www.kerstin-koeditz.de/blog/2013/10/frueh-versagt-schnell-vergessen-der-saechsische-nsu-ausschuss-zehn-polizisten-spaeter/#05Dokumentation zur Blockwoche im sächsischen
NSU-Untersuchungsausschuss, 18.–24. Oktober 2013
Es war ein fünftägiger Sitzungsmarathon: Bis Donnerstag hat der Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages zu Neonazi-Terrorgruppen, der sich vor allem mit dem “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) befasst, serienweise Polizeibeamte vernommen. Die Befragungen der insgesamt zehn Zeugen sollten erhellen,
welche Informationen dem Staatsschutz der Polizeidirektion Chemnitz und des hiesigen Landeskriminalamtes (LKA) über das untergetauchte “Trio” Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe vorgelegen haben,
warum augenscheinlich kein Zusammenhang zwischen den flüchtigen Nazis und der ungeklärten Raubserie in Chemnitz und Zwickau hergestellt worden ist,
welche Ziele das LKA Berlin verfolgt hat, als es im November 2000 zur Anwerbung des “Blood & Honour”-Funktionärs Thomas S. als V-Mann gekommen ist. Von Thomas S. nehmen die Ermittler heute an, dass er dem NSU konspirative Unterkünfte vermittelt hat.
All das sind – und bleiben – drängende Fragen bei der Aufklärung des NSU-Komplexes, denn tatsächlich kamen die Ermittler dem “Trio” ziemlich nahe. Nach der Blockwoche des Ausschusses muss es heißen: näher als gedacht. Ein Resümee kann trotzdem noch nicht gezogen werden: Nach wie vor gibt es mehr Fragen als Antworten, zudem verwickelten sich Zeugen in Widersprüche oder hatten “keine Erinnerung”.
Ausschuss-Blockwoche im Detail
Freitag, 18. Oktober: Ulrich Pester / Jürgen Kliem, Staatsschutz der Polizeidirektion Chemnitz
Montag, 21. Oktober: Jürgen Traut / Sigmar Schmid, LKA Sachsen
Dienstag, 22. Oktober: Gunter Rechenberg / Uwe Reißmann, Polizeidirektion Chemnitz
Mittwoch, 23. Oktober: Carsten Kaempf / Klaus Käfferlein, LKA Sachsen
Donnerstag, 24. Oktober: Michael Thur / Michael Weinreich, LKA Berlin
Presseschau zur Blockwoche
Freitag, 18. Oktober
Trio in der “Partywohnung”
Den Auftakt gab Ulrich Pester, ehemaliger Leiter des Staatsschutz-Kommissariats der Polizeidirektion Chemnitz. Er erinnerte sich, dass irgendwann – vielleicht schon 1998 – ein Thüringer Zielfahnder – wahrscheinlich Sven Wunderlich – bei ihm angerufen und auf das “Trio” hingewiesen habe. Die dabei erhaltenen Informationen seien aber “unterschwellig” gewesen. Der Anruf sei daraufhin in einer Dienstberatung besprochen worden. An Details konnte sich der Zeuge nicht erinnern, auch nicht an weitere Folgen.
Als “eigenartig” bezeichnete Pester die Tatsache, dass der Kontakt zur Thüringer Zielfahndung weder über den Staatsschutz des Thüringer LKA angebahnt worden sei, noch den üblichen Dienstweg über das LKA Sachsen genommen habe. Und weder habe es ein offizielles Ermittlungsersuchen gegeben, noch sei man über weitere Maßnahmen informiert worden. Mit dem “Trio” habe man sich fortan auch nie mehr befasst. Allerdings gab Pester zu bedenken, dass er im fraglichen Zeitraum – insbesondere ab dem Jahr 2000, in dem mehrere Observationen stattfanden – mehrfach für längere Zeit erkrankt gewesen sei.
