Behörde schlüsselt Verdachtsfälle nach ethnischer Herkunft auf. Land hat massive Probleme mit Bandenkriminalität
Die Zahlen bergen politischen Sprengstoff: Schwedische Bürger:innen, deren Eltern im Ausland geboren wurden, stehen 3,2 Mal häufiger unter Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, als Schweden mit inländischen Eltern, so eine aktuelle Statistik des Amtes für Vorsorge gegen Verbrechen (Bra).
Allein die Veröffentlichung der Daten stellen einen Tabubruch dar, denn bislang war es in Schweden unüblich, den kulturellen oder ethnischen Hintergrund bei solchen Untersuchungen publik zu machen.
Brisant ist auch, dass die Statistik ethnische Gruppen aufschlüsselt. Demnach stehen vor allem Personen aus Westafrika und dem südlichen Afrika unter Verdacht. Eine "politische Bombe" nannte die linksliberale Tageszeitung Dagens Nyheter das Ergebnis.
Der sozialdemokratische Justizminister Morgan Johansson warnte, dass die Veröffentlichung Rassismus Vorschub leisten könnte: "Es ist wichtig, dass man dies nicht dazu nutzt, um Einwanderer als schlechtere Menschen darzustellen." Auch verwies er auf zunehmende Klassenunterschiede in der Gesellschaft.
Auf "kulturelle Unterschiede" und eine "verfehlte Integrationspolitik" sei das Problem zurückzuführen, so auf der anderen Seite Adam Marttinen der Sprecher der rechtspopulistischen Schwedendemokraten.
In diesem Punkt stimmten die bürgerlichen Christdemokraten den Schwedendemokraten zu und betonen, dass diese Debatte viel früher geführt hätte werden müssen.
Die Auswertung der Untersuchung kommt für die rot-grüne Minderheitsregierung unter dem scheidenden Premierminister Stefan Löfven zu einem ungünstigen Zeitpunkt - das Land wird derzeit von einer Welle der Gewalt heimgesucht.
Gewaltkriminalität akuter als Pandemie
Wöchentlich werden mehrere Opfer durch Schusswaffen gemeldet. Die Täter gehören oftmals Banden an, deren Mitglieder primär ausländische Wurzeln haben. Das Problem wird in der schwedischen Gesellschaft als akuter als die Pandemie angesehen.
Das Land hat nach einer staatlichen Erhebung seit 2018 die höchste Rate an Toten durch Schusswaffen innerhalb Europas. Im vergangenen Jahr kamen 46 Menschen durch ein Projektil zu Tode, es wurden 109 Bombenanschläge verübt "Wir sind nicht aufgestellt, um mit diesem Ausmaß von Verbrechen zurechtzukommen", so Linda Staaf, Schwedens höchste Kriminalpolizistin.
Die Migrationsorganisation "Jung und Sicher" sieht durch die Erhebung hingegen die Stigmatisierung der Migranten weiter gefördert. "Man sollte mehr auf die sozioökonomischen Faktoren, Ausgrenzung, häusliche Gewalt und Familiensituation schauen", so Soha Osman, die Vorsitzende der Vereinigung.
Es ist der alte Streit um die Ursachen der Kriminalität: Auf der einen Seite stehen vor allem die Sozialdemokraten, die die "sozioökonomischen Faktoren" als Hauptquelle des Verbrechens sehen.
Einer der Experten dieses Lagers ist der aus Polen stammende Kriminologe Jerzy Sarnecki, der sich gerne Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern aus dem bürgerlichen wie rechten Lagern liefert, die auf kulturelle Unterschiede verweisen und ihm eine Politisierung der Forschung vorwerfen.
Allerdings zeigte sich auch Sarnecki von einigen Entwicklungen wie dem zunehmenden Gebrauch von Schusswaffen und der Professionalisierung von Tötungsdelikten überrascht.
Mittlerweile sollen die Gangs, welche anfangs mit Cannabis-Produkten handelten, direkt mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell in Verbindung stehen.
Kriminologen hatten auf Veröffentlichung von Daten gedrängt
Per-Olof Wikström gehört zu den bekannten schwedischen Kriminologen, die die sozioökonomischen Faktoren weniger berücksichtigen und auf die Verehrung krimineller Charaktere in migrantischen Kulturen verweisen. Auch gehörte er zu den Stimmen, die lange - und schließlich erfolgreich - forderten, dass das "Amtes für Vorsorge gegen Verbrechen" Zahlen zu Einwanderung und Migration auf den Tisch legt.
Der iranischstämmige Mediziner und Kriminologe Ardavan Khoshnood warnt davor, die Debatte um die Herkunft mit dem Verweis auf Rassismus abzuwehren. Auch er gehört zu den Kritikern von Sarneckis Standpunkt.
Die meisten Experten betonen, dass das Phänomen ansteigende Bandenkriminalität bislang zu wenig untersucht wurde und dass es nun zu spät sei, die bestehenden Strukturen effektiv aufzubrechen.
Unklar ist auch, wie die schwedische Regierung auf die Ergebnisse der Studien antworten will.
Schließlich bedroht die ausufernde Gewalt die Glaubwürdigkeit der Regierungsfähigkeit der Sozialdemokraten. Wahlen stehen zwar erst im September kommenden Jahres an. Doch die bürgerlichen Parteien "Moderaten" und "Christdemokraten" hoffen auf eine vorgezogene Abstimmung.
Sie wollen sich von den umstrittenen "Schwedendemokraten" tolerieren lassen, dazu ist die Partei "Die Liberalen" eventuell zu einer Kooperation bereit. Dabei überbieten sich die drei erstgenannten Parteien mit Strafverschärfungsmaßnahmen.
Die Sozialdemokraten müssen hier mithalten: Der amtierende Justizminister will die Verjährungsfrist für Straftaten abzuschaffen, zudem sollte der Polizei mehr Instrumente zur verdeckten Ermittlung in die Hand gegeben werden.
Eine Chance hätte Mitte-Rechts bereits Anfang November. Löfven, seit zehn Jahren Parteivorsitzender und seit sieben Jahren Regierungschef, will dann auf dem Parteitag der Sozialdemokraten zurücktreten.
Nachfolgerin wird vermutlich die Finanzministerin Magdalena Andersson, welche sich bereits mit Steuererleichterungen beim bürgerlichen Lager beliebt machen will. Denn eine Mehrheit ist ihr keineswegs sicher.
Bislang ließ sich Rot-grün in Schweden von "den Liberalen" und der ebenso liberalen "Zentrumspartei" sowie der Linkspartei tolerieren. Ein unstabiles Gefüge, wie der Misstrauensantrag der Linken im Juni und das Drängen der beiden liberalen Parteien nach mehr Marktwirtschaft zeigte.
www.heise.de/tp/features/Schweden-streitet-ueber-brisante-Kriminalstatistik-6182341.html?seite=all413 kommentare...