www.compact-online.de/ein-jahr-nach-weihnachtsmarkt-anschlag-keine-traenen-keine-trauer/Es ist verräterisch, mit welchen Floskeln sich Angela Merkel nach den islamistischen Terroranschlägen an die Öffentlichkeit wandte. Kein Wunder: Ein Gedenken mit Würde wird von der Staatsführung nur dann zelebriert, wenn es sich um ausländische Opfer handelt, beispielsweise bei den Toten der sogenannten NSU-Mordserie.
_von Martin Lichtmesz aus COMPACT-Spezial Asyl. Unsere Toten
Wie zu erwarten, galt auch nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 Angela Merkels dringlichste Sorge der Reputation ihrer Flüchtlingspolitik: «Ich weiß, dass es für uns alle besonders schwer zu ertragen wäre, wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat. Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und die sich um Integration in unser Land bemühen.» (bundesregierung.de, 20. Dezember 2016).
Flucht aus der Verantwortung
Dies war eine Art Selbst-Recycling der Kanzlerin. Am 28. Juli desselben Jahres hatte sich Merkel nach einer urlaubsbedingten Verzögerung endlich dazu bequemt, ein paar Worte über die ersten Regungen des islamischen Terrors in Deutschland zu verlieren. Sie äußerte sich damals mit beinahe identischen Worten wie später im Dezember, als die Anschläge von Würzburg und Ansbach um ein Vielfaches überboten wurden: «Dass zwei Männer, die als Flüchtlinge zu uns gekommen waren, für die Taten von Würzburg und Ansbach verantwortlich sind, verhöhnt das Land, das sie aufgenommen hat. Es verhöhnt die ehrenamtlichen Helfer, die sich so sehr um die Flüchtlinge gekümmert haben, und es verhöhnt die vielen anderen Flüchtlinge, die wirklich Hilfe vor Gewalt und Krieg bei uns suchen, die friedlich in einer für sie auch fremden Welt leben wollen, nachdem sie woanders alles verloren haben.» (bundesregierung. de) Und sie fügte hinzu: «Dabei ist es im Übrigen völlig egal, ob diese Flüchtlinge gemeinsam mit den so vielen Flüchtlingen schon vor oder nach dem 4. September des vergangenen Jahres 2015 zu uns gekommen sind.» Was wollte Merkel mit diesem seltsamen Satz sagen? Wollte sie damit etwaigen Vorwürfen zuvorkommen? Ein Kommentator auf Pi-News hatte es wohl richtig erkannt (28. Juli 2016): «Frau Angela Merkel leugnet somit völlig ihre mögliche Verantwortung, obwohl sie alleine die Grenzen für Flüchtlinge, die Terroristen beinhalten, geöffnet hat. Denn Öffnung bedeutet die Erlaubnis, ohne Prüfung nach Deutschland und Europa zu gelangen. Merkel hat somit ab dem 4. September 2015 faktisch allen Terroristen dieser Welt ein freies Geleit nach Deutschland und mittelbar in angrenzende Länder wie Frankreich gewährt.»
Man kontrastiere nun dieses Verhalten mit der Reaktion der Kanzlerin auf einen weiteren Komplex von Terrorakten, der nach offizieller Version zehn Todesopfer forderte. Demnach soll die neonazistische Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), der die seit 1998 untergetauchten Rechtsextremisten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe angehörten, zwischen 2000 und 2006 neun Einwanderer sowie 2007 eine Polizistin ermordet haben. Die Taten wurden jedoch erst Anfang November 2011 bekannt, nachdem Böhnhardt und Mundlos sich auf der Flucht vor der Polizei selbst getötet und Zschäpe sich gestellt hatten. Der seit 2013 andauernde Prozess ist bis dato nicht abgeschlossen, und es liegt immer noch kein Geständnis der angeklagten Tatverdächtigen vor.
Bevor ich fortfahre, möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich die offizielle Version der NSU-Geschichte für unglaubwürdig halte. Die Masse an Ungereimtheiten, Desinformation und ungeklärten Umständen gibt erheblichen Anlass zum Zweifel.
Streichkonzert mit Schuldstolz
Die offizielle NSU-Erzählung, die sich sehr rasch etablierte und in seinen Grundzügen bis dato nicht in Frage gestellt wird, traf einen nationalspezifischen Nerv der Deutschen und löste eine Kette von politischen Bußritualen sowie Schuld- und Schambekenntnissen aus. Der Höhepunkt war eine effektvoll inszenierte Gedenkveranstaltung im Konzerthaus Berlin am 23. Februar 2012, die zum symbolpolitischen Hochamt geriet und mit landesweiten Maßnahmen wie Gedenkminuten in Schulen und Betrieben sowie mit breiter Rundfunkauswertung und Lautsprecherdurchsagen im Nahverkehr von Berlin und Hamburg unterstrichen wurde. «Der Saal im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt ist abgedunkelt. Zwölf Kerzen brennen. Für jedes der zehn Opfer der Neonazi-Zelle eine», schrieb der Stern. «Außerdem ist eine Kerze entzündet stellvertretend für alle anderen Opfer rechtsextremer Gewalt und eine als Symbol für die gemeinsame Hoffnung und Zuversicht.»