In dieser Phase habe sein Stellvertreter und heutige Leiter des Chemnitzer Staatsschutzes, Jürgen Kliem, das Kommissariat angeführt. In seinem Eingangsstatement verblüffte der Ermittler den Ausschuss sogleich mit einem enzyklopädischen Detailwissen über die Naziszene und deren führende Akteure. Kliem erinnerte sich auch an eine womöglich entscheidende Episode:
Im Jahr 1998, womöglich schon Ende Februar, sei ein Thüringer Zielfahnder – vermutlich wieder Wunderlich – in seinem Chemnitzer Büro erschienen, um über das untergetauchte “Trio” zu reden. Das Gespräch sei kurz und nicht gerade ausführlich gewesen; Kliem habe das Gefühl gehabt, dass Wunderlich Informationen “abschöpfen” wollte. Vor allem fragte Wunderlich gezielt nach einer “Partywohnung” an der Chemnitzer Hans-Sachs-Straße.
Woher kam die Sachsen-Spur?
Das ist brisant, denn Ortskundige wissen, dass die Hans-Sachs-Straße die Bernhardstraße genau auf Höhe der Hausnummer 11 kreuzt. Dort wohnte damals Mandy S. Heute gehen Ermittler davon aus, dass das “Trio” im Februar 1998 bei Mandy S. vorstellig wurde und sie die Kameraden in der Wohnung ihres damaligen Freundes Max-Florian B. einquartierte. Zwei Jahre später wurde die Bernhardstraße 11 dann mehrfach observiert, im Mai 2000 entstand dort gar ein Observationsfoto, das womöglich Uwe Böhnhardt zeigt.
Bis heute ist jedoch nicht geklärt, wie Polizei und “Verfassungsschutz”-Behörden damals auf Mandy S. gekommen sind. Ebenso unklar ist nun, wie die Thüringer Zielfahnder derart zeitig in Chemnitz nach einer bestimmten Wohnung suchen konnten. So weit es die Akten hergeben, lagen damals noch gar keine konkreten Hinweise auf die Fluchtrichtung Sachsen vor.
Die ganze Episode blieb ohne Konsequenzen. Kliem berichtete nämlich weiter, dass Wunderlich zwei bis drei Wochen nach dem Besuch in Chemnitz angerufen und mitgeteilt habe, das “Trio” sei vermutlich nicht mehr in Sachsen, sondern bereits in Tschechien. Man ahnt es schon: Auch der Ursprung dieser Information liegt im Dunkeln.
Der Thüringer Zielfahnder Wunderlich ist übrigens bereits zwei Mal durch den sächsischen Untersuchungsausschuss vernommen worden. Zuletzt hatte sich herausgestellt, dass zumindest ein Teil seiner Informationen, die zu Telefonüberwachungen gegen mutmaßliche Fluchthelfer und Unterstützer des “Trio” führten, gar nicht auf Ermittlungen der Polizei, sondern auf Informationen einer “Verfassungsschutz”-Behörde zurückgingen.
Wunderlich hatte im sächsischen Ausschuss ferner zu Protokoll gegeben, dass er sich mehrfach mit dem Chemnitzer Staatsschutz getroffen und seine Erkenntnisse “eins zu eins” weitergereicht haben will. Das ist eine Behauptung, die Pester und Kliem ausdrücklich nicht bestätigen konnten. Den Staatsschutz-Chef Kliem wird der Ausschuss voraussichtlich noch im November erneut befragen.
Montag, 21. Oktober
Auf ein Wort mit Thomas S.
Überraschend war auch die Aussage von Jürgen Traut. Der langjährige Beamte der “Soko Rex” des LKA Sachsen konnte nämlich mit einer weiteren, bislang kaum bekannten Episode aufwarten: Im Januar 2001 fuhr er im Auftrag seines Vorgesetzten Jehle mit dem Thüringer Zielfahnder Wunderlich zu Thomas S. Warum das? Eigentlich habe Wunderlich mit S.’ Freundin sprechen wollen, erinnert sich Traut. Tatsächlich habe sich ein längeres Gespräch mit Thomas S. in dessen Wohnung ergeben. Zeitweise habe Wunderlich mit S. allein sprechen wollen.
