Ein Autohändler möchte Ihnen ein Auto verkaufen. Sie braucht ein Auto und er braucht Ihr Geld. Er setzt einen Vertrag auf.
In dem Vertrag steht dann so etwas: »Der Käufer wird das Geld zahlen. Der Händler sollte das Auto wann es ihm passt und auf vollständig freiwilliger Basis liefern.«
Würden Sie so einen »Vertrag« unterschreiben? Würden Sie es ernst nehmen – oder würden Sie lachend und kopfschüttelnd aus der Tür gehen und nie wieder mit diesem Händler zu tun haben wollen? Ich nehme an, dass ich Ihre Antwort kenne.
Beim EU-Gipfel in Brüssel wurde ein Papier mit »Schlussfolgerungen« beschlossen (siehe:
europa.eu).
Der erste und wichtigste Punkt ist: »Migration« – Was sind denn die Anliegen aus deutscher Sicht? Einfach: Dass weniger Menschen in Deutschland angesiedelt werden. Wie könnte man das erreichen, neben Grenzkontrollen? Zum Beispiel, indem man Zentren einrichtet, in denen Menschen gesammelt werden, die einreisen möchten, aber noch nicht geprüft wurden. Diese Zentren werden ein Hotspot von Problemen sein. Das ist abzusehen. Es wäre klug, diese Zentren nicht nur in Deutschland, sondern näher an Europas Grenzen einzurichten. So verhindert man, dass Menschen erst nach Deutschland hineinreisen.
Ich zitiere aus Punkt 6 der »Schlussfolgerungen« vom Gipfel – Hervorhebungen von mir:
»Im Gebiet der EU sollten die geretteten Personen entsprechend dem Völkerrecht auf der Grundlage gemeinsamer Anstrengungen im Wege der Beförderung zu – in den Mitgliedstaaten auf rein freiwilliger Basis eingerichteten – kontrollierten Zentren übernommen werden, in denen eine rasche und gesicherte Abfertigung es mit vollständiger Unterstützung durch die EU ermöglichen würde, zwischen irregulären Migranten, die rückgeführt werden, und Personen, die internationalen Schutz benötigen und für die der Grundsatz der Solidarität gelten würde, zu unterscheiden. Alle Maßnahmen im Zusammenhang mit diesen kontrollierten Zentren, einschließlich der Umsiedlung und der Neuansiedlung, erfolgen auf freiwilliger Basis, unbeschadet der Dublin-Reform.«
Der Titel dieser Vereinbarung ist »Schlussfolgerung«. Es ist kein »Vertrag«, doch nehmen wir an, es wäre einer. Jeder Vertrag ist nur so viel wert, wie die Sanktionen im Fall der Vertragsverletzung.
Deutlich weniger unbestimmt sind die Schlussfolgerungen zum Beispiel gleich beim nächsten Punkt, Nummer 7, welcher so beginnt: »Der Europäische Rat kommt überein, die zweite Tranche der Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei auf den Weg bringen und zugleich 500 Mio. Euro von der Reserve des 11. EEF auf den EU-Treuhandfonds für Afrika zu übertragen.« – Das Geld fließt, ohne »freiwillig« oder »soll«. Wenn es um Geld geht, das irgendwo versickern wird, wird es gleich sachlich und konkret.
Mittlerweile berichten Medien, dass Merkel die Zusagen von »14 weiteren Staaten« hat, ihr zur Seite zu stehen (z.B. spiegel.de, 30.6.0218). Es klingt gut, und scheint für Merkel zu sprechen – bis man zwei Sekunden darüber nachdenkt. Länder wie Schweden und Tschechien sollen zugesagt haben, dass Migranten zurück überführt werden in das EU-Land ihrer Erstregistration – so weit ich mich an meinen Erkunde-Unterricht erinnere, liegen weder Schweden noch Tschechien am Mittelmeer. – Nachtrag, ca. 15:30 Uhr: Tschechien hat die Zusage inzwischen dementiert (siehe z.B. welt.de, 30.6.2018).
Sie können das PDF-Dokument bei europa.eu ja selbst aufrufen und mit der Suchfunktion auf Ihrem Computer nach der Zeichenkette »soll« suchen. Anschließend können Sie beurteilen, was es wert ist. Die Vereinbarungen von Brüssel sind vor allem ein Dokument der Merkelschen Isolation in Europa. Ihre Isolation wird in höfliche Floskeln verpackt. Merkel ist wie der spendable, aber nicht ganz rationale Lottogewinner, dem Verwandte, Händler und Gastwirte gern sein Geld abnehmen, während sie tunlichst bemüht sind, nicht mit in das Desaster hinabgezogen zu werden, auf das er zusteuert.
In den »Schlussfolgerungen« geht es aber nicht nur um Migration. Es werden weitere Themen angeschnitten.
