Interview
Oliver Stone will den Mordfall JFK wieder aufrollen und sagt: «Mein Land könnte ein wundervoller Ort sein wie die Schweiz, so friedvoll. Warum sind wir es nicht?»
Mit «JFK Revisited» kratzt der amerikanische Regisseur weiter an der offiziellen Version des Tathergangs. Im Video-Ferngespräch erklärt er, warum sein Land seiner Meinung nach seit jenem Attentat vergiftet ist.
Urs Bühler 20.11.2021, 05.30 Uhr
Mister Stone, Ihr Film über die Ermordung von John F. Kennedy wirft mehr Fragen auf, als dass er Antworten liefert.
Ich weiss nicht genau, was Sie meinen. Da sind sehr ernsthafte Antworten drin, glaube ich. Wir zeigen zum Beispiel, dass Lee Harvey Oswald unmöglich ein Einzeltäter gewesen sein kann. So widerlegen wir etwa eindeutig die Theorie, dass es nur drei Kugeln gewesen seien. Eine muss von vorne eingetreten sein, es waren also mehrere Täter. Das alles wurde vertuscht.
Woher wissen Sie . . .
. . . Entschuldigen Sie, Urs, können Sie etwas lauter sprechen? Sie klingen ein bisschen, als wären Sie unter Wasser.
Tut mir leid, ich hoffe, die wackelige Videoverbindung wird besser. Woher wissen Sie, dass vertuscht und nicht einfach gepfuscht wurde bei den Ermittlungen?
Bei der Autopsie wurde beispielsweise die grosse Kopfwunde vorn verdeckt, und man veränderte oder unterschlug ganz klar Zeugenaussagen, welche die offizielle Version infrage stellten.
Manche sagen, der Superinvestigator Stone könne einfach nicht ablassen von der Verschwörungstheorie, die er seit über dreissig Jahren verfolge.
Es geht hier nicht um mich. Oliver Stone macht einfach einen Film und bekommt eine gewisse Aufmerksamkeit. Die Untersuchung habe nicht ich lanciert, es war Mark Lane. Ich bin auch kein Ermittler, aber es ist nun die dritte Generation von solchen mit diesem Fall beschäftigt: Hunderte von Bürgern – manche von ihnen sind jetzt sehr alt – haben das gewissenhaft untersucht in den letzten Jahrzehnten und als Experten alle Details verfolgt.
Ihr Film gibt vor, eine journalistische Recherche zu sein. Warum zeigen Sie nicht auch stärker die andere Perspektive, wie es dem journalistischen Prinzip entspräche?
Ich habe es erstens versucht, aber es wurde viel gelogen. Zweitens wäre es Zeitverschwendung, denn die offizielle Version ist Nonsens, und sie wird von praktisch jedem bisherigen Dokumentarfilm zum Thema gespiegelt. Drittens würde der Film viel zu lang, wenn beide Seiten ausführlich dargestellt wären. Will man eine wissenschaftliche Erklärung des Attentats, kommen wir diesem Anspruch am nächsten.
Alles in Ihrem Film zielt darauf hin, den Warren-Report zu widerlegen. Aber auf einer Skala von eins bis hundert: Wie sicher sind Sie, dass die CIA in die Tat involviert war?
Die CIA hat noch immer nicht alles Material freigegeben. Fest steht, dass das von Leuten mit sehr viel Macht geplant wurde. Und auf diesem ganzen Fall sind die Fingerabdrücke der Geheimdienste verstreut. Bei der Untersuchung lief von allem Anfang an vieles krumm, viel Material wurde verborgen. Und der Hauptfehler war, dass der vormalige CIA-Chef Dulles in der Warren-Kommission sass.
War Präsident Lyndon B. Johnson in den Anschlag auf Kennedy involviert?
Für mich ist das schwer zu glauben, auch wenn manche es behaupten. Aber er war an der Vertuschung beteiligt, das steht ausser Frage. Er mag nicht gewusst haben, was passierte, aber er wollte es auch nicht herausfinden.
Welches Motiv soll die CIA gehabt haben, den Präsidenten zu eliminieren?
Das ist eine sehr wichtige Frage: Sie brachten ihn um, weil er Dinge änderte und sie damit verärgerte. Er war eine Bedrohung für die ganze Struktur der Vereinigten Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg. Er hinterfragte die Position der Geheimdienste und des Militärs. Sie wollten in Kuba einmarschieren, er weigerte sich mit der Begründung, er könne mit Castro leben und wolle nicht den Weltfrieden gefährden. Mit Chruschtschow schloss er den ersten Vertrag zwischen den USA und Russland seit dem Krieg ab. Und er wollte die Truppen aus Vietnam zurückziehen, pflegte starke Beziehungen zu Drittweltländern, für die er sich sehr einsetzte.
Kennedy scheint Ihr Hero zu sein.
Sein Tod war tragisch, aber darum geht es nicht. Sondern darum, was seine Ermordung für mein Land bedeutet, was mit diesem danach geschah: Roosevelt war der letzte Präsident, der wirklich Kontrolle hatte, und Kennedy war daran, in seine Fussstapfen zu treten. Danach gab es keine Rückkehr mehr. Kein Präsident seit ihm hatte eine Chance, etwas gegen die Geheimdienste mit ihrer eigenen Agenda zu tun oder das Militär zu reduzieren. Die Monster sind nur noch mehr gewachsen seither.