Dass Wunderlich schon vorher einmal mit Thomas S. gesprochen hatte, war Traut nach eigener Aussage nicht bekannt – auch nicht, dass S. damals andere Angaben zum “Trio” gemacht haben soll. Traut habe ferner nicht gewusst, dass Thomas S. bereits V-Mann des Berliner LKA geworden war. So weit bekannt, war die Ansprache bei Thomas S. im Januar 2001 zugleich die letzte Vor-Ort-Maßnahme der Thüringer Zielfahndung.
Traut war damals hinsichtlich des “Trios” ein Ansprechpartner für die Thüringer Kollegen. An Details aus Besprechungen konnte er sich auf Nachfrage aber ebenso wenig erinnern wie an ein Gespräch zum Thema mit dem sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). Erinnerlich ist ihm aber das schon erwähnte Observationsfoto aus der Chemnitzer Bernhardstraße. Ob es so gewesen sein könnte, dass die Staatsschutz-Kollegen der Polizeidirektion Chemnitz über die dort gelaufenen Maßnahmen nicht informiert waren? “Kann eigentlich nicht sein”, sagte Traut.
Fahndungs-Hilfe abgewiesen
Bereits 1999 gut im Bilde war Trauts LKA-Kollegen Sigmar Schmid. Er hatte Anfang des Jahres Informationen zum Chemnitzer Neonazi Jan W. gesammelt. W. war ein Kompagnon von Thomas S., Anführer von “Blood & Honour” (B&H) im Freistaat und wird heute verdächtigt, für das “Trio” nach Waffen gesucht zu haben. Damals ging es um Propaganda-Delikte; das LKA plante ein umfangreiches Strukturverfahren, das aber dann nach einem Wechsel des Staatsanwaltes versandet ist. Schmid wusste nicht, warum.
Bekannt war ihm aber damals, dass Jan W. im dringenden Tatverdacht gestanden hat, dem “Trio” als Fluchthelfer beigestanden zu haben. Im Mai 1999 habe der Thüringer Zielfahnder Wunderlich dazu telefonisch “neue Informationen” angekündigt und abermals eine Wohnung in Chemnitz erwähnt. Bei einem daraufhin anberaumten Treffen habe es dann aber keine Informationen gegeben, nur noch vage “Vermutungen”.
Schmids Vermutung: Das Thüringer LKA habe weitergehende Informationen gehabt, diese aber zurückgehalten. Die Thüringer Kollegen hätten sogar den Vorschlag abgelehnt, dass das Dezernat für “Verdeckte Ermittlungen” des LKA Sachsen bei der Suche helfen könne. Auf Nachfrage war sich Schmid übrigens sicher, dass an diesem fraglichen Treffen auch ein Chemnitzer Staatsschützer teilnahm. Diese hatten ein solches Treffen allerdings nicht eingeräumt.
Dienstag, 22. Oktober
Raub-Ermittlungen nicht zentralisiert
Für den NSU war Chemnitz derweil nicht nur Rückzugsraum, sondern hier begann auch eine umfangreiche Serie von Überfällen auf Post- und Sparkassen-Filialen. Zuständig für die – dann aber nicht geglückte – Aufklärung war das Raubdezernat der Polizeidirektion Chemnitz. Dessen Leiter Gunter Rechenberg bestätigte, dass sehr rasch festgestanden habe, dass es sich hier nicht um einzelne Überfälle, sondern eine ganze Serie handelt.
Eine heiße Spur zu den Tätern habe es nie gegeben, von der Suche nach dem “Trio” will Rechenberg nichts gewusst haben. Vielmehr habe damals die Theorie kursiert, dass hier eine Räuberbande Zuschüsse für irgendeine Art Geschäft erbeuten wolle; im Jahr 2007 habe man auch über Rocker nachgedacht, weil bei Überfällen so genannte Pumpguns zum Einsatz kamen.
Zu der Zeit hatte sich Überfallserie aus Chemnitz/Zwickau schon nach Stralsund verlagert. Dort wurde rasch eine Soko gegründet, dergleichen gab es in Sachsen nicht. Rechenberg berichtet, dass eine Zentralisierung der Ermittlungen am ehesten eine Aufgabe des LKA Sachsen gewesen wäre. Dort habe es aber keine Einheit gegeben, die das hätte übernehmen können – jedenfalls habe es von dort her nie eine Initiative gegeben. Auch nicht seitens der Staatsanwaltschaft, der man ohnehin keine Verdächtigen präsentieren konnte.
Trio “nicht nachhaltig bekannt”
Etwas anders wurde dieselbe Sache durch den heutigen Chemnitzer Polizeipräsidenten Uwe Reißmann dargestellt: Mit dem LKA habe es Abstimmungen gegeben, auch wenn er selbst nicht daran beteiligt gewesen sei. Es sei damals auch eine Option gewesen, dass das übergeordnete – heute nicht mehr bestehende – Polizeipräsidium Chemnitz das Heft in die Hand nimmt. Für eine solche Konzentration der Aufklärung der Raubserie sah Reißmann rückblickend die Staatsanwaltschaft in der Pflicht. Dies “hätte der Herr Rechenberg wissen müssen”, sagte der Polizeipräsident knapp.
Er betonte auch, das “Trio” sei in seiner Polizeidirektion einfach “nicht nachhaltig bekannt” gewesen, Maßnahmen seien mutmaßlich an seiner Behörde vorbeigelaufen, der Grund sei ihm selbst unklar. Als dem Zeugen ein Fernschreiben vorgezeigt wurde, in dem über eine Öffentlichkeitsfahndung in Chemnitz im Mai 2000 informiert wird, gibt er an, das Papier nicht zu kennen. Allerdings steht die Polizeidirektion Chemnitz ausdrücklich im Verteiler. Das Schreiben lief damals über das Polizeipräsidium Chemnitz, von dem Reißmann sagte, dass dort wohl die “Verständigung” zum “Trio” stattgefunden habe. Eben dort hätte man also die Informationen zum “Trio” einerseits, zu den Raubüberfällen andererseits zusammenführen können.
Notabene: Leiter des Polizeipräsidiums Chemnitz und damaliger Polizeipräsident in dem Bereich war Horst Wawrzynski. Auch er ist bereits durch den Untersuchungsausschuss angehört worden. Wawrzynski konnte sich an damalige Informationen zum “Trio” jedoch nicht erinnern und die Raubserie sei für ihn nicht als solche erkennbar gewesen. Dass im Jahr 2000 ein dem Polizeipräsidium Chemnitzer unterstelltes Mobiles Einsatzkommando (MEK) an Observationen gegen mutmaßliche Unterstützer des “Trio” beteiligt gewesen ist, habe er gleichfalls “nicht auf den Tisch bekommen”.
Mittwoch, 23. Oktober
Organisator “Otto”
Zurück zum LKA Sachsen: Ab November 2000 unterstützte dessen Staatsschutz-Abteilung das LKA Berlin bei Ermittlungen gegen die Berliner Neonazi-Band “Landser” wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. An der Produktion des Albums “Ran an den Feind” war eine ganze Riege namhafter sächsischer Neonazis beteiligt, darunter die schon erwähnten B&H-Aktivisten Jan W. und Thomas S. Der Durchbruch gelang Ermittlern aus Sachsen und Berlin, als sie einen Mann mit dem Spitznamen “Otto” als Organisator des klandestinen Vertriebs identifizieren. Es war Thomas S.
Bald klickten die Handschellen, am 14. November 2000 kam es zu einer stundenlangen Vernehmung beim LKA in Dresden. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages stellt fest, dass es im Anschluss an diese Vernehmung zur Anwerbung des Thomas S. als “Vertrauensperson” – also die Polizei-Version eines V-Mannes – für das Berliner LKA gekommen ist.
Vernehmungsleiter war der schon erwähnte Sigmar Schmid, der aber von der Anwerbung nicht erfahren haben will. Das gleiche sagte Carsten Kaempf, der damals eigentlich Verratsdelikte bearbeitete. Kaempf berichtete, dass bei dem mehrteiligen Verhör zumindest ein Kollege des LKA Berlin anwesend war.