Abschnitt IV, Punkt 19 liest sich so: »Europa muss seine Spitzenforschung EU-weit weiter ausbauen und daraus neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entwickeln. Wir brauchen ein stärkeres und inklusives Innovationsökosystem, um bahnbrechende und marktschaffende Innovationen zu fördern und Unternehmen mit disruptivem Potenzial – einschließlich KMU – umfassend dabei zu unterstützen, erfolgreich in globale Märkte vorzudringen.«
Auf den ersten Blick: das übliche Merkel Ipsum. Leertext, der Offliner glauben lassen soll, Mutti kenne sich heimlich im Neuland besser aus als sie zugibt. Es ist Bullshit-Bingo, wahrscheinlich verfasst von einem dieser Berliner Typen – wir kennen sie alle – die schmalschultrig und mit Designerbrille in einem immerzu das Gefühl wecken, sie litten nervöse Angst, bald als Hochstapler entlarvt zu werden.
Betrachten wir die Bingokarte einmal näher! Es scheint Leertext zu sein, aber verräterischer Leertext. Nehmen wir beim Wort, was nicht beim Wort genommen werden will! Zoomen wir auf eine besonders verräterische Formulierung: »Europa« soll »Unternehmen mit disruptivem Potenzial« »fördern«.
Als »disruptive Innovation« werden Ansätze bezeichnet, die bestehende Technologien und Geschäftsmodelle in Frage stellen. Beispiele: YouTube gegenüber Heimvideo, Wikipedia gegenüber Enzyklopädien, News-Aggregator vs. Zeitungskiosk.
Das erste Problem des behaupteten Wunsches ist, dass man zwar sagt, dass man disruptive Innovation möchte, doch gleichzeitig mit teils drakonischen Maßnahmen eben diese Innovation bekämpft.
Was bedeutet es denn überhaupt, dass »Europa … Produkte entwickeln« soll? Es soll wohl bedeuten, dass in Europa Produkte entwickelt werden. Also im EU-Raum.
Innerhalb der EU, die Zensurwerkzeuge entwickelt, wie etwa die im selben Dokument in Punkt 13 (!) ausdrücklich begrüßten Uploadfilter (»Verbesserung der Erkennung und Entfernung von Inhalten zu unterbreiten, die zu Hass und zu terroristischen Handlungen anstiften«)?! Im Deutschland, das mit NetzDG gegen Meinungsfreiheit vorgeht? Im Europa, das mit absurden Datenschutz-Konstrukten die Kleinunternehmen in die digitalen Arme großer Plattformen zwingt? Im Europa, das mit von Lobbyisten inspirierten Gesetzen wie dem »Leistungsschutzrecht« die Neugründung von Remix-Medien-Start-ups verhindert? (siehe z.B. zeit.de, 30.6.2018)
Die Schere zwischen erklärter EU-Absicht und praktischer EU-Handlung öffnet sich im Digitalen wöchentlich weiter. Die EU holt sich ihre digitalen Inspirationen in der Türkei oder im Iran, nicht im Silicon Valley. EU und Deutschland binden digitalen Medien-Start-ups die Füße zusammen und sagen dann: Jetzt lauft mal schön!
Wir alle wissen, was die »Förderung« bedeutet. Politisch korrekte Fördergeld-Profis mit guten Beziehungen werden für irgendwelche Phantasie-Businesspläne viel EU-Geld abgreifen; das Geld wird versickern und keiner wird mehr drüber sprechen, denn die nächste Krise wird bevorstehen.
Und dennoch, trotz allem, die Schere zwischen erklärter Absicht und Praxis ist nicht das größte Problem. Es gibt ein größeres, gemeinsames Problem. Beide Krisen haben im Kern dasselbe Problem: Die Migrationskrise und die Innovationskrise haben beide ihre Ursache in kontraproduktiven Denkmustern.
Migrationskrise: Es sind nicht Chinesen, Schweden, Amerikaner oder Israelis, die zu hunderttausenden nach Deutschland ziehen. Es sind Menschen aus Regionen, in denen bestimmte Denkmuster vorwiegen – und da, wo sie sich in Deutschland ansiedeln, werden die Denkmuster und Krisen dupliziert.
Innovationskrise: Automobile (Benz Patent-Motorwagen), Computer (Konrad Zuse) und MP3 (Audio-Kompressionsverfahren, das digitalisierten Medien zum Durchbruch verhalf) wurden allesamt in Deutschland erfunden. Auch Zeitungen als Nachrichten-Medien stammen aus Europa, mit mehreren Anfängen und Einflüssen (etwa die »Notizie scritte« Venedigs im 16. Jahrhundert, die 1 Gazetta kosteten), nicht unwesentlich mit der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern des Johannes Guttenberg. Heutige Trendsetter in denselben Gebieten sind allerdings , als Beispiele: Tesla (USA), Apple (USA), Netflix (USA) und Twitter/Facebook (beide: USA). (Eine Ausnahme ist übrigens der Musik-Trendsetter Spotify, der in Schweden sitzt.)
