www.welt.de/print/wams/politik/article156151105/Corellis-Tod.htmlCorellis Tod
Von Stefan Aust
Der V-Mann Thomas Richter berichtete fast 20 Jahre aus der Nazi-Szene. Dabei kam er dem NSU immer wieder sehr nah. Nun werfen sein Leben und Sterben Fragen auf. Vor allem sein Bruder will Antworten
Das letzte Mal sah Lothar Richter seinen jüngeren Bruder Thomas, den das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Corelli nannte, im April 2014: "Das war im Bestattungsinstitut in Paderborn. Kurz bevor sie ihn eingeäschert haben. Eigentlich wollten sie ihn schon verbrennen", erzählt Richter in einem Interview mit dieser Zeitung. Wenn es nach dem Bundesamt gegangen wäre, hätte er auch nie erfahren, dass sein Bruder in einer Wohnung in Paderborn gestorben war, die der Geheimdienst für ihn angemietet hatte. Obwohl Thomas Richter 18 Jahre für das BfV in der rechten Szene gespitzelt hatte und als Topquelle galt, war für ihn kein Heldenbegräbnis vorgesehen. Das BfV wollte ihn unter seinem Decknamen Thomas Dellig beerdigen lassen – das Grab wäre für die Familie und Außenstehende kaum mehr zu finden gewesen.
Doch dann, so Lothar Richter, meldete er sich in Paderborn bei der Staatsanwaltschaft: "Da haben die vom Verfassungsschutz bestimmt dumm geguckt, dass ich mich so schnell bei den Behörden gemeldet und um die Bestattung meines Bruders gekümmert habe. Die wollten ihn ja lieber so still und leise, ganz heimlich unter die Erde schaffen. Unter falschem Namen. Zack und weg!" Doch: "Ich bin sofort nach Paderborn gefahren und habe mir den Totenschein zeigen lassen. Da stand der falsche Nachname drauf, und dann haben wir seinen richtigen Namen erst noch dazusetzen lassen. Das gab deshalb auch danach noch genug Stress, allein mit dem Erbschein."
Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages, das die Geheimdienste überwachen soll, hatte den Anwalt und ehemaligen grünen Abgeordneten Jerzy Montag im November 2014 beauftragt, den Fall Corelli zu untersuchen. Sein Bericht aus den Mai 2015 bestätigt Lothar Richter: " Auf Wunsch der Abteilungsleiterin 2 des BfV wurde in der Runde einvernehmlich entschieden, Richter unter dem Namen 'Thomas Dellig' beizusetzen."
Jerzy Montag wurde als Sonderermittler beauftragt, sich den Fall genau anzuschauen, weil Corellis Leben und Tod so viele Fragen aufwarfen. Corelli wurde am 7. April 2014 von zwei Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und seinem Vermieter tot in der Paderborner Wohnung aufgefunden. Das BfV wollte mit ihm reden. Der Verdacht war aufgekommen, dass er eine CD einer Gruppe namens NSU/ NSDAP vertrieben hatte, die kurz zuvor aufgetaucht war. Das NSU stand für "Nationalsozialistischer Untergrund", ausgerechnet. Zu Lebzeiten hatte Corelli punktuell Kontakt mit dem NSU. So hatte er einmal über ein Treffen mit Uwe Mundlos berichtet, bevor der zum Untergrundterroristen wurde.
Aber vor allem Corellis Tod bleibt rätselhaft. Bevor man Richter zu der NSU/NSDAP-CD befragen konnte, war er gestorben – man fand ihn auf seinem Bett, er muss schon länger tot gewesen sein. Der genaue Sterbezeitpunkt war nicht mehr "bestimmbar". Augenscheinlich war Thomas Richter in ein diabetisches Koma gefallen.
Nachdem der Gutachter Professor Werner Scherbaum im November 2014 ausgeschlossen hatte, dass Fremdeinwirkungen eine Rolle gespielt hätten, hat er nun vor dem NSU-Ausschuss des Landtages in Düsseldorf ausgesagt, dass zumindest die theoretische Möglichkeit besteht, dass die Diabetes auch durch das Rattengift "Vacor" ausgelöst worden sein könnte. Die Symptome Richters und die Situation vor Ort sprachen für eine Diabetes-Typ-1-Erkrankung – ein Mittel gegen Brechreiz wurde gefunden, dazu viele Wasserflaschen.
Dem Mann war also schlecht, und er hatte extremen Durst, er schrieb einem ehemaligen Nachbarn kurz vor seinem Tod, dass er krank sei. Das Gesamtbild, so Professor Scherbaum gegenüber dieser Zeitung, spreche dafür, dass Richter eines natürlichen Todes gestorben sei, aber sicher könne man erst sein, wenn durch ein toxikologisches Gutachten festgestellt werde, dass sich in Richters Köper kein Rattengift oder ähnliche Substanzen mit demselben Wirkstoff befunden haben. Mit dem "Vacor"-Wirkstoff Pyriminil kann bei einen Menschen eine Typ-1-Diabetes künstlich ausgelöst werden. Die Staatsanwaltschaft Paderborn will nun die Todesermittlung im Fall Corelli wieder aufnehmen und ein neues Gutachten in Auftrag geben, um Klarheit zu schaffen.
Auch der Bruder des V-Mannes, Lothar Richter, hat diese Wendung verfolgt: "Da sind so viele Widersprüche. Zum Beispiel: Thomas ist im Bad umgefallen und hat sich dann bis ins Schlafzimmer geschleppt. Durch den Korridor, und genau dort stand das Festnetztelefon. Da kann mir doch keiner erzählen, dass er es bei einem angeblichen Zuckerschock nicht mehr geschafft haben soll, die Tasten 112 zu drücken?" Der Gutachter Jerzy Montag weist in diesem Zusammenhang in seinem Bericht darauf hin, dass viele Opfer der Diabetes vom Typ 1, bevor sie in ein Koma fallen, Zeichen schwerer geistiger Verwirrung aufweisen: "Die letzten Sucheinträge im Internet deuteten auf einen verwirrten Zustand [Richters] hin. Offensichtlich sei Richter in dieser Situation nicht mehr auf den naheliegenden Gedanken gekommen, eines seiner Mobiltelefone dazu zu nutzen, eine Notrufnummer anzurufen."
Bei Lothar Richter bleiben dennoch Fragen: " Dass es bei Thomas ein natürlicher Tod war, das glaube ich nicht." Eine zweite Obduktion hatte er 2014 nicht angestrebt: "Erstens, weil das Geld gekostet hätte, ich stand ja damals schon mit den Bestattungskosten ganz allein da. Und zweitens wollte ich dann die ganze Sache auch irgendwie abschließen und ihn einfach nur noch nach Halle bringen und beerdigen." Aber: "Immer wenn man denkt, jetzt ist Ruhe, kommt irgendetwas Neues hoch."
Lothar Richter hat vom Bundesamt für Verfassungsschutz seit dem Tod seines Bruder nie Hilfe bekommen: "Von denen war bis heute nie einer bei mir oder bei meinen beiden anderen Brüdern. Die haben sich nie blicken lassen. Nicht mal einen Zuschuss zur Beerdigung haben sie gegeben." Das BfV schrieb ihm stattdessen nüchterne Briefe, darunter einen im Juli 2015. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass im Amt noch diverse Dinge seines Bruders lagerten. Darunter ein Aktenvernichter, Panzermodelle, NS-Literatur und ein blauer Müllsack voller Schuhe. Aber: "Über die in der Aufstellung genannten Gegenstände hinaus sind im Bundesamt…keine weiteren Sachen Ihres verstorbenen Bruders mehr vorhanden."
Das stimmte so nicht. Mitarbeiter des BfV – und später des BKA – hatten Festplatten, Handys, Tablets und Laptops in der letzten Wohnung seines Bruder gesichert und mitgenommen. Das BfV hatte nach Corellis Tod, so stellt es der Montag-Bericht fest, danach ein merkwürdiges Verhalten an den Tag gelegt: "Alle Daten auf sichergestellten Festplatten, in den Mobiltelefonen und den Laptops Richters sollten auf Bitte des BfV gelöscht werden."
Immerhin hatte die lokale Staatsanwaltschaft angeregt, vor der Löschung die Daten zu sichern. Erst die Bundesanwaltschaft verhinderte, dass die Platten wirklich gelöscht wurden. Das BfV wollte noch mehr: "Alle in der Wohnung aufgefundenen schriftlichen Unterlagen und Dokumente, soweit sie keinen Beweiswert hätten und nicht für die Bestattung benötigt würden, sollten an das BfV ausgehändigt werden." Bis heute ist unklar, wie viele Handys, Computer, Tablets und Festplatten bei Corelli gefunden worden sind, wer sie ausgewertet hat, welche Daten darauf zu finden waren. Auch nach zwei Jahren gibt es keinen genauen Überblick.
Wie unvollständig die Inventur der Hinterlassenschaft des V-Mannes ist, wurde vor Kurzem deutlich. Corelli wurde fast 13 Jahre lang von dem V-Mann-Führer Günter B. betreut. Der Mann – 59 Jahre alt, Diplom-Verwaltungswirt – hielt persönliche Gegenstände seines ehemaligen V-Mannes Corelli in seinem Büro versteckt. Als er das räumen musste – er war versetzt worden –, entdeckten seine Kollegen, dass er in einem Stahlschrank Duplikate von Akten des Bundesamtes, aber auch ein Handy und fünf SIM-Karten des V-Mannes Corelli gehortet hatte. Das Handy steckte in einem Umschlag mit der Aufschrift "Privates Eigentum" (die "Welt" berichtete am 3. Juni 2016). Die Vorgesetzten von Günter B. wussten angeblich nichts von dessen Privatarchiv.
Auf dem Handy Corellis, so stellt sich jetzt heraus, sind Hunderte von Nummern, Fotos, Twitter-Nachrichten, Chatprotokolle und Dokumente gespeichert. Wie lange die Daten auf dem nun gefundenen Handy zurückreichen, ist noch nicht bekannt geworden. Auch ist etwa der NSU-Ausschuss des Bundestages noch nicht informiert worden, mit wem Corelli kommuniziert hat und um was es ging.
Günter B., Datensammler und V-Mann-Führer von Corelli, hatte eine ganz besondere Beziehung zu seinem V-Mann. Er erzählte dem ersten NSU-Ausschuss des Bundestages stolz, dass er Corelli zu einer "Spitzenquelle" aufgebaut habe. Richter sei aber "zu keinem Zeitpunkt" Neonazi gewesen, sondern vom BfV "in die neonazistische Szene geschickt" worden.
Als Corelli im September 2012 enttarnt wurde, hatte sich der V-Mann-Führer so große Sorgen um seinen V-Mann gemacht, dass er damals intern im BfV anbot, mit Corelli in eine konspirative Wohnung zu ziehen und den Ort "völlig geheim" zu halten. Ob er Corelli abschirmen wollte oder vor wem er genau geschützt werden musste, ist eine der offenen Fragen.
Der Leitung des Bundesamtes gefiel dieser persönliche Einsatz des V-MannFührers nicht, ihm wurde untersagt, Corelli weiter zu kontaktieren. Doch der Konflikt zwischen dem V-Mann-Führer und seinem Amt in Bezug auf seinen Wunsch, mit Corelli in Kontakt zu bleiben, zog sich bis kurz vor dem Tod von Thomas Richter hin. Selbst eine interne Prüfgruppe des BfV hatte darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwischen V-Mann-Führer und V-Mann zu eng sei. Günter B. schätzte vielleicht auch, dass Corelli Geheimnisse für sich behalten konnte.
Erst im Spätsommer 2012, durch Berichte in der Presse, hatte Lothar Richter erst erfahren, dass sein Bruder ein V-Mann war. Seiner Familie hatte Thomas Richter nie verraten, dass er fast zwei Jahrzehnte als V-Mann für das BfV gearbeitet hatte: "Das hat er wirklich sehr gut geheim gehalten. Wir haben uns zwar schon gewundert, wo er das viele Geld herhatte, um dreimal im Jahr seine Autos in der Werkstatt auseinandernehmen zu lassen und neu aufzubauen, inklusive Lackierung, das war schon seltsam."
Kurz vor seiner Enttarnung war Thomas Richter das letzte Mal bei seinem Bruder. "Da war er bei mir, und er wirkte ganz normal, so wie immer." Danach hatten sie nur noch über das Internet Kontakt: "Wir haben uns über den Chat-Dienst 'Jappy' kurze Nachrichten geschickt. Er hatte Angst vor der Rache seiner rechten Freunde und hat mir geschrieben, dass er untertauchen muss. Ich habe ihm geschrieben, dass ich als sein Bruder zu ihm halte, egal was passiert ist und noch passiert."
Thomas Richter verriet nicht, wo der Verfassungsschutz ihn untergebracht hatte: "Er hat nur geschrieben, dass er alle sechs Monate die Wohnung wechseln muss. Und dann, das war 2013, kam auf einmal eine Nachricht, dass er erst mal nicht mehr chatten kann. Das war das letzte Mal, dass ich mit meinem Bruder Kontakt hatte. Ich dachte, dass er von seinen früheren Freunden gejagt wird und er deshalb untertauchen muss."
Das BfV hatte Thomas Richter im Herbst 2013 eine Wohnung in Paderborn besorgt. 35 Kilometer von dort entfernt, in Detmold, hatte seine Karriere als rechtsradikaler Spitzel begonnen. Er war in Halle an der Saale geboren worden, Mutter Kindergärtnerin, Vater bei der Reichsbahn. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern wurde er Teil der rechten Szene. 1991 schloss er sich in Westdeutschland der damals radikalsten rechten Gruppe, der Nationalistischen Front (NF), an. Richter hatte schon als Jugendlicher das Talent, immer da zu sein, wo die Szene besonders radikal war.
In einem Gebäude der NF feierte er 1993 seinen Geburtstag und lud schriftlich Jan Werner ein, der später zu einem der wichtigsten Unterstützer des NSU-Trios Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt werden sollte, als diese untergetaucht waren. Als die Party zu wild wurde, bekam Thomas Richter Ärger mit dem Chef der NF – angeblich war das für ihn der Anlass, sich an diverse Verfassungsschutzbehörden zu wenden, um sich als Spitzel anzubieten. 1994 wurde er vom BfV übernommen, das Richter fortan Corelli nannte.
Corelli gehörte zu einer ganzen Reihe von Spitzeln, die seit 1990 in Deutschland rekrutiert wurden. Man versuchte systematisch, die militante rechte Szene zu unterwandern. Wie andere V-Männer auch schützte das BfV ihn vor Strafverfolgung. In einem Fall kontaktierte das BfV das BKA und einen Staatsanwalt direkt, man wollte sofort informiert werden, wenn eine Durchsuchung bei Richter anstand. Ein Beamter des BKA kam dem Wunsch des BfV nach. 1995 kam Richter zur Bundeswehr – er täuschte Krankheiten vor, versuchte mit allen Mitteln, aus der Armee herauszukommen. Bevor ihm das gelang, traf er auf einen Soldaten aus Jena: Uwe Mundlos. Der erzählte ihm, dass er mit Freunden die Kameradschaft Jena aufbauen würde. Als guter V-Mann merkte sich Richter die Details und Namen und berichtete seinem V-Mann-Führer – damals war das noch nicht Günter B. – über Mundlos.
Das BfV war in dieser Phase bereits durch diverse Quellen über die Entwicklung in Thüringen informiert. Wie viele V-Männer wurde Corelli vom Geheimdienst eng geführt, geleitet und angewiesen, womit er sich zu befassen habe. Dafür war ab 1999 dann Günter B. zuständig. In dieser Phase wurde der V-Mann beauftragt, Informationen über einen Ku-Klux-Klan-Ableger zu besorgen, in dem ein schwäbischer Neonazi aktiv was: Achim Schmid. Er unterhielt sich mit Schmid in einem Chatroom, den Rechtsradikale damals benutzten. Schmid war in der Szene bekannt als Rechtsrocker und seit 1998 Mitglied in einem Ku-Klux-Klan.
Schmid hielt Richter zwar nicht für besonders intelligent und politisch interessant, wie er heute sagt; sein Hang zu nordischen Göttern nervte ihn. Trotzdem lud Schmid ihn ein, als er selbst mit anderen einen neuen Klan gründete. Ordentlich sollte es dort zugehen. Schmid wollte keine Skinheads, sondern mit Funktionsträgern der Gesellschaft die Rassentrennung durchsetzen, wie er erklärt: "Wir wollten die bürgerliche Mitte, wir wollten Leute aus Politik, Wirtschaft, Industrie und der Polizei haben. Die Gesellschaft unterwandern, um diese Rassentrennung durchzusetzen."
Corelli berichtete dem BfV dann, dass tatsächlich auch Polizisten bei Schmids Klan mitmachten – darunter ein junger Bereitschaftspolizist namens Timo H. Um Mitglied im Klan zu werden, musste H. einen Aufsatz über "Politik und Rasse" schreiben. Schmid sagt dazu heute: "Wenn ich in einen Klub eintrete, wo ich eine Abhandlung über das Thema ,Rasse' abgeben muss, wo es um Politik geht, und dann sage, ich wüsste nicht, was das gewesen sein soll, bitte!" Sieben Jahre später war Timo H. in derselben Beweis- und Festnahmeeinheit wie die Thüringerin Michèle Kiesewetter. Die Polizistin wurde am 25. April 2007 mit Kollegen in Heilbronn eingesetzt, Timo H. leitete das Kontingent an diesem Tag. Er war am Tatort, wenige Minuten nachdem Kiesewetter erschossen und ihr Kollege schwer verletzt worden war.