Laut Befragungsprotokoll wurde Thomas S. als Beschuldigter u.a. wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung vernommen. Auf Nachfrage sagte Kaempf, dass er nicht gewusst habe, dass Thomas S. alias “Otto” zu der Zeit sogar Beschuldigter der Generalbundesanwaltschaft wegen §129 StGB – Bildung einer kriminellen Vereinigung – gewesen ist. Dass der Vorwurf am Tag nach der Vernehmung, in der sich Thomas S. geständig gezeigt hatte, zurückgenommen worden ist, mochte Kaempf im Ausschuss nicht bewerten.
Den Ausschuss interessierte auch, was genau geschah, als Kaempf am 14. November 2000 knapp zwei Stunden mit Thomas S. allein war – in dieser Zeit war laut Vernehmungsprotokoll nur eine einzige Frage gestellt und knapp beantwortet worden, der Vernehmungsleiter Schmid war offenbar nicht mehr dabei. Kaempfs Erklärung: Die Protokollierung der vorhergehenden Fragen habe eben so lange gedauert; auch habe Thomas S. mehrere Anläufe gebraucht, den Treffpunkt einer CD-Übergabe zu skizzieren.
Anwerbung mitgeschnitten
Anders als Kaempf hatte Klaus Käfferlein aber zumindest eine Ahnung, was sich danach zugetragen haben könnte: Der hochrangige Staatsschützer des LKA Sachsen berichtete, dass bei einer Telefonüberwachung gegen Thomas S. aufgefallen sei, dass eine Anwerbung durch die Berliner Polizei im Gange ist. Dazu habe es ein Gespräch mit dem Berliner Beamten Thur – von dem gleich mehr zu hören ist – gegeben. Der habe von Käfferlein eine schriftliche Einschätzung zu Thomas S. erbeten. Käfferlein habe von der Anwerbung aber ausdrücklich abgeraten und seinem Dezernatsleiter Bericht erstattet.
Einen Kontext zum “Trio” habe er aber nicht herstellen können, sagte Käfferlein: Zwar habe er von der Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zumindest seit 1999 gewusst, sie aber irgendwann “im Ausland” vermutet. An eine bundesweite Fahndung könne er sich zwar nicht erinnern; wohl aber daran, dass im November 2000 im Zusammenhang mit den “Landser”-Ermittlungen bei Thomas S. ein Notizbuch sichergestellt worden ist, in dem die Geburtstage von Mundlos und Zschäpe verzeichnet sind.
Diese Information war viel später, Anfang 2002, Bestandteil eines Informationsaustauschs mit dem Thüringer LKA. Ob und welche Konsequenzen der Hinweis auf das Notizbuch hatten, wie überhaupt dieses Asservat beim LKA Sachsen ausgewertet und eingeschätzt wurde, war dem Zeugen aber nicht erinnerlich.
In einer schriftlichen Erkenntnismitteilung hatte das LKA Sachsen für die Thüringer Kollegen auch Informationen zu mutmaßlichen Unterstützern des “Trio” zusammengetragen. Es ging auch um Thomas S. – dass der ein führender B&H-Aktivist war, habe Käfferlein aber nicht gewusst. Auch nicht, dass die Band “Landser” durchaus einen B&H-Bezug hatte. Käfferlein sagte, solche Bezüge habe das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz nicht mitgeteilt. Nicht erinnern konnte er sich daran, mit dem LfV Sachsen über ein geplantes Verbot des B&H-Labels “Movement Records” – angeführt von Jan W. – gesprochen zu haben, wie es aus einem Aktenvermerk hervorgeht.
In einem Vermerk, der dem Zeugen vorgehalten wurde, heißt es überraschend, dass das LfV Sachsen auch bzgl. Jan W. kein Verbindung zu B&H herstellen könne. Hatten das die Verfassungsschützer irgendwie vergessen?
Donnerstag, 24. Oktober
V-Leute? “Sind mir nicht bekannt.”
