Post by vonstein on Aug 10, 2017 9:25:49 GMT 1
Gunter Weißgerber auf Achgut
Salto mortale: Westmedien vor 1989 und heute
Der „Spiegel“ schrieb in den 80ern sinngemäß, die DDR-Deutschen seien ein Volk, welches täglich um 20 Uhr kollektiv auswandere. Gemeint war der Exodus in den West-Äther: Der Beginn der westdeutschen „Tagesschau“. So war das tatsächlich. Der Informationshunger der Ostdeutschen wurde außer Landes gestillt. Die DDR-Medien zwangen uns rund um die Uhr sozialistische Erziehung und Umerziehung auf. Es gab für uns nicht die geringste Chance auf Vielfalt der Informationen. Individuelle Meinungsbildung war nicht erwünscht.
Die absehbaren Folgen für die Glaubwürdigkeit der ostdeutschen Medien waren gravierend: Nicht einmal die Wettervorhersage wurde geglaubt, von den Nachrichten ganz zu schweigen. Einfach gruselig. Das Ende der „Diktatur der Arbeiter und Bauern“ war auch in medialer Hinsicht ein glückliches, sogar ein besonders glückliches.
Den „Spiegel“ las ich damals übrigens in der „lustigsten Baracke“ des östlichen Lagers. So nannten wir halb im Spaß, halb im bitteren Ernst (und stets hinter vorgehaltener Hand) die Volksrepublik Ungarn. Freunde aus der Bundesrepublik brachten uns das subversive Schriftgut mit. Am Balaton lagen wir nicht nur in der Sonne, sondern verschlangen auch mitgebrachte West-Zeitungen. Die ausgehungerten DDR-Bürger entwickelten in dieser Hinsicht einen riesigen Appetit.
Am Strand wurden in den Kiosken die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, ein österreichisches Blatt und immer die „Budapester Rundschau“ in deutscher Sprache verkauft. Die westdeutschen Zeitungen waren für uns einfach ein Genuss. Pluralismus, Informationen ohne Zeigefinger, eine Sprache weitab vom hölzernen Deutsch der DDR-Apparatschiks.
Die „Budapester Rundschau“ erschien übrigens als Zeitung der ungarischen SED, der USAP. Das konnte anders nicht sein. Doch selbst diese Publikation wurde nicht im offenem Zeigefingermodus verfasst. Die Herkunft der Beiträge war zwar immer klar zu erkennen und doch hatte das Denken irgendwie eine Chance in dem Blatt – jedenfalls für im Spurenlesen geübte DDR-Insassen.
Lange Wartelisten für die „Budapester Rundschau“
Ganz zu schweigen davon, dass in dieser Zeitung ab Mitte der 80er Jahre tatsächlich frische Luft wehte. Die Reformer aus eigener Kraft, Poszgay, Nemeth und andere, kamen deutlich zu Wort und ebneten den Weg zu den weit aufgestoßenen Fenstern des Jahres 1989. Wie sehr unterschieden sie sich von Gysi, Modrow & Co., die als Trittbrettfahrer die politische Bühne bespielen und ihre DDR erhalten wollten (zusammen mit Lafontaine...).
Wer die „Budapester Rundschau“ in den 80er Jahren las, wusste nicht nur über die Innenpolitik Ungarns Bescheid. Nein, er konnte auch spüren wie der „wind of change“ immer kräftiger wehte. Ich selbst eroberte nach Jahren des Wartens um 1984 ein Abonnement der „Budapester Rundschau“. Ein absurder Vorgang: Erst wenn ein Alt-Abonnent absprang, konnte man als Neu-Bezieher nachrücken. Einfach gesagt: Jemand in den Westen geflüchtet, verhaftet worden oder gestorben sein. Anders gabs keine Chance auf ein Abo in der verblichenen DDR. Beim „Mosaik“ von Hannes Hegen war es genauso. Die Zahl der Interessenten für diese Zeitung war ungleich höher als die Warteliste. Nicht nur für Trabbis und Wartburgs galt das Prinzip der sozialistischen Warteschlange.
Aber zurück zu unserer Sehnsuchts-Presse von damals. Im Hochsommer 2017 war ich wieder am Balaton. Und die alten Erinnerungen kamen hoch. Wie haben sich in den Jahrzehnten seitdem die „Süddeutsche Zeitung“ oder „Spiegel?“ entwickelt? Nun, unsere Leuchtürme von einst sind nicht nur älter, sondern auch anders geworden. Und diese Veränderungen sind nicht eben vorteilhaft. Zu Ostblockzeiten hätte ich beispielsweise die „SZ“ in ihrer heutigen Verfassung ohne Zögern als „SED-ähnliches Parteiblatt“ bezeichnet.
28 Jahre nach der „Friedlichen Revolution“ von 1989/90 stelle ich beinahe täglich fest, dass mir die unaufhörliche, die penetrante Belehrung in sehr vielen Printmedien und in den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten (die Privaten interessieren mich weit weniger) gehörig auf den Geist geht.
Immer und überall lugt der moralische Zeigefinger aufdringlich hervor. Fast wie früher sind die Regionalseiten oftmals noch die verträglichsten Angebote. Es widert mich derart an, dass ich nicht einmal mehr Lust auf den Wetterbericht habe. Das Belehrende, Erziehende, Umerziehende (verbunden mit medialer Aufbereitung für ein Publikum, das offenbar auf dem Niveau eines Klippschülers vermutet wird).
Ich lese immer häufiger Schweizer oder österreichische Zeitungen
Inzwischen lese ich immer häufiger Schweizer oder österreichische Zeitungen, die haben für mich jetzt die Funktion der einstigen West-Presse. Oder ich informiere mich in seriösen Internetmagazinen, mag auf andere Publikationsorgane abseits der Üblichen im Lande nicht mehr verzichten. Nur so kann ich mir ein wirklich ein plurales und im guten Sinne hintergründiges Bild von unserer Welt verschaffen.
Warum geht es mit vielen traditionellen Medien, die wir damals so liebten, dermaßen bergab? Woher kommt diese beklemmende Richtung? Und, vor allem: Warum ist das so? Ich spreche ausdrücklich nicht von „Lügenpresse“. Ich mag das Wort nicht und der Vorwurf ist auch Blödsinn (und dient einer gezielten Destabilisierung durch Vertreter des rechten und linken Randes). Damit will ich nichts zu tun haben. Was mich aber gewaltig in Wallung bringt: Das ängstlich betriebene Aussortieren von Informationen mit vorab schwer zu kalkulierender Wirkung.
Die Klebers und Reschkes dieser Republik erinnern mich in ihrer aufgesetzten Moraldominanz schlicht an Klaus Feldmann und Angelika Unterlauf von der „Aktuellen Kamera“. Natürlich gibt’s einen Unterschied: Feldmann/Unterlauf mussten verkünden, was ihnen die SED-Friedensfreunde vorschrieben. Kleber/Reschke verkünden ihr aufdringliches Zeug von sich aus. Ob es das nun besser oder noch schlechter macht, muss jeder selbst entscheiden.
Ich benötige jedenfalls keine belehrende Information. Meine Schlüsse ziehe ich selbst und im Zweifel gegen die aufdringlich empfohlene alternativlose Denkrichtung. Das wiederum ist ein systemunabhängiges Verhalten. Im „Dritten Reich“ und in der DDR waren die Medien an die Kandare der Staatsparteipropaganda gefesselt. Mit der Bundesrepublik ist das nicht vergleichbar. Es gibt keinen Propagandaminister und keinen Agitprop-Sekretär, der die Medien anleitet. Die leiten sich höchstens in wundersamer Weise irgendwie selbst an. Abstoßend aber ist das auch.
Zu meinen Lieblingen gehörten bisher populärwissenschaftliche Sendungen wie „Terra X“ und ähnliche. Selbst das wird mir inzwischen vergällt. Die obligatorischen Zeigefingersätzen über die globale Erwärmung und deren apokalyptischen Folgen beispielsweise scheinen in einer Endlosschleife produziert zu werden. Für solche Sätze muss es Fördermittel geben. Anders ist diese Inflation des Untergangs nicht zu erklären. Ich schalte meist drei Minuten vor Ende solcher Beiträge auf einen anderen Kanal, um der unvermeidlichen finalen Belehrung zu entgehen.
Liebe Radio-, Fernseh- und Zeitungsleute, jetzt mal einen wirklich ehrlich gemeinten Rat: Ihr verliert täglich bislang noch Wohlgesonnene, wenn ihr nicht endlich aufhört, uns dergestalt auf den Keks zu gehen. Informiert uns redlich und so objektiv, wie es Menschen möglich ist. Fehler sind unvermeidbar und werden auch verziehen. Nicht verziehen wird penetrante Volkserziehung. Sagt uns ruhig eure persönliche Meinung, aber kennzeichnet diese Kommentare auch entsprechend. Da kann jeder entscheiden, ob er ihn diese eure Meinung interessiert, ob er sie teilt und ob er sie braucht. Journalisten haben vor den Lesern, Hörern und Zuschauern im Regefall einen Zeitvorsprung, aber nicht unbedingt die bessere Urteilskraft. Auch wenn sich das mancher einbildet.