Der berühmte Mit-Gründer von Apple, Steve Jobs, war ein einflussreicher Denker, der indische Weisheitslehren studierte und dafür Indien bereiste. Seine Metapher für Computer als »Denkfahrrad« ist klug und inspirierend zugleich (siehe youtube.com). Ich habe seine Stanford-Rede noch vor seinem Tod mehrfach gesehen und für mein eigenes Leben anzuwenden versucht (siehe youtube.com). Ich war 2008 bei der WWDC in San Francisco, wo ich Steve Jobs live erleben durfte (siehe youtube.com). (Elli und ich brachten 2 Wochen nach dem Start des AppStores eine recht erfolgreiche App in den Store. Mittlerweile haben wir sie verkauft – raten Sie mal, in welches Land.)
Und, wer sind in Deutschland die Tonangeber in Sachen technische Entwicklung? Nehmen wir das aktuellste Beispiel. In dieser Woche schwappte etwas mit dem Namen »Morals & Machines« in meinen Medienfeed. Früher wäre ich darauf angesprungen. Heute weiß ich, dass Berliner Veranstaltungen, die sich so nennen, weder von Morals noch von Machines viel wissen. Die Veranstaltung wurde eröffnet von Miriam Meckel im Gespräch mit Angela Merkel. Nicht ganz Elon Musk, Steve Jobs oder Mark Zuckerberg. Was qualifiziert Miriam Meckel, von »Morals & Machines« zu reden? Sie ist Herausgeberin der WirtschaftsWoche. Hmm. Und sie findet: »Die AfD schadet der politischen Kultur und Stabilität. Sie ist für freiheitlich denkende Menschen nicht wählbar« (wiwo.de, 11.3.2016). Merkel-Interviewerin Anne Will war im Publikum. Und auch Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner. (Übrigens, ein Auszug aus dem oben verlinkten Die-Zeit-Artikel: »Ein Anwalt von Axel Springer gab bei einer Anhörung im EU-Parlament unumwunden zu, dass es den Verlagen genau darum geht, solche Plattformen aus dem Weg zu räumen.«)
Ich muss spontan an einen alten Witz denken: »In Moskau wird ein Tanzclub eröffnet, um Amerikaner anzulocken und auszuhorchen. Doch, der Betrieb will einfach nicht laufen. Der Parteichef ruft die Verantwortlichen zu sich. Er fragt woran es liegt. Vielleicht an der Lokalität? Nein, beste Lage? An den Getränken? Nein, bester Krimsekt. An den Tänzerinnen? Kann nicht sein! Sind handverlesen und jede seit 50 Jahren in der Partei!«
Solange in Deutschland allabendlich linksgrüne Polit-PR in alle Haushalte geblasen wird, welche das selbstständige Denken dämonisiert und politisch korrekte Haltung preist, solange in Schulen und Medien ein Kult der feigen Zusammenhangsblindheit und des moralinbesoffenen Gehorsams bis in den Tod gelehrt werden, solange Deutschland diese Probleme, die in unproduktiven Denkmustern begründet sind, mit Steuergeldern und wohlfeilen Erklärungen zukleistern will, so lange werden die Krisen nicht gelöst, sondern höchstens verschleppt.
Die Migrationskrise und die Innovationskrise haben im Kern dieselbe Ursache: Unproduktive Denkmuster verhindern den eigenen Erfolg.
Beide Krisen, Migrations- und Innovationskrise, müssen dieselbe Lösung haben: Europäische Bürokraten und Medienpromis werden keine »disruptiven Innovationen« erfinden – sie werden sie aber garantiert verhindern, wenn sie auf Lobbyisten und alte Konzerne hören. Europäische NGOs und Wohlfahrtskonzerne werden die Probleme Afrikas nicht lösen, indem sie das Geschäft der Schlepper lukrativ machen – sie werden es vielmehr verdoppeln.
Verbesserung braucht Verantwortung und Verantwortung braucht Freiheit. Mit jedem Tag, den Merkel an der Macht ist, verliert Deutschland etwas Freiheit, Meinungs- wie Handlungsfreiheit, und damit die Möglichkeit zur Verantwortung.
Wäre Merkel ein Autohändler, würde sie ausgelacht werden. Auf der anderen Seite: Wer Merkel ein Auto abkauft, der ist doch ein Stück weit selbst Schuld – und sollte er nicht erst recht ausgelacht werden?
Viele wunderbare Menschen haben ihre Lebenszeit, ihren Enthusiasmus, ihre Hoffnung und ihr Erspartes in Deutschland investiert. Es ist unfair und es tut mir weh, wenn diese Menschen ausgelacht werden.
Kein vernünftiger Mensch würde Merkel ein Auto abkaufen. Die Deutschen sollten sie nicht mehr ihr Land regieren lassen. Es ist höchste Zeit, auch und gerade in der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, für eine »disruptive Innovation«.