in Jena die Linken Häuser besetzt hätten und dass die Sozialarbeiter im Winzer-Club, einem Jugendclub in einer Plattenbausiedlung, ihn und seine Kumpel „gepiesackt“ hätten. Der Club war in den 1990er Jahren als Treff der rechten Szene stadtbekannt.
Richter Manfred Götzl hakt gegen Mittag nach einer geduldigen Befragung nach, ob er den Zeugen richtig verstanden habe, dass mit dessen Formulierung von der politischen Zukunft ein Jugendclub für die Kameradschaft gemeint gewesen sei. Der Gefragte druckst herum. „Nicht nur Jugendclubs.“ Götzl erkundigt sich erneut nach den politischen Zielen. Tom T. zählt noch einmal Demonstrationen und Kameradschaftsabende auf, aber keine Inhalte. „Wir waren keine Skins, sondern eher Scheitel-Faschos, also politische Aktivisten“, hält der Richter dem Mann nun seine Aussage vom April 2013 bei der Polizei vor.
Ja, so habe sich die Gruppe gesehen, räumt der Gefragte nun ein. Die Frage nach den politischen Zielen lässt er aber weiter offen. Doch Richter Götzl will das wissen: „Waren sie Musiker“, erkundigt er sich. Er sei Sänger gewesen, in der Band „Vergeltung“, räumt der Zeuge nun ein. Was er denn für Texte gesungen habe. Es sei um Ausländer gegangen und um Drogenprobleme. Die Texte fallen ihm nicht mehr ein, kommt als Antwort. Vor zwei Jahren bei der Polizei war der Zeuge auskunftsfreudiger. Dort bezeichnet er seine Musik als „R.A.C. - rock against communism“. Als Rock gegen Kommunismus.
Wohlleben und Böhnhardt waren wie die Szenepolizei
Zu den Gründern der Kameradschaft Jena gehörten auch die Angeklagten Ralf Wohlleben und Holger G. Der Zeuge nennt auch Beate Zschäpe. Wohlleben beschreibt er als eine der damaligen Führungsfiguren, als einen engagierten Typ, aber auch als jemanden, der immer mit dabei war. Holger G. soll ein enger Freund von Wohlleben gewesen sein und habe immer Musik besorgen können.
Nach mehreren Stunden Befragung hält Richter Götzl Tom T. vor, dass er der Polizei aber auch erzählt habe, dass sich Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt als „elitäre Gruppe abgesondert“ hätten. „Sie spielten sich auf als die SA der Neuzeit“, zitiert der Richter seine damalige Aussage aus dem Polizeiprotokoll.
Er habe darauf angespielt, dass Mundlos und Böhnhardt später entsprechend gekleidet durch Jena spaziert seien. „Die waren ein bisschen wie die Szenepolizei“, erklärt der 37-Jährige. So soll ihn Mundlos einmal kritisiert haben, weil er gekifft hatte. Andere Kameraden wären ermahnt worden, weil sie zu viel Alkohol getrunken hätten.
Auffällig ist, dass der Zeuge immer dann bei seinen Aussagen ins Stocken gerät, wenn er seine eigene rechtsextreme Einstellung benennen und erklären soll. Er bestätigt aber immer ohne Zögern diesbezügliche Angaben, die er vor zwei Jahren bei der Polizei gemacht hatte. Doch das Gericht hält dem Zeugen auch eine Aussage aus dem Jahr 1997 vor. Daran kann er sich kaum noch erinnern.
Interessant ist aber, dass Tom T. bereits damals mit Tino Brandt eine der Thüringer NPD-Führungsfiguren als Spitzel des Verfassungsschutzes bezeichnete und dass er seine Behauptung auch anhand eines Beispiels beschreiben konnte. Brandt wurde aber erst im Mai 2001 von der Thüringer Allgemeine enttarnt. Seit dem Vorjahr sitzt Brandt eine mehrjährige Haftstrafe unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ab.
Der NSU-Prozess verhandelt bereits seit Mai 2013 gegen insgesamt fünf Angeklagte. Beate Zschäpe soll gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt die mutmaßliche Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gebildet haben. Die Gruppierung wird für zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle verantwortlich gemacht.
Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe Mittäterschaft vor. Ralf Wohlleben und Carsten S. sind wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt. Sie sollen am Beschaffen der NSU-Mordwaffe „Ceska 83“ mit beteiligt gewesen sein. Holger G. und Andrè E. müssen sich unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verantworten.