Apropos Vergessen: Der Berliner Kriminalbeamte Michael Thur, damals Leiter der “Ermittlungsgruppe Rechts” des LKA Berlin, konnte sich an seinen Aufenthalt im November 2000 in Sachsen auch nicht so recht erinnern. Bei ihm liefen damals die Fäden der “Landser”-Ermittlungen zusammen. Doch B&H-Bezüge? Kenne er nicht. Dass er damals dabei war, als Thomas S. vernommen wurde: nicht mehr erinnerlich, nicht mal der Name. Dass er Thomas S. als “Zeuge” im §129-Verfahren einstufte, obwohl er da noch Beschuldigter war, sagte Thur nichts. Er schilderte zwar, wie sächsische Beamte damals ganz hilfsbereit bei einer Telefonüberwachung eingesprungen waren – wie es dem LKA Berlin dann aber gelungen ist, den ihnen bisher nur als “Otto” bekannten Thomas S. zu identifizieren, fehlte in Thurs Erinnerung.
Er erwähnte andererseits mehrfach, dass sich seine Ermittlungsgruppe damals “ausschließlich” um “Landser” gekümmert habe. Darauf verwies er auch bei der Frage, ob er die Fahndung nach dem “Trio” gekannt habe. Wohl nicht. Als er gefragt wurde, ob es stimme, dass Käfferlein (siehe oben) mit ihm über das Anwerbevorhaben bei Thomas S. geredet habe, widersprach er: “Ich kenne die V-Leute des LKA Berlin nicht. Die sind mir nicht bekannt.” Folglich habe er damals nicht mit der Generalbundesanwaltschaft über das Anwerbevorhaben gesprochen, noch sei er selbst daran beteiligt gewesen.
Selbst, als eine Passage aus dem Abschlussbericht des Deutschen Bundestages vorgetragen wird, die von einem anderen Hergang ausgeht, blieb Thur bei seiner Darstellung. Als er am Ende die Möglichkeit erhielt, die eigenen Aussagen noch zu ergänzen, entgegnete er, sich an die Fragen schon gar nicht mehr zu erinnern. Der Ausschuss hat Thur nicht aus dem Zeugenstand entlassen und behält sich eine weitere Befragung vor.
Das sagt der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags
“Die Anwerbung sei dann unmittelbar im Anschluss an die Vernehmung im LKA Sachsen erfolgt. Bei der Vernehmung selbst sei er, P. S. [V-Mann-Führer des LKA Berlin], nicht zugegen gewesen, wohl aber ein anderer Beamter des LKA Berlin, seiner Erinnerung nach KHK T. [Thur]” (S. 301)
“Einem Vermerk des Zeugen P. S. vom 16. November 2000 kann entnommen werden, dass KHK T. [Thur] sich zunächst am 14. November 2000 gegen 16 Uhr telefonisch aus Sachsen gemeldet habe und nach dortigen Ansprechpartnern für VP-Aufgaben gefragt habe […] Am 15. November 2000 habe KHK T. dann mitgeteilt, dass es durch das LKA Sachsen abgelehnt worden sei, die Person als V-Mann zu führen. Darauf hin habe es eine Besprechung gegeben […] Durch alle Beteiligten sei daraufhin die Führung als V-Person beschlossen worden. Der Generalbundesanwalt sei telefonisch unterrichtet worden und wünsche die Führung der V-Person.” (S. 302)
Eine anschließende Passage zur Vertraulichkeitszusage der Generalbundesanwaltschaft gegenüber dem V-Mann Thomas S. konnte im Bericht nur geschwärzt erscheinen.
“Kein Kaspertheater”
Dass Thomas S. als V-Mann angeworben wurde, ist deshalb brisant, weil das Thüringer LKA die Vermutung aufgestellt hatte, er würde das untergetauchte “Trio” unterstützen. Zumindest einige sächsische Beamte kannten diese Vermutung. Und auch, wenn das Berliner LKA sie nicht gekannt haben sollte: In seiner Eigenschaft als V-Mann berichtete Thomas S. später selbst über die Untergetauchten. Offenbar sind diese Informationen in Berlin geblieben.
