„Fakt ist: Böhnhardt erschießt sich nicht selber“
03.03.2016 - 02:30 Uhr
Der Ostthüringer Bundestagsabgeordnete Frank Tempel (Linke) hat inzwischen eine grundsätzliche Vorstellung, was sich am 4. November 2011 in Eisenach-Stregda im von der Polizei entdeckten Wohnmobil zugetragen haben könnte.
www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Fakt-ist-Boehnhardt-erschiesst-sich-nicht-selber-133488927#.VtfWptVUESI.twitterErfurt. Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag durfte er diese Woche das ausgebrannte Fahrzeug beim Bundeskriminalamt (BKA) in Meckenheim (Rheinland) besichtigen.
„Fakt ist: Böhnhardt erschießt sich nicht selber“, sagte der frühere Kriminalbeamte gestern unserer Zeitung. „Er eröffnet das Feuer auf die Polizisten und trifft zum Glück nicht. Wir sehen an der Tür diese Delle“, fährt er fort „und eine Abplatzung an der gegenüberliegenden Hauswand“. Böhnhardt soll dabei durch die Vorhänge und die Plexiglasscheibe des Fahrzeugs geschossen haben.
Dritte Person wäre völlig mit Blut bespritzt
„Und Mundlos, der hinten sitzt, erschießt Böhnhardt“, fügt der Abgeordnete an. Er betont ausdrücklich: „Das muss nicht einvernehmlich geschehen sein.“ Er halte die Annahme für plausibel, dass „einer das alles fortsetzen und eher auf die Polizisten schießen wollte, während der andere zum Schluss gekommen ist, dass das alles keinen Zweck mehr habe“. „Das ist eine mögliche Variante.“ Ob das damalige Geschehen jemals völlig geklärt werde, bezweifelt der Abgeordnete.
Problematisch findet der 47-Jährige, dass nicht abschließend untersucht wurde, ob eine dritte Person Mundlos überhaupt hätte erschießen können. Es sei geklärt worden, dass sich Mundlos selber erschossen haben könnte, aber es würden Untersuchungen fehlen, ob es nach Spurenlage und anhand der Räumlichkeit auch durch eine dritte Personen möglich gewesen wäre. „Ich hätte es als normal empfunden, wenn man sagt, wir probieren, ob man einen dritten Täter ausschließen kann.“
Der frühere Ermittler verweist andererseits darauf, dass eine dritte Person, die Mundlos und Böhnhardt erschossen haben könnte, wegen der Enge im Wohnmobil „über und über mit Blut bespritzt wurde“. Es gebe aber keinen einzigen Hinweis von Zeugen, dass eine solche Person gesehen wurde. Aus Sicht des Politikers fehlen derzeit „objektive Hinweise“ auf eine dritte Person im Wohnmobil beim Tod von Mundlos und Böhnhardt.
Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages wird sich demnächst ebenso wie der Thüringer Untersuchungsausschuss mit den Geschehnissen am 4. November 2011 in Eisenach und den darauf folgenden Ermittlungen befassen. Auch Frank Tempel sieht den Abtransport des ausgebrannten Wohnmobils vor einer ersten umfassenden Spurensicherung kritisch. Fotos würden belegen, dass im Inneren beim Transport einer der Toten, aber auch Gegenstände, verrutscht seien.
Das Wohnmobil der beiden mutmaßlichen Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt war nach dem Löschen des Brandes noch mit den Leichen am späten Nachmittag des 4. Novembers zuerst in eine gesicherte Halle eines Abschleppunternehmens gebracht worden, um zuerst die Toten und danach mögliche Schusswaffen zu bergen.
Später wurde das Fahrzeug dann längere Zeit beim Landeskriminalamt Erfurt in einer Sicherstellungsgarage aufbewahrt, bevor es nach Meckenheim kam. Wann und wie genau dieser letzte Transport erfolgte, konnten die anwesenden BKA-Beamten den Abgeordneten nach Angaben von Frank Tempel nicht sagen. Das sei eine der offenen Fragen, betont er.
Nur mit Schutzanzügen dem Wohnmobil genähert
Die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses durften sich dem Wohnmobil nur in kompletter Schutzkleidung nähern, da der damalige Tatort noch immer Gegenstand weiterer Untersuchungen ist.
Das Wohnmobil mit Mundlos und Böhnhardt war nach einem Raubüberfall auf eine Sparkasse in Eisenach am 4. November 2011 gegen Mittag von zwei Polizisten in Eisenach Stregda entdeckt worden. Offenbar wurde mindestens ein Schuss aus dem Inneren auf die Beamten abgegeben. Kurz darauf sollen sich die Männer getötet haben und das Fahrzeug in Flammen aufgegangen sein.
Der nachfolgende Polizeieinsatz war auch der Beginn der Ermittlungen zur mutmaßlichen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“. Die Gruppierung wird für zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle verantwortlich gemacht.
Vor dem Oberlandesgericht München stehen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte seit Mai 2013 wegen der NSU-Verbrechen oder der Unterstützung der mutmaßlichen Terrorzelle vor Gericht. Das Verfahren soll noch im Laufe des Jahres enden.
These vom Rauch in der Lunge beschäftigt Untersuchungsausschuss
Hatten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ruß in ihren Lungen oder nicht? Das ist eine der Fragen, die heute den NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag beschäftigen werden.
Ruß wäre ein möglicher Beleg dafür, dass vor dem Tod noch Brandpartikel im Wohnmobil eingeatmet wurden. Ein Brandsachverständiger aus Baden-Württemberg hatte dem Ausschuss allerdings bereits erklärt, dass das Fehlen von Ruß in der Lunge nicht per se ein Beleg dafür ist, dass der Tod vor Ausbruch des Feuers eingetreten sein muss, da sich die heißen Branddämpfe erst einmal unterm Dach sammeln würden.
Der frühere BKA-Präsident Jörg Ziercke hatte am 21. November 2011 den Innenausschuss des Bundestags darüber informiert, dass Rußpartikel vom Brand des Fahrzeuges in der Lunge von Mundlos entdeckt wurden, bei Böhnhardt aber nicht.
Der Jenaer Rechtsmediziner Reinhardt Heiderstädt gab Ende Mai 2014 im Münchner NSU-Prozess an, dass in keiner der Lungen der beiden Toten Rußpartikel gefunden wurden.
Der Rechtsmediziner und seine Chefin, Prof. Gita Mall, sollen heute im Untersuchungsausschuss befragt werden. Zudem sind noch zwei Toxikologen geladen, die weitere Untersuchungen vorgenommen haben.
Die zweite Frage, die im Raum steht, ist die nach einer dritten Person, welche die beiden mutmaßlichen Rechtsterroristen getötet haben könnte. Zwingende Belege dafür würden sich bei der Ruß-Frage aber nur ergeben, wenn damit beweisbar wäre, dass die beiden Männer bereits vor dem Feuer tot waren.
Kai Mudra / 03.03.16 / TA