«Um 10:30 Uhr tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel in schwarz gekleidet vorn ans Pult. Hinter ihr hängt eine glänzende Deutschlandflagge. Sie beginnt mit ruhiger Stimme die Rede, die eigentlich der Bundespräsident hätte halten sollen. Sie bittet um schweigendes Gedenken. “Mit diesem Schweigen ehren wir die Opfer der Mordserie“, sagt die Kanzlerin. Sie nennt jeden Namen der zehn Opfer und sagt ein paar Sätze zu jedem. “Er glaubte als Geschäftsmann an seine Zukunft in Deutschland.“ Oder: “Er hat seinen Traum von einem Blumenladen erfüllt.“» Auch die Süddeutsche Zeitung trug dick auf: «Zur Ehrung der Angehörigen gehört
auch, dass ein türkischer Komponist gespielt wird, Cemal Resit Rey. Eine dichte, intensive Musik für Violine und Streicher. So emotional berührend wie auch das Gedicht “Schnee“ von Ahmet Muhip Diranas, gelesen von Erol Sander. Oder “Entwöhnung“ von Erich Fried, gelesen von Iris Berben. Abschied, darum geht es. Abschied von den Lieben. Ein Abschied, der den Angehörigen der Opfer viel zu lange viel zu schwer gemacht wurde.» Zusätzlich wurde, wie übrigens drei Jahre später im Pariser Bataclan am Tag nach dem IS-Massaker im November 2015, John Lennons Hymne «Imagine» angestimmt: Der Text fordert die Abschaffung von Religionen, Nationen und Besitztümern, damit eine Welt erstehe, die sich alle Menschen brüderlich und friedlich teilen. Mit anderen Worten: Das Lied war eine durchaus passende Kirchenmusik, um die Ideologie der One World zu verkünden.
Merkel badete während ihrer Rede im für deutsche Politiker obligaten Schuldstolz und bat die Angehörigen der Opfer «um Verzeihung» dafür, dass sie teilweise selbst Gegenstand der Ermittlungen waren, mithin also dafür, dass die Polizei ihre Routinearbeit getan hatte. Der Satz «Dafür bitte ich Sie um Verzeihung» wurde von der Presse suggestiv als Bitte um Verzeihung für die Taten selbst hingestellt – ein Satz, der im Juli und Dezember 2016 weitaus angemessener gewesen wäre, dann aber einen Rücktritt der Kanzlerin zur Folge hätte haben müssen. So brachte die Berliner Zeitung am Tag nach der Gedenkfeier ein ganzseitiges Bild von Merkel auf der Titelseite, wie sie einem Angehörigen der Opfer die Hand schüttelt, Überschrift:
«Deutschland sagt: Biz özur diliyoruz. Wir entschuldigen uns!» Damit wurde de facto den Türken, wie wohl den Einwanderern generell, suggeriert, dass ihnen als Ganzes ein Unrecht geschehen sei, für das das ganze deutsche Volk mitverantwortlich sei.
Die ausgefeiltere Exegese übernahmen schließlich die Hohepriester der Qualitätspresse, wie etwa Georg Paul Hefty in der FAZ (23. Februar 2012). Merkels «feierliche Rede» sei der Staat «seinen Bürgern ausländischer Herkunft, jedoch ebenso der ganzen Gesellschaft, eigentlich auch sich selbst, schuldig» gewesen. Es sei «eine Tragik, dass unser Staat von Verbrechern und unzulänglichen Behörden in die Defensive gezwungen worden ist, kurz nachdem er mit dem Integrationsgipfel, der Islamkonferenz, der Anerkennung des Islams als nunmehr zugehöriger Religion und dem präsidialen Wort von der bunten Republik in Sachen Einwanderung in die Offensive gegangen war.» Die Verbrechen des NSU «zielten auf
die Spaltung in Einheimische und Eingewanderte, auf die Zerstörung der Integrationsfortschritte und
die Unterminierung des beiderseitigen (sic!) Integrationswillens».
Einheit im Zeichen des Blutes
Man kann jedoch nicht spalten, was gar nicht geeint ist. Die Ideologen des Multikulturalismus stehen vor dem permanenten Problem, die gewünschte «Vielfalt» durch wachsende ethnokulturelle Fragmentierung
auf einen gemeinsamen staatlich-gesellschaftlichen Nenner zu bringen. Die Gedenkzeremonie zielte darauf ab, diese Einheit sozusagen mithilfe des Blutes der Opfer des NSU zu stiften: Migranten und zerknirschte Deutsche konnten sich nun im Zeichen des «Niemals wieder» über ihren Gräbern die Hände reichen, unter einmütiger und einigender Verstoßung des rechtsradikalen Sündenbocks. So interpretierte auch Hefty die Feier im Konzerthaus als «Markstein im Zusammenwachsen der Bevölkerung Deutschlands», die «im Laufe von Jahrzehnten nicht lediglich europäischer und transatlantischer, sondern globalisierter geworden» sei.
Nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz in Berlin lässt sich der Zusammenhang zwischen Terrorismus,
Islamisierung und «Flüchtlingskrise» kaum mehr bestreiten, ebenso wenig wie die evidente Mitverantwortung Angela Merkels. Einige Abwehrgefechte werden noch geführt. Am 21. Dezember 2016 fragte die Bild-Zeitung den Bundesinnenminister Thomas de Maizière, was er Menschen antworte, die sagen: «Das sind Merkels Tote!» De Maizière: «Eine solche zynische Behauptung hat mit der Realität nichts zu tun. Das finde ich widerwärtig.» Was hätte er auch anderes sagen sollen als einer, der selbst bis zum Hals in der Verantwortung drinsteckt?