Zwei Speicher-Karten gingen vor einigen Wochen im Landtag beim NSU-Untersuchungsausschuss ein. Augenscheinlich enthalten sie nichts. Nach der Schilderung von Zeugen Angang Mai im Landtag sollen die auf einer gespeicherten Tatort-Fotos aus Eisenach von der Polizei gelöscht worden sein.
Feuerwehrleute hatten während ihres Löscheinsatzes am 4. November 2011 im Ortsteil Stregda zur Dokumentation eigene Bilder gefertigt. Doch die Polizei beschlagnahmte die Kamera samt Speicherkarte. Nach längerer Debatte hätten die Beamten den Fotoapparat wieder herausgerückt, erzählten mehrere Feuerwehrleute vor dem Untersuchungsausschuss. Wochen später sei dann auch die Speicherkarte zurückgegeben worden. Allerdings fehlten die gemachten Bilder.
In den Ermittlungsunterlagen zum NSU-Prozess befinden sich nach Informationen unserer Zeitung keine Fotos, die mit dieser Kamera gefertigt wurden. Alle aktenkundigen Tatortbilder sollen erst entstanden sein, als das Wohnmobil vom Tatort abtransportiert und in einer geschlossenen Halle wieder abgestellt worden war.
Beeinflusste das Verladen des Fahrzeugs die Spuren
Aussagen einiger der Feuerwehrleute, die damals einen kurzen Blick durch die Tür des ausgebrannten Fahrzeugs werfen konnten, bestärken nun die Vermutung einiger Abgeordneter, dass die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Innenraum des Fahrzeugs während eines Transports verrutscht sein könnten. Denn vor der eigentlichen Spurensicherung war das ausgebrannte Wohnmobil auf einen Tieflader bugsiert und in eine Halle abtransportiert worden.
„Wir erhoffen uns durch die Rekonstruktion der gelöschten Fotos unter anderem Klarheit über die genaue Lage der Toten im Wohnmobil“, erklärte die Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx (SPD), unserer Zeitung. Ob es möglich ist, die Bilder wieder herzustellen, sei noch unklar. Der Ausschuss will damit geeignete Sachverständige beauftragen.
Auch Jörg Kellner, CDU-Obmann im Ausschuss, findet es gut, wenn sich die Fotