Post by Admin on Dec 6, 2014 11:43:42 GMT 1
Von René Heilig 06.12.2014 Inland
Nicht originell, aber erprobt: der OLG-Trick
Wie sich notwendige parlamentarische Nachfragen zu NSU-Ermittlungen verhindern lassen
Auch ohne die Verfahrensführung im NSU-Prozess zu bewerten, kann man nach 19 Monaten feststellen: Das Oberlandesgericht (OLG) München kommt - falls überhaupt - nur im Schneckentempo voran.
Generalbundesanwalt Harald Range im Bundestag. Nicht zum Bericht bereit.
Foto: dpa/Bernd Von Jutrczenka
In dieser Woche bekamen die Verfahrensbeteiligten im Prozess gegen Mitglieder und Helfer des Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Post vom Oberlandesgericht München. Das übermittelte mögliche Verhandlungstermine bis zum Januar 2016.
Nun ist in diesem Fall keineswegs sicher, dass das Sprichwort »Gut Ding will Weile haben« passt. Doch nicht nur das Gericht in München ist ja auf der Suche nach der Wahrheit. Untersuchungsausschüsse von Parlamenten, antifaschistische Recherchegruppen und auch der Generalbundesanwalt in Karlsruhe forschen weiter in Sachen NSU. Von dort teilte man auf Anfrage am Freitag mit, man ermittle derzeit gegen neun namentliche bekannte Personen wegen des Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung. »Daneben führen wir ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt, in dem wir etwaigen Hinweisen und Ermittlungsansätzen auf mögliche bislang unbekannte Mitglieder und Unterstützer sowie auf mögliche weitere Taten des NSU nachgehen.«
Es scheint so, als habe der »NSU-Schock« Wirkung auch beim Generalbundesanwalt gezeigt. Dem billigt die Regierung jetzt auch mehr Kompetenzen zu. Er soll Verfahren zu gravierenden Delikten schneller an sich ziehen können. Doch davon, dass er sich zugleich der öffentlichen Kontrolle noch weiter entziehen kann, war nie die Rede. Und doch wird genau das versucht.
Am 25. September hatte der Chef des Bundestagsinnenausschusses Wolfgang Bosbach den Generalbundesanwalt Harald Range bereits von dem Vorhaben informiert. Am 27. November dann hat der CDU-Innenexperte den obersten Ermittler auch förmlich zu einem sogenannten Berichterstattergespräch zum »Ermittlungskomplex NSU« eingeladen. Angefügt war ein zweiseitiger Fragekatalog. Der enthielt simpel Beantwortbares zu den Tatwaffen, zu den von den Rechtsterroristen gemieteten Fahrzeugen, zu den Mundlos und Böhnhardt betreffenden Obduktionsergebnissen, zur Wohnung des NSU-Trios in Zwickau sowie zum seltsam anmutenden Tod des einstigen Verfassungsschutz-V-Mannes »Corelli«.
Statt einer Antwort des Generalbundesanwaltes bekam Bosbach einen Brief von Staatssekretär Christian Lange aus dem SPD-gelenkten Bundesjustizministerium. Kernsatz: »Leider kann Ihrem Wunsch aus Rechtsgründen nicht entsprochen werden.« Pauschaler Grund: Der Vorsitzende des zuständigen OLG-Senats in München habe bereits am 21. Oktober die Einsicht in Ermittlungs- oder Strafakten verweigert. Dieses Nein könne man nicht durch eine mündliche Befragung von Vertretern der ermittelnden Staatsanwaltschaft umgehen. Mehr noch: Antworten auf die Fragen der zuständigen Volksvertreter könnten »den Vorrang des Gerichts bei der Wahrheitsermittlung gefährden«.
Zweifelsohne gilt es, juristische Grundsätze zu beachten. Doch: Der OLG-Trick ist so simpel wie erprobt. Nach dem Auffliegen des NSU vor nunmehr gut drei Jahren hat der Generalbundesanwalt alle einschlägig interessanten Verfahren von Staatsanwaltschaften an sich gezogen und damit jegliche Nachfrage unmöglich gemacht. Nun, da es immer mehr Gründe gibt, den Ermittlungseifer und die Gründlichkeit des für den NSU-Komplex zuständigen und dem Justizministerium unterstellten Generalbundesanwaltes zu bezweifeln, wird das nur sich selbst verantwortliche Münchner Oberlandesgericht in Stellung gebracht.
Aus aktuellen Gründen zu dem - inzwischen abgesagten - NSU-Berichterstattergespräch eingeladen war auch der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath. Der entschied selbstherrlich, dass er nicht der Richtige sei und wollte den Abgeordneten einen Vertreter von der Polizei schicken.
Am Mittwoch war übrigens ein ehemaliger Schützling des heutigen Verfassungsschutzchefs als Zeuge vor dem Münchner Oberlandesgericht zu erleben. In Brandenburg war Meyer-Plath unter anderem V-Mann-Führer der Quelle »Piatto«. Dieser seit 2000 im Zeugenschutz versteckte Carsten Szczepanski hatte nach eigenem Bekunden ganz und gar nichts mit dem NSU-Kompex zu tun. Er wollte durch seinen Zuträgerjob doch nur aussteigen aus der rechtsextremen Szene und ganz viel Reue zeigen.
