1. Kundenrezension
Verdeckten Machtstrukturen auf der Spur, 24. Januar 2016Von Honeybal Lektor
Rezension bezieht sich auf: Der tiefe Staat: Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob (Gebundene Ausgabe)
Jürgen Roth hat ein interessantes Buch geschrieben, von dem ich mir sicher bin, dass es hitzige und kontroverse Debatten auslösen wird. Er geht dabei Indizien nach der Existenz des sogenannten Tiefen Staates nach. Er definiert ihn als informelle und verdeckte Machtstrukturen ohne demokratische Legitimiation und Kontrolle, der sich der Durchsetzung eigener weltanschaulicher Interessen verpflichtet fühlt und dabei keine Rücksicht auf Verfassung, Gesetze und die Interessen der Zivilgesellschaft nimmt. Seine Kennzeichen sind Rassismus, Elitismus, völkischer Nationalismus und Menschenfeindlichkeit (S. 330).
Der Autor beginnt seine Spurensuche in seinem grundsätzlich chronologisch angelegten Buch bei den Stay-Behind-Einheiten der NATO, die bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet wurden, um im Falle einer sowjetischen Invasion gegen die Rote Armee zu kämpfen, aber auch im Innern durch Anschläge das innepolitische Klima zu beeinflussen. Hier liegen mittlerweile ausreichend gesicherte Kenntnisse vor, dass diese Strukturen und Akteure alle Kennzeichen erfüllen, auch wenn es in diesem Bereich immer noch genügend aufzuklären gibt. Interessant im Zusammenhang mit Stay-Behind-Einheiten sind die Bücher von Daniele Ganser sowie von Erich Schmidt-Eenboom/Ulrich Stoll.
Danach wendet sich der Autor der personellen Kontinuität in der deutschen Sicherheits- und Justizstruktur von der NS-Zeit bis in die Bundesrepublik hinein zu. In der Tat kann auch hier der Nachweis erbracht werden, dass viele hochrangige NS-Funktionäre schnell wieder in Amt und Würden waren, obwohl es völlig an demokratischer Gesinnung mangelte.
Ähnliches ließ sich aber auch nach dem Ende der DDR beobachten. Wenige Entscheidungs- und Verantwortungsträger wurden juristisch zur Rechenschaft gezogen und viele von ihnen machten auch in der wiedervereinigten Bundesrepublik schnell wieder Karriere, obwohl auch hier die demokratische Grundüberzeugung doch teilweise mehr als fraglich erscheint.
Eine gewisse personelle Kontinuität ist in einer post-diktatorischen Transformationsphase somit wohl oftmals ein bedauerliches Nebenprodukt, um eine gesamtgesellschaftliche Integrationswirkung zu erzielen und somit einen Neuanfang überhaupt erst zu ermöglichen. Was die völlige Marginalisierung ehemaliger Eliten im Negativen bewirken kann, ist derzeit am besten im Irak zu beobachten, wo sich viele Sunniten aufgrund des politischen und gesellschaftlichen Aussschlusses nach dem Krieg von 2003 letztlich dem Islamischen Staat angeschlossen haben.
Spannend ist in diesem Kapitel auch die Auseinandersetzung mit den vielen Ungereimtheiten bezüglich des Oktoberfestattentats im Jahr 1980 und hier liegt es auf der Hand, dass wohl massiv vertuscht und manipuliert wurde.
Im folgenden Kapitel widmet sich der Autor dem NSU und seinem Unterstützerumfeld und der unrühmlichen Rolle, die die deutschen Sicherheitsbehörden bei der Fahndung nach den Rechtsterroristen eingenommen haben. Viele Zusammehänge sind nach wie vor nicht eindeutig zu beweisen, aber anhand der zahlreichen und klaren Indizien kann man zumindest schließen, dass nicht nur alles Pannen und Zufälle waren, sondern dass auch hier massiv manipulierend eingegriffen wurde und weiterhin nicht annähernd die ganze Wahrheit am Licht ist. Alleine die massenhafte Vernichtung brisanter Akten spricht Bände.
Das letzte Kapitel widmet sich den offen vorhandenen rechtsextremen Strukturen, die vor allem in einigen Regionen Ostdeutschlands existent sind und der Instrumentalisierung der aktuellen Flüchtlingsdebatte, um rechtsextreme ideologische Ziele und dumpfen Rassismus mehrheitsfähig zu machen, wobei leider ein nicht unerheblicher Erfolg feststellbar ist. Die beobachtbare verbale Verrohung und zunehmende Gewaltbereitschaft sind mehr als alarmierende Zeichen.
Jedoch haben sich für mich auch ein paar Kritikpunkte ergeben:
Herr Roth verwendet die Begriffe rechtsradikal und rechtsextrem synonym. Jedoch bestehen hier sehr wohl definitorische Unterschiede. (siehe auch Website der Bundeszentrale für politische Bildung). Rechtsextrem wäre meiner Meinung nach der passendere Ausdruck gewesen, um mehr begriffliche Präzision zu haben.
Die bürgerlich-konservativen Parteien unterschiedlos als Wegbereiter und Sympathisanten von Rechtsextremisten darzustellen, führt meines Erachtens jedoch zu weit. Sicherlich mag es hier Personen geben, denen eine gewisse ideologische Nähe unterstellt werden könnte, aber ebenso gab es namhafte Politiker aus dem linken Spektrum, die ideologisch und/oder personell der RAF sehr nahe standen. Daraus Generalisierungen abzuleiten, halte ich für übertrieben.
Die teilweise fehlende eindeutige Distanzierung konservativer Politiker bei rechtsextremen Gewalttaten ist ebenso bei linksextremistischen Gewalttaten und linken Parteien regelmäßig beobachtbar (siehe z.B. Castor-Transporte oder EZB-Neueröffnung). Auch hier halte ich Generalisierungen für nicht zielführend, auch wenn zugegebenermaßen manche Politiker doch oftmals ihr Demokratieverständnis ernsthaft überprüfen sollten.
Dies soll keinesfalls als Verharmlosung rechtsextremer Gewalt aufgefasst werden, aber bei allen ideologischen Unterschieden zwischen dem linken und rechten Lager gibt es zweifelsfrei auch demokratiedefizitäre Ähnlichkeiten. Somit ist mir die Darstellung an manchen Seiten etwas zu einseitig, denn diese ideologiegeleiteten Strukturen existieren meiner Meinung nach sowohl im rechten, aber auch im linken Lager.
Die Aussage, dass bisher keine als Flüchtlinge getarnte Terroristen ins Land gekommen sind, ist seit dem jüngsten Vorfall in Paris überholt und nicht mehr haltbar.
Obwohl ich nicht alle Ansichten von Herrn Roth teile, teile ich aber die Grundintention des Buches absolut, denn im abschließenden Kapitel macht sich Jürgen Roth für ein demokratisches und zivilgesellschaftliches Engagement stark, damit unsere Grundwerte erhalten bleiben. Dies ist auch dringend notwendig, um die Freiheit gegen Ideologen und informellen Machtstrukturen aller Art zu verteidigen ' egal ob aus der rechtsextremen, linksextremen oder der salafistischen/jihadistischen Richtung.
Trotz einiger Kritikpunkte von mir noch 4 Sterne für dieses interessante und leidenschaftliche Buch, dass den Finger in viele offene Wunden legt und ebenso viele wichtige Fragen stellt, deren schnelle, umfassende und ehrliche Beantwortung die Aufgabe diverser staatlicher Stellen und politischer Entscheidungsträger wäre.
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Soeben als Kindle-Edition gekauft.