Corelli wurde sein Einsatz im Ku-Klux-Klan fast zum Verhängnis – ein Verfassungsschützer aus dem Landesamt in Stuttgart warnte Schmid, dass ein Verräter in seinem Klan sei. Mit großem Aufwand verhinderte das Bundesamt Corellis Enttarnung. Aber, das ist einer der vielen Widersprüche in der Karriere des V-Manns, er wurde nur kurz nach der Klan-Episode vom BfV 2003 selbst abgeschaltet: Er soll dem Amt Informationen vorenthalten haben. Danach blieb Thomas Richter Teil der Szene, feierte seinen Geburtstag 2004 mit anderen Rechtsradikalen ausgerechnet in einer Kneipe in Heilbronn.
Diese Kontakte wollte das BfV im Juni 2005 wieder nutzen, angeblich wollte man auf die Zugänge Corellis zum rechtsradikalen Musikbereich nicht weiter verzichten. Doch es irritiert, dass Corelli vom damaligen Präsidenten des BfV, Heinz Fromm, persönlich wieder aktiviert wurde, seit Mai wurde der Vorgang diskutiert. Auch das Datum der tatsächlichen Aktivierung lässt aufhorchen: Richter war ab dem 15. Juni 2005 wieder ein V-Mann. An dem Tag erschoss der NSU Theodorus Boulgarides in München, sechs Tage zuvor hatte es einen weiteren NSU-Mord in Nürnberg gegeben. Genau zwei Monate später soll Richter seinem V-Mann-Führer, so behauptet das BfV, eine CD übergeben haben – jene, die von einer Gruppe namens NSU/NSDAP hergestellt worden ist. Auf der CD war ein Art Booklet gespeichert, auf dem Cover eine Waffe, die Hände von Adolf Hitler und der Schriftzug "NSU/NSDAP".
Das BfV hat die CD zwar in seiner Datenbank eingelesen, auch der Name wurde wahrgenommen, und man notierte, die CD sei zur Verteilung vorgesehen – aber dann kümmerte man sich nicht mehr um den Fund. Auch will dem BfV nicht aufgefallen sein, dass man bereits 2002 auf eine Anzeige in dem Fanzine "Der Weiße Wolf" gestoßen war, in dem einem NSU gedankt wurde – "Es hat Früchte getragen;-) Der Kampf geht weiter." Dieses Fanzine hatte der V-Mann Corelli dem BfV besorgt, er hatte außerdem dem "Weißen Wolf" eine Internetpräsenz organisiert.
Corelli war schon seit einem Jahr enttarnt, er war ein letztes Mal bei seinem Bruder zu Besuch gewesen und in ein vom BfV organisiertes Untergrundleben eingetreten, als die Informationen über die NSU/NSDAP-CD plötzlich in einem rechtem Internetforum erwähnt wurden. Ein V-Mann des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz behauptete kurz darauf, er habe die CD von Thomas Richter alias Corelli bekommen. Das Bundeskriminalamt (BKA) bekam die CD in die Hände, schickte sie zur Begutachtung zum BfV, verschwieg aber, dass der V-Mann die CD von Corelli bekommen haben will.
Am 4. April 2014 informierte das BKA dann das BfV, dass Corelli selbst die CD an den V-Mann in Hamburg übergeben haben soll. Am 4. April hatte Corelli schon mutmaßlich seit Tagen Symptome einer Erkrankung gezeigt. Am 3. April um 14.26 Uhr schrieb er möglicherweise seine letzte Nachricht an einen Freund – er sei krank.
Allerdings ist nicht bekannt, was auf Corellis Handy, das der V-Mann-Führer im Stahlschrank aufbewahrte, noch für Nachrichten gespeichert sind. Den V-Mann-Führer hatte Corelli am 20. März 2014 das letzte Mal getroffen. Tags darauf schrieb Thomas Richter eine SMS an Günter B.: "Wünsch dir ein schönes WE, auch wenn ich dich nicht mehr anrufen soll oder darf." Keine zwei Wochen später war der frühere V-Mann tot. Der V-Mann-Führer Günter B. soll nun abermals von verschiedenen Institutionen gehört werden – zu Corelli, der CD, seinem Schrank, den Handys. Das BfV hat ihm jedoch bereits untersagt, vor dem NSU-Ausschuss in Düsseldorf auszusagen.
Außerdem, so heißt es in Sicherheits- und Bundestagskreisen, sei Günter B. gesundheitlich angeschlagen. Er habe Diabetes.
Artikel vom 12.06.2016 / Ausgabe 24 / Seite 8