In Ihrer Rede bei der Filmpremiere in Cannes sagten Sie, es brauche jemanden mit grossem Mut, der helfe, diese Untersuchung zu reanimieren. Müsste das ein Präsident der USA sein?
Nun, das wird nicht passieren.
Joe Biden ist nicht diese Person?
Er ist irischstämmiger Katholik, da liegt der Gedanke nahe, dass er JFK genug respektieren würde, um etwas zu tun. Aber er hat, ganz im Gegenteil, den Fall wieder geschlossen und Covid-19 als Ausrede dafür genommen. Soviel ich weiss, sind 20 000 Dokumente noch immer unter Verschluss. Das ist lächerlich. Wovor fürchten sie sich?
Was also muss geschehen, damit der Fall nochmals aufgenommen wird?
Come on! Haben Sie als Journalist je mit Geheimdiensten zu tun gehabt? Es war eine sehr verdeckte Operation, es ist ihr Job, das weiterhin zu verdecken und zu lügen. Die CIA ist längst ein Monster, das unabhängig existiert. Kein Präsident seit Kennedy schaffte es, dieses Monster zu kontrollieren. Er selbst sagte ja, es gelinge ihm nicht. Er hat einige gefeuert, aber nicht ganz aufräumen können.
Und die Medien. Sind sie komplett kontrolliert?
Ja. Also nicht gerade komplett. Aber sie waren Komplizen. Sie haben die Warren-Kommission vom ersten Tag an akzeptiert und die Theorie gestützt, dass Oswald ein Einzeltäter war.
Sie haben schon gesagt, das Land und sein System seien mit diesem Attentat vergiftet worden. Ist es darum so wichtig, den Fall ganz aufzudecken?
Absolut richtig. Kennedy wollte wirklich einen Weltfrieden. Seit seiner Ermordung aber hat Amerika immer aggressiver versucht, die Welt zu kontrollieren. Man will sich stets auf Krieg vorbereiten und schiebt Gefahrenlagen vor. Die Essenz dieses Landes ist die Kriegswirtschaft geworden. Schauen Sie, was wir gerade in Afghanistan gemacht haben. All das Geld, das da verschwendet wird für lächerliche Operationen, könnte man viel besser investieren. Jetzt haben wir einen kalten Krieg mit China.
Und Sie denken, es wäre alles anders, wenn das damals nicht geschehen wäre?
Nun, Vietnam wäre nicht passiert, und das hätte alles verändert. Dass wir dort ein Vermögen investiert und doch verloren haben, hat eine ganze Kettenreaktion ausgelöst.
Sie haben keine Produktionsfirma in den USA gefunden, die diesen Film finanziert hätte, und die Plattformen wie Netflix haben ihn nicht aufgenommen. Was schliessen Sie daraus?
Diese Plattformen wollen einfach das grösstmögliche Publikum, also keine Kontroverse. Vor allem aber ist es ein Tabuthema. Alles ist kontrolliert, sie wollen diese Perspektive einfach nicht zeigen. Eine englische Firma hat die Produktion dann zum Glück übernommen, so kann der Film immerhin erscheinen. Allerdings mussten wir auf eine simplifizierte zweistündige Version ausweichen, die ursprüngliche, doppelt so lange Fassung wurde zurückgewiesen.
Sie sind 75-jährig. Was treibt Sie an als ein Filmemacher?
Ich bin ein Dramatiker. Meist geht es mir darum, Geschichten zu erzählen. Aber in diesen Fall geriet ich einfach hinein, und je mehr ich herausfand, desto wütender wurde ich. Ich bin immer noch wütend. Mein Land könnte ein wundervoller Ort sein wie die Schweiz, so friedvoll. Warum sind wir es nicht?
Der Fall JFK lässt Stone nicht los
urs. · Nach John F. Kennedys Ermordung im November 1963 legte die Warren-Kommission die offizielle Tatversion fest: Lee Harvey Oswald habe das Attentat als Einzeltäter verübt. Oliver Stone torpedierte dieses Ergebnis schon mit seinem Spielfilm «JFK», nun stösst er mit einer Dokumentation nach. Als Basis dienen Akten aus dem Nationalarchiv in Maryland, die im Zuge seines Spielfilms von 1992 freigegeben worden sind. «JFK Revisited: Through the Looking Glass», gestützt auf ein Sachbuch von James DiEugenio, wird zwar stellenweise zur Kennedy-Hagiografie. Doch die Puzzleteile zur These, die auf ein Komplott durch die CIA hinausläuft, sind packend präsentiert, ohne allzu reisserisch aufgemacht zu sein. Whoopi Goldberg und Donald Sutherland liefern die Off-Stimmen, Stone hat den einen oder anderen Auftritt als Interviewer.
Der Film läuft zurzeit im Zürcher Kino Uto und ab 25. 11. auf Plattformen wie myfilm.ch.
www.nzz.ch/feuilleton/oliver-stone-im-interview-zu-john-f-kennedy-ld.1655884