Nu Gugge in den "Spiegel"
Offenes Bekenntnis
Unionspolitiker wollen den Andrang der Asylbewerber aus der Dritten Welt stoppen, Sozialdemokraten möchten Polen zurück in ihre Heimat schicken. *
Franz Josef Strauß sagte es drastisch, wie es seine Art ist: "Es strömen die Tamilen zu Tausenden herein, und wenn sich die Situation in Neukaledonien zuspitzt, dann werden wir bald die Kanaken im Land haben."
Einen "extrem und unvorhersehbar angestiegenen" Asylantenandrang beklagt der Bayer, und nicht anders sehen es seine Unionskollegen Lothar Späth in Baden-Württemberg und Eberhard Diepgen in Berlin. Das konservative Trio will, über den Bundesrat, das grundgesetzlich garantierte Asylrecht drastisch einschränken. Es gelte, so dramatisierte Berlins Innensenator Heinrich Lummer, die Bundesrepublik "vor einer Überflutung zu schützen".
Der Vorstoß aus Berlin und dem Süden trifft, bei wachsender Arbeitslosigkeit und emporschnellenden Sozialhilfekosten, auf eine breite Ausländer-Stopp-Stimmung im Lande. Die Unionsländer haben es vor allem auf die Abwehr von Asylsuchenden aus Staaten der Dritten Welt abgesehen. Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, der letzten Mittwoch im Kohl-Kabinett zur Ausländerlage berichtete, möchte am liebsten die schon mehrfach geforderte Einschränkung des Nachzugs der Ehegatten und Kinder von Gastarbeitern durchsetzen.
Die SPD tut sich schwer bei ihrer Positionsbestimmung. Für eine "Verschärfung des Asylrechts", so der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor, stehen die Sozialdemokraten "nicht zur Verfügung". Beim allgemeinen Ausländerrecht aber zeigt die Partei zugleich Liberalität und Härte.
Einerseits beschlossen die SPD-Innenminister von Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen vergangene Woche, daß Kinder von Ausländern, deren Eltern bereits in der Bundesrepublik geboren wurden, künftig automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten sollen. Andererseits sind dieselben Minister auf dem Kurs ihrer Unionskollegen:
Polen-Flüchtlinge, die kein Asyl beantragten oder erhielten und bislang trotzdem unbegrenzt bleiben durften, sollen in ihre Heimat zurückgeschickt werden. "Es gibt gar keinen Grund", so Hamburgs Innensenator Rolf Lange in einem SPIEGEL-Gespräch (Seite 83), "daß man Polen anders behandelt als zum Beispiel Türken."
Der neuentbrannte Streit über Weg und Ziel im Umgang mit den rund 4,5 Millionen in Westdeutschland lebenden Ausländern entzündete sich an den wieder ansteigenden Zahlen der Asylsuchenden und Polen-Flüchtigen. Während 1983 fast 20 000 Ausländer einen Asylantrag stellten, um als politisch Verfolgte anerkannt zu werden und so ein Aufenthaltsrecht zu erhalten, waren es 1984 rund 35 000 (darunter 8000 aus Sri Lanka, je 4200 aus Polen und der Türkei, je 2600 aus Ghana und Iran, 2200 aus Äthiopien, je 1500 aus Pakistan, dem Libanon und der CSSR, 1200 aus Afghanistan und 1100 aus Indien).
Vor diesem Hintergrund soll eine Bund-Länder-Kommission zum 1. März Lösungsalternativen zu den "Themen Ostblockflüchtlinge und Asyl" vorlegen, eine letzten Mittwoch vom Bundeskabinett berufene interministerielle Arbeitsgruppe soll Handlungskonzepte entwickeln.
Und "vor diesem Hintergrund" sieht sich auch die baden-württembergische Landesregierung "gezwungen, auf mehreren Ebenen entschlossene Vorkehrungen zur Eindämmung des Asylbewerber-Zustroms in Angriff zu nehmen". Die mit Bayern abgestimmten und ähnlich von Berlin erhobenen Forderungen zielen auf erhebliche Einschränkungen: *___Asyl soll nur noch für zwei Jahre erteilt werden - mit ____anschließender Prüfung, ob die Lage im Herkunfsland des ____Ausländers eine Verlängerung "unabweisbar macht". *___Asylsuchende, bei denen "offensichtlich ist, daß sie ____nur aus wirtschaftlichen Gründen, wegen einer ____allgemeinen Notsituation oder wegen kriegerischer ____Auseinandersetzungen ihr Herkunftsland verlassen ____haben", sollen gleich wieder abgeschoben werden. *___Für Ausländer aus Nicht-EG-Staaten, die von Ost-Berlin ____nach West-Berlin wechseln, soll eine Visapflicht ____eingeführt werden. *___Das Arbeitsverbot für Asylbewerber, bisher auf zwei ____Jahre beschränkt, soll auf die ganze Zeit des ____Anerkennungsverfahrens ausgedehnt werden; Asylsuchende ____sollen generell in Lagern untergebracht werden und ____Sozialhilfe nur noch als Sachleistung erhalten.
Mit diesem Ausländer-Aktionsprogramm holt sich die Regierung, nach dem Streit um das Demonstrationsstrafrecht und den Abtreibungsparagraphen 218, allerdings neuen Konfliktstoff in die Koalition.
"Das Grundrecht auf Asyl", konterte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Burkhard Hirsch, "steht nicht beliebig zur Disposition, zumal auf diesem Gebiet in den letzten Jahren der Rechtsschutz mehr verkürzt wurde als irgendwo sonst." "Experimente" auf diesem Feld würden auf "entschiedenen Widerstand" der Freidemokraten stoßen.
Protest gegen die Asylpläne der Union kommt auch aus den sozialdemokratisch regierten Bundesländern. "Man kann durchaus über weitere Schritte zur Verfahrensbeschleunigung reden", sagt Hamburgs Innensenator Lange, "aber nicht über materielle Einschränkungen des Asylrechts." Hessens Innenminister Horst Winterstein hält eine zeitliche Begrenzung der Asylgewährung für "geschichtslos und unmenschlich" und sieht darin "das offene Bekenntnis zur Abschaffung des Grundrechts auf Asyl".
Die Verschärfung des Asylrechts läßt sich, so ein sozialdemokratischer Ausländer-Fachmann, "durch die steigende Zahl der Flüchtlinge gar nicht rechtfertigen". Denn obwohl an den 84er Zahlen nichts zu deuteln ist - insgesamt kamen im letzten Jahr nicht einmal ein Drittel soviel Schutzsuchende wie 1980 (fast 108 000). Schikanen, Grenzkontrollen, eine oft "erniedrigende Lage" (UN-Flüchtlingskommissar Hartling) der Asylsuchenden in primitiven Massenquartieren und Visazwang für viele Dritte-Welt-Länder haben den Zustrom aus aller Welt im Mehrjahresschnitt gebremst.
Ungehindert kommen die Asylbewerber und Wirtschaftsflüchtlinge nur noch über Berlin: Dort reisen täglich zwischen 50 und 100 Flüchtlinge an, vorwiegend aus Sri Lanka, Ghana und dem Iran. Sie nutzen die Billig-Fluglinie der DDR, landen als Durchreisende im Ostteil der Stadt und fahren mit der S-Bahn in den Westen, wo sie ohne jede Kontrolle aussteigen können - eine seit jeher vom Westen demonstrativ gepflegte Freizügigkeit an der vom Osten verriegelten deutsch-deutschen Nahtstelle.
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