Trotz aller Lügen, Erinnerungslücken und Beschönigungen waren »Piattos« Aussagen streckenweise interessant. Denn sie offenbarten Widersprüche zu den Darstellungen des Geheimdienstes. Ob das wohl irgendjemand in der Brandenburger Regierung oder im Landtag interessiert?
www.neues-deutschland.de/artikel/954722.nicht-originell-aber-erprobt-der-olg-trick.html
Nicht originell, aber erprobt: der OLG-Trick
Wie sich notwendige parlamentarische Nachfragen zu NSU-Ermittlungen verhindern lassen
Auch ohne die Verfahrensführung im NSU-Prozess zu bewerten, kann man nach 19 Monaten feststellen: Das Oberlandesgericht (OLG) München kommt - falls überhaupt - nur im Schneckentempo voran.
Generalbundesanwalt Harald Range im Bundestag. Nicht zum Bericht bereit.
Foto: dpa/Bernd Von Jutrczenka
In dieser Woche bekamen die Verfahrensbeteiligten im Prozess gegen Mitglieder und Helfer des Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Post vom Oberlandesgericht München. Das übermittelte mögliche Verhandlungstermine bis zum Januar 2016.
Nun ist in diesem Fall keineswegs sicher, dass das Sprichwort »Gut Ding will Weile haben« passt. Doch nicht nur das Gericht in München ist ja auf der Suche nach der Wahrheit. Untersuchungsausschüsse von Parlamenten, antifaschistische Recherchegruppen und auch der Generalbundesanwalt in Karlsruhe forschen weiter in Sachen NSU. Von dort teilte man auf Anfrage am Freitag mit, man ermittle derzeit gegen neun namentliche bekannte Personen wegen des Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung. »Daneben führen wir ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt, in dem wir etwaigen Hinweisen und Ermittlungsansätzen auf mögliche bislang unbekannte Mitglieder und Unterstützer sowie auf mögliche weitere Taten des NSU nachgehen.«
Es scheint so, als habe der »NSU-Schock« Wirkung auch beim Generalbundesanwalt gezeigt. Dem billigt die Regierung jetzt auch mehr Kompetenzen zu. Er soll Verfahren zu gravierenden Delikten schneller an sich ziehen können. Doch davon, dass er sich zugleich der öffentlichen Kontrolle noch weiter entziehen kann, war nie die Rede. Und doch wird genau das versucht.
Am 25. September hatte der Chef des Bundestagsinnenausschusses Wolfgang Bosbach den Generalbundesanwalt Harald Range bereits von dem Vorhaben informiert. Am 27. November dann hat der CDU-Innenexperte den obersten Ermittler auch förmlich zu einem sogenannten Berichterstattergespräch zum »Ermittlungskomplex NSU« eingeladen. Angefügt war ein zweiseitiger Fragekatalog. Der enthielt simpel Beantwortbares zu den Tatwaffen, zu den von den Rechtsterroristen gemieteten Fahrzeugen, zu den Mundlos und Böhnhardt betreffenden Obduktionsergebnissen, zur Wohnung des NSU-Trios in Zwickau sowie zum seltsam anmutenden Tod des einstigen Verfassungsschutz-V-Mannes »Corelli«.
Statt einer Antwort des Generalbundesanwaltes bekam Bosbach einen Brief von Staatssekretär Christian Lange aus dem SPD-gelenkten Bundesjustizministerium. Kernsatz: »Leider kann Ihrem Wunsch aus Rechtsgründen nicht entsprochen werden.« Pauschaler Grund: Der Vorsitzende des zuständigen OLG-Senats in München habe bereits am 21. Oktober die Einsicht in Ermittlungs- oder Strafakten verweigert. Dieses Nein könne man nicht durch eine mündliche Befragung von Vertretern der ermittelnden Staatsanwaltschaft umgehen. Mehr noch: Antworten auf die Fragen der zuständigen Volksvertreter könnten »den Vorrang des Gerichts bei der Wahrheitsermittlung gefährden«.
Zweifelsohne gilt es, juristische Grundsätze zu beachten. Doch: Der OLG-Trick ist so simpel wie erprobt. Nach dem Auffliegen des NSU vor nunmehr gut drei Jahren hat der Generalbundesanwalt alle einschlägig interessanten Verfahren von Staatsanwaltschaften an sich gezogen und damit jegliche Nachfrage unmöglich gemacht. Nun, da es immer mehr Gründe gibt, den Ermittlungseifer und die Gründlichkeit des für den NSU-Komplex zuständigen und dem Justizministerium unterstellten Generalbundesanwaltes zu bezweifeln, wird das nur sich selbst verantwortliche Münchner Oberlandesgericht in Stellung gebracht.
Aus aktuellen Gründen zu dem - inzwischen abgesagten - NSU-Berichterstattergespräch eingeladen war auch der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath. Der entschied selbstherrlich, dass er nicht der Richtige sei und wollte den Abgeordneten einen Vertreter von der Polizei schicken.
Am Mittwoch war übrigens ein ehemaliger Schützling des heutigen Verfassungsschutzchefs als Zeuge vor dem Münchner Oberlandesgericht zu erleben. In Brandenburg war Meyer-Plath unter anderem V-Mann-Führer der Quelle »Piatto«. Dieser seit 2000 im Zeugenschutz versteckte Carsten Szczepanski hatte nach eigenem Bekunden ganz und gar nichts mit dem NSU-Kompex zu tun. Er wollte durch seinen Zuträgerjob doch nur aussteigen aus der rechtsextremen Szene und ganz viel Reue zeigen.
Trotz aller Lügen, Erinnerungslücken und Beschönigungen waren »Piattos« Aussagen streckenweise interessant. Denn sie offenbarten Widersprüche zu den Darstellungen des Geheimdienstes. Ob das wohl irgendjemand in der Brandenburger Regierung oder im Landtag interessiert?
www.neues-deutschland.de/artikel/954722.nicht-originell-aber-erprobt-der-olg-trick.html