Weitere Auskunft geben sollte ein ehemaliger V-Mann-Führer des LKA Berlin aus dem Bereich “Rechtsextremismus”. Der heißt Michael Weinreich und hatte sich im Dezember 2000 schriftlich an die (in der Sache mutmaßlich nicht zuständige) Staatsanwaltschaft Görlitz gewandt, um eine Vertraulichkeitszusage für einen namentlich nicht bekannten V-Mann im “Landser”-Verfahren zu erhalten. Die Sächsische Staatsregierung hatte in einer Kleinen Anfrage gemutmaßt, dass es damals um Thomas S. alias “VP 562″ gegangen sei.
Dem widersprach Weinreich. Er hatte dem Ausschuss allerdings schon einleitend eröffnet, dass er nichts zu berichten und daher kein Eingangsstatement vorbereitet habe. Ob er sich die Fragen durchgelesen habe, die ihm zusammen mit seiner Vorladung vor den Ausschuss zugestellt worden waren? Die habe er “mal kurz überflogen”, er wisse aber nicht, warum er als “kleiner Sachbearbeiter” hier sei. An die Korrespondenz mit der Staatsanwaltschaft Görlitz aus dem Jahr 2000, in dem er sich als VP-Führer vorstellig gemacht hat – erinnerte er sich nicht. Vielmehr will Weinreich erst im Jahr darauf VP-Führer geworden sein.
Auf die Diskrepanz angesprochen, sagte der Zeuge: “Ja, dann ist das eben so.” Als nachgehakt wurde, echauffierte er sich über die Befragungsweise: “Ich bin ja gern bereit, hier mitzuspielen…” Der Ausschussvorsitzende musste den Zeugen erinnern, dass hier “kein Kaspertheater” gespielt wird, und der mitangereiste Justiziar des LKA Berlin relativierte sogleich den “lässigen Kommentar” Weinreichs.
Sächsisches “V-Mann-Outsourcing”?
Sachlicher ging es erst nach einer Unterbrechung weiter: Weinreich selbst habe in Sachsen zwei “Vertrauenspersonen” geführt, die zumindest ursprünglich keinen Bezug zum “Landser”-Verfahren gehabt hätten. Nachdem sich der Zeuge erklären ließ, was unter einem “Anwerbegespräch” zu verstehen sei, räumte er auch eine, eine der VPs selbst angeworben zu haben. Vermutlich diese Person habe irgendwann ein Schriftstück abgeliefert, das Auskunft über die Verbreitung des “Landser”-Albums gegeben habe. Eventuell war das auch die VP, über die der Zeuge Ende 2000 die Staatsanwaltschaft Görlitz informiert hatte. Genauer sagen könne es Weinreich nicht: Details habe er, wie gesagt, vergessen.
Dazu kommt: Die Identitäten seiner V-Leute seien damals nur ihm bekannt gewesen. Die Namen wisse er heute nicht mehr. Aber die Vertraulichkeitszusagen für diese V-Leute, deren Namen er nicht wisse, bestehen nach wie vor.
Ausgeschlossen hat Weinreich, dass S. zu “seinen” V-Leuten gehörte. Bedeutet: Das LKA Berlin führte damals mindestens drei sächsische Neonazis als Quellen, laut Weinreich mit dem Ziel, über die sächsische Neonazi-Szene zu berichten. Woher das berlinerische Engagement in Sachsen gerührt hat? Weinreich sagte, seiner Erinnerung nach hätte Sachsen keine eigenen VPs und keine VP-Führung gehabt, “wir springen einfach dafür ein”. Auf direkte Nachfrage der sächsischen Staatsregierung ergänzt Weinreich, das sei jetzt nur “Spekulation” gewesen.
Im Kontext der sächsischen “Landser”-Ermittlungen wurden übrigens nicht nur zwei VPs des LKA Berlin aktiv, sondern auch die Quellen “Strontium” (Mirko H.) und “Primus” (Ralf M.) des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Auch das geht aus dem Abschlussbericht des Bundestags-Ausschusses hervor.
Der aber war Herrn Weinreich nach eigenem Bekunden nicht bekannt.