www.achgut.com/artikel/salto_mortale_westpresse_vor_1989_und_heute
Salto mortale: Westmedien vor 1989 und heute
Der „Spiegel“ schrieb in den 80ern sinngemäß, die DDR-Deutschen seien ein Volk, welches täglich um 20 Uhr kollektiv auswandere. Gemeint war der Exodus in den West-Äther: Der Beginn der westdeutschen „Tagesschau“. So war das tatsächlich. Der Informationshunger der Ostdeutschen wurde außer Landes gestillt. Die DDR-Medien zwangen uns rund um die Uhr sozialistische Erziehung und Umerziehung auf. Es gab für uns nicht die geringste Chance auf Vielfalt der Informationen. Individuelle Meinungsbildung war nicht erwünscht.
Die absehbaren Folgen für die Glaubwürdigkeit der ostdeutschen Medien waren gravierend: Nicht einmal die Wettervorhersage wurde geglaubt, von den Nachrichten ganz zu schweigen. Einfach gruselig. Das Ende der „Diktatur der Arbeiter und Bauern“ war auch in medialer Hinsicht ein glückliches, sogar ein besonders glückliches.
Den „Spiegel“ las ich damals übrigens in der „lustigsten Baracke“ des östlichen Lagers. So nannten wir halb im Spaß, halb im bitteren Ernst (und stets hinter vorgehaltener Hand) die Volksrepublik Ungarn. Freunde aus der Bundesrepublik brachten uns das subversive Schriftgut mit. Am Balaton lagen wir nicht nur in der Sonne, sondern verschlangen auch mitgebrachte West-Zeitungen. Die ausgehungerten DDR-Bürger entwickelten in dieser Hinsicht einen riesigen Appetit.
Am Strand wurden in den Kiosken die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, ein österreichisches Blatt und immer die „Budapester Rundschau“ in deutscher Sprache verkauft. Die westdeutschen Zeitungen waren für uns einfach ein Genuss. Pluralismus, Informationen ohne Zeigefinger, eine Sprache weitab vom hölzernen Deutsch der DDR-Apparatschiks.
Die „Budapester Rundschau“ erschien übrigens als Zeitung der ungarischen SED, der USAP. Das konnte anders nicht sein. Doch selbst diese Publikation wurde nicht im offenem Zeigefingermodus verfasst. Die Herkunft der Beiträge war zwar immer klar zu erkennen und doch hatte das Denken irgendwie eine Chance in dem Blatt – jedenfalls für im Spurenlesen geübte DDR-Insassen.
Lange Wartelisten für die „Budapester Rundschau“
Ganz zu schweigen davon, dass in dieser Zeitung ab Mitte der 80er Jahre tatsächlich frische Luft wehte. Die Reformer aus eigener Kraft, Poszgay, Nemeth und andere, kamen deutlich zu Wort und ebneten den Weg zu den weit aufgestoßenen Fenstern des Jahres 1989. Wie sehr unterschieden sie sich von Gysi, Modrow & Co., die als Trittbrettfahrer die politische Bühne bespielen und ihre DDR erhalten wollten (zusammen mit Lafontaine...).
Wer die „Budapester Rundschau“ in den 80er Jahren las, wusste nicht nur über die Innenpolitik Ungarns Bescheid. Nein, er konnte auch spüren wie der „wind of change“ immer kräftiger wehte. Ich selbst eroberte nach Jahren des Wartens um 1984 ein Abonnement der „Budapester Rundschau“. Ein absurder Vorgang: Erst wenn ein Alt-Abonnent absprang, konnte man als Neu-Bezieher nachrücken. Einfach gesagt: Jemand in den Westen geflüchtet, verhaftet worden oder gestorben sein. Anders gabs keine Chance auf ein Abo in der verblichenen DDR. Beim „Mosaik“ von Hannes Hegen war es genauso. Die Zahl der Interessenten für diese Zeitung war ungleich höher als die Warteliste. Nicht nur für Trabbis und Wartburgs galt das Prinzip der sozialistischen Warteschlange.
Aber zurück zu unserer Sehnsuchts-Presse von damals. Im Hochsommer 2017 war ich wieder am Balaton. Und die alten Erinnerungen kamen hoch. Wie haben sich in den Jahrzehnten seitdem die „Süddeutsche Zeitung“ oder „Spiegel?“ entwickelt? Nun, unsere Leuchtürme von einst sind nicht nur älter, sondern auch anders geworden. Und diese Veränderungen sind nicht eben vorteilhaft. Zu Ostblockzeiten hätte ich beispielsweise die „SZ“ in ihrer heutigen Verfassung ohne Zögern als „SED-ähnliches Parteiblatt“ bezeichnet.
