Anschlagsplanungen
Deutsche IS-Zelle pflegte Kontakt zum Umfeld des Wien-Attentäters
www.welt.de/politik/deutschland/article226377097/Deutsche-IS-Zelle-Propagandanetzwerk-fuer-den-Dschihad-in-Europa.htmlDer Generalbundesanwalt klagt fünf Mitglieder einer IS-Zelle an, die Anschläge in Deutschland planten. Neue Ermittlungen zeigen, dass sie in das Netzwerk der Attentäter von Stockholm und Wien eingebunden waren. Ein Rätsel um die Gruppierung ist noch ungelöst.
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Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen fünf weitere Mitglieder einer deutschen Zelle der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erhoben. Die tadschikischen Beschuldigten Farhodshoh K., Muhammadali G., Azizjon B., Sunatullokh K. und Komron B. sollen im Jahr 2019 Anschläge in Deutschland geplant haben.
Ziel sei es gewesen, unter Anleitung von hochrangigen IS-Führern aus Syrien und Afghanistan Ungläubige zu töten. Laut Anklage wollte die Zelle unter anderem einen Islamkritiker aus Neuss umbringen. Schusswaffen und Bombenbauanleitungen besaßen sie bereits.
Ein Mitglied der Gruppierung wurde schon vor einem Jahr aus Deutschland abgeschoben. Ein weiteres Mitglied, Ravsan B., wurde Ende Januar in einem gesonderten Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt, WELT berichtete darüber.
Die neue Anklage offenbart, dass die Zelle noch tiefer in islamistische Terrornetzwerke weltweit eingebunden war als bislang bekannt: Mitglieder standen in Kontakt mit Personen aus dem Umfeld der Attentäter von Stockholm (2017) und Wien (2020).
Eine Schlüsselrolle bei dieser internationalen Vernetzung soll Azizjon B. und Farhodshoh K. zugekommen sein.
Ermittlern gelang es, verschiedene Datenträger von Azizjon B. zu entschlüsseln – Handys, Computer und ein Tablet. Daraus geht hervor, so der Vorwurf, dass B. aus Deutschland heraus ein umfassendes IS-Propagandanetzwerk steuerte. So programmierte er etwa eine eigene Handy-App, mit der Inhalte verbreitet wurden.
Mit diesem russisch- und tadschikischsprachigen Onlinenetzwerk der „IS-Provinz Khorasan“ habe die Vereinigung laut Bundesanwaltschaft Anhänger weltweit radikalisiert sowie ideologisch geschult. Zudem seien finanzielle Mittel gesammelt und „neue Mitglieder für den bewaffneten Kampf im Sinne des Dschihad“ rekrutiert worden.
Wie der Gefährder seine Aufpasser täuschte
Laut Bundesanwaltschaft war das Netzwerk zudem „maßgeblich in die Radikalisierung“ des Attentäters eingebunden, der in Stockholm am 7. April 2017 mit einem Lastkraftwagen vier Menschen tötete. Nach Informationen von WELT administrierte Azizjon B. Onlinegruppen, in denen der Stockholm-Attentäter vertreten war.
B., der bereits 2017 Verbindungen zum IS pflegte, soll für die deutsche IS-Zelle 2019 auch den Kontakt zu einem afghanischen IS-Prediger hergestellt haben.
Dieser Prediger und eine weitere IS-Führungsperson aus Syrien, Deckname „Abu Fatima“, gaben den deutschen Islamisten konkrete Befehle – unter anderem zum letztlich vereitelten Anschlag auf einen Islamkritiker aus Neuss 2019. „Abu Fatima“ hatte die Zelle zuvor angewiesen, sich dem Dschihad in Deutschland zu widmen.
Kontakt ins Umfeld des IS-Attentäters
Neu ist, dass sich die Zelle auch mit Personen aus dem Umfeld des IS-Attentäters von Wien vernetzt hatte. Bei dem Anschlag wurden am 2. November 2020 vier Menschen erschossen und mehr als 20 weitere verletzt, bevor die Polizei den Attentäter töten konnte.
Zur Schulung militärischer Fähigkeiten, so der Vorwurf, hätten sich Mitglieder der deutschen Zelle zum Paintball-Spielen getroffen. Unter den Teilnehmern dieser Trainingseinheiten seien Islamisten gewesen, die mit dem Wien-Attentäter in Kontakt standen.
Ein Anschlag wie zur Hochzeit des IS
Die Gruppierung der Tadschiken hatte sich bereits Ende 2018 zusammengefunden. Im Frühjahr 2019 waren ihre Anschlagsplanungen aufgeflogen. Damals nahm die Polizei zwei Mitglieder der Zelle, darunter Ravsan B., fest. Fortan soll sich die Ausrichtung der verbliebenen Gruppierung verändert haben. Farhodshoh K. habe die Leitung übernommen und vor allem die Finanzierung des IS in den Fokus gerückt.
In einem Fall, teilt die Bundesanwaltschaft mit, habe Farhodshoh K. „den Transfer von 18.000 Euro mittels zweier Bargeldkuriere per Flugzeug in die Türkei“ veranlasst. Dort sei das Geld an einen Finanzagenten des IS übergeben worden.
Ein Rätsel um die Gruppierung ist bislang ungelöst. Mehrere Mitglieder der Gruppierung schauten sich 2019 nach Möglichkeiten um, Fallschirmspringen zu erlernen. Gleichzeitig legen Handydaten nahe, dass sie sich an mehreren US-Militärstützpunkten in Deutschland aufhielten. Spähten sie mögliche Angriffsziele aus? Ermittler halten es zumindest für unwahrscheinlich, dass die Islamisten Fallschirmspringen als neues Hobby im Blick hatten.