14.06.2012
Polizei suchte mit Geisterbeschwörer nach NSU-Mördern
Von Veit Medick
Jahrelang blieben die Morde der rechtsterroristischen NSU unaufgeklärt. Nun zeigen Akten: Die Hamburger Polizei nutzte sogar Informationen aus dem Jenseits, um den Mördern auf die Schliche zu kommen - mit eigentümlichen Ergebnissen.
Berlin - Es war eine Blutspur, die sich durch ganz Deutschland zog: Innerhalb von sechs Jahren ermordeten die Rechtsterroristen vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) acht türkischstämmige sowie einen griechischen Kleinunternehmer. Eine Verbindung zwischen den Gewalttaten konnten die Sicherheitsbehörden lange Zeit nicht herstellen, unzählige Pannen verhinderten die Aufklärung.
Neue Ermittlungsakten, die dem Bundestags-Untersuchungsausschuss vorliegen, belegen, wie verzweifelt die Behörden versuchten, den Mördern auf die Schliche zu kommen. Die Hamburger Polizei setzte demnach in ihren Ermittlungen auf unkonventionelle Hilfe: Ein iranischer "Metaphysiker" bot den hanseatischen Beamten im Januar 2008 an, über ein "Medium" Kontakt zu dem sieben Jahre zuvor ermordeten Gemüsehändler Süleyman T. aufzunehmen. Die Verantwortlichen der "Soko 061" willigten den Akten zufolge ein. Im April 2008 teilte der Iraner ihnen die angeblichen Ergebnisse seiner metaphysischen "Befragung" des Mordopfers mit, woraufhin die Beamten einen entsprechenden Vermerk anlegten.
Über eine Mittelsfrau ließ der Geisterbeschwörer demnach die Hamburger Polizisten wissen, dass er während eines Aufenthalts in der Hansestadt in einer angemieteten Wohnung für zehn bis fünfzehn Minuten Kontakt zu dem getöteten Gemüsehändler habe aufnehmen können. Der Mord sei demnach "ungeplant" passiert. Hintergrund der Tat sei eine "Ungerechtigkeit" gewesen, auch Drogen hätten eine Rolle gespielt. Das Opfer habe "mit einer Bande in Kontakt" gestanden, die aus bis zu acht Personen mit "Motorrädern/Rockern" bestehe, polizeibekannt sei, jedoch "keinen hohen Organisationsgrad" habe.
"Es könnte sich um einen Türken handeln"
Auffällig sei eine Person mit Kopftuch. Ein Mitglied der Bande heiße "Armin" oder "Amin", ein weiteres heiße Mustafa "Horgh". Auch eine Beschreibung des Mörders habe das Opfer geliefert: "Der Täter soll einen dunklen Teint (Südländer), braune Augen und schwarze Haare haben. Er soll sehr jung sein, und es könnte sich um einen Türken handeln."
Heute weiß man in Hamburg, dass die Angaben des Iraners wenig mit den tatsächlichen Hintergründen der Taten zu tun hatten. Damals aber schienen die Informationen aus dem Jenseits den Hamburger Beamten offenbar immerhin so interessant, dass sie sie mit ihrem internen Informationssystem abgleichen ließen. Fündig wurden sie nicht. "Damit kann ich leider gar nichts anfangen", heißt es in einer E-Mail des zuständigen Beamten an einen Kollegen. "Insbesondere im Zusammenhang mit Motorradfahrern kann ich Dir in dieser Sache leider nicht weiterhelfen."
Auch die Kontaktaufnahme zwischen dem Iraner und den Hamburger Beamten ist in den Akten detailliert beschrieben. Demnach trafen sich am 18. Januar zwei Beamte der Sonderkommission mit einer persischen Unternehmensberaterin in der Lobby des Hamburger Hotels Interconti. Bei der Zusammenkunft schwärmte die Frau offenbar regelrecht von den Fähigkeiten des Mannes.
"Verlieren können wir nichts"
Sie habe ihn als "Giganten unter den Metaphysikern" bezeichnet und auf den "inoffiziellen Bekanntheitsgrad im Iran" hingewiesen, heißt es in einem Vermerk. Der iranische Freund sehe die Möglichkeit, die Hamburger Polizei bei ihren Ermittlungen "entscheidend" weiter zu bringen, habe die Unternehmensberaterin gesagt. Es müsse lediglich ein Visum für ihn beantragt werden.
Die Beamten erklärten daraufhin ihr Interesse an einer Zusammenarbeit, verdeutlichten aber gleichzeitig, dass sie für die Bemühungen des iranischen Freundes keine finanzielle Vergütung leisten könnten, "weder in Form von Ticketpreisen noch Übernachtungen oder Bezahlungen von 'Sitzungen'". Die Unternehmensberaterin habe das nicht als ein Problem angesehen, allerdings gefragt, ob die 300.000 Euro, die die Polizei als Belohnung für Informationen zur Klärung des Falles versprochen hatte, auch ihrem Freund zustehe. Die Beamten sicherten ihr Zahlung zu, solange die Ergebnisse seiner Befragung des Mordopfers zu einer rechtskräftigen Verurteilung des Täters führten.
"Versuch macht klug, und verlieren können wir letztlich nichts", schrieb einer der an dem Gespräch beteiligten Beamten später in einer E-Mail an seine Kollegen. "Wenn wir grünes Licht für hypnotische Befragung bekommen, dann schadet es meiner Meinung nach auch nicht, wenn wir uns auch einmal in diesem Bereich versuchen, zumal uns keine Kosten entstehen und wir uns lediglich bei der Visafrage engagieren müssen."
Gebracht hat das Engagement im Rückblick nichts. Im Gegenteil. Der Fall wirft erneut ein Schlaglicht darauf, wie unglücklich die Ermittler im Zuge der rechtsterroristischen Morde vorgingen.
Im Bundestag sorgt die eigenwillige Herangehensweise der hanseatischen Behörden für Ärger. "Der Rechtsextremismus-Spur ist man in Hamburg nicht nachgegangen, dafür hat man Informationen aus Geisterbeschwörungen genutzt", kritisiert der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy (SPD).
Sein Fazit: "Unglaublich!"
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