28 Jahre nach der „Friedlichen Revolution“ von 1989/90 stelle ich beinahe täglich fest, dass mir die unaufhörliche, die penetrante Belehrung in sehr vielen Printmedien und in den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten (die Privaten interessieren mich weit weniger) gehörig auf den Geist geht.
Immer und überall lugt der moralische Zeigefinger aufdringlich hervor. Fast wie früher sind die Regionalseiten oftmals noch die verträglichsten Angebote. Es widert mich derart an, dass ich nicht einmal mehr Lust auf den Wetterbericht habe. Das Belehrende, Erziehende, Umerziehende (verbunden mit medialer Aufbereitung für ein Publikum, das offenbar auf dem Niveau eines Klippschülers vermutet wird).
Ich lese immer häufiger Schweizer oder österreichische Zeitungen
Inzwischen lese ich immer häufiger Schweizer oder österreichische Zeitungen, die haben für mich jetzt die Funktion der einstigen West-Presse. Oder ich informiere mich in seriösen Internetmagazinen, mag auf andere Publikationsorgane abseits der Üblichen im Lande nicht mehr verzichten. Nur so kann ich mir ein wirklich ein plurales und im guten Sinne hintergründiges Bild von unserer Welt verschaffen.
Warum geht es mit vielen traditionellen Medien, die wir damals so liebten, dermaßen bergab? Woher kommt diese beklemmende Richtung? Und, vor allem: Warum ist das so? Ich spreche ausdrücklich nicht von „Lügenpresse“. Ich mag das Wort nicht und der Vorwurf ist auch Blödsinn (und dient einer gezielten Destabilisierung durch Vertreter des rechten und linken Randes). Damit will ich nichts zu tun haben. Was mich aber gewaltig in Wallung bringt: Das ängstlich betriebene Aussortieren von Informationen mit vorab schwer zu kalkulierender Wirkung.
Die Klebers und Reschkes dieser Republik erinnern mich in ihrer aufgesetzten Moraldominanz schlicht an Klaus Feldmann und Angelika Unterlauf von der „Aktuellen Kamera“. Natürlich gibt’s einen Unterschied: Feldmann/Unterlauf mussten verkünden, was ihnen die SED-Friedensfreunde vorschrieben. Kleber/Reschke verkünden ihr aufdringliches Zeug von sich aus. Ob es das nun besser oder noch schlechter macht, muss jeder selbst entscheiden.
Ich benötige jedenfalls keine belehrende Information. Meine Schlüsse ziehe ich selbst und im Zweifel gegen die aufdringlich empfohlene alternativlose Denkrichtung. Das wiederum ist ein systemunabhängiges Verhalten. Im „Dritten Reich“ und in der DDR waren die Medien an die Kandare der Staatsparteipropaganda gefesselt. Mit der Bundesrepublik ist das nicht vergleichbar. Es gibt keinen Propagandaminister und keinen Agitprop-Sekretär, der die Medien anleitet. Die leiten sich höchstens in wundersamer Weise irgendwie selbst an. Abstoßend aber ist das auch.
Zu meinen Lieblingen gehörten bisher populärwissenschaftliche Sendungen wie „Terra X“ und ähnliche. Selbst das wird mir inzwischen vergällt. Die obligatorischen Zeigefingersätzen über die globale Erwärmung und deren apokalyptischen Folgen beispielsweise scheinen in einer Endlosschleife produziert zu werden. Für solche Sätze muss es Fördermittel geben. Anders ist diese Inflation des Untergangs nicht zu erklären. Ich schalte meist drei Minuten vor Ende solcher Beiträge auf einen anderen Kanal, um der unvermeidlichen finalen Belehrung zu entgehen.
Liebe Radio-, Fernseh- und Zeitungsleute, jetzt mal einen wirklich ehrlich gemeinten Rat: Ihr verliert täglich bislang noch Wohlgesonnene, wenn ihr nicht endlich aufhört, uns dergestalt auf den Keks zu gehen. Informiert uns redlich und so objektiv, wie es Menschen möglich ist. Fehler sind unvermeidbar und werden auch verziehen. Nicht verziehen wird penetrante Volkserziehung. Sagt uns ruhig eure persönliche Meinung, aber kennzeichnet diese Kommentare auch entsprechend. Da kann jeder entscheiden, ob er ihn diese eure Meinung interessiert, ob er sie teilt und ob er sie braucht. Journalisten haben vor den Lesern, Hörern und Zuschauern im Regefall einen Zeitvorsprung, aber nicht unbedingt die bessere Urteilskraft. Auch wenn sich das mancher einbildet.
www.achgut.com/artikel/salto_mortale_westpresse_vor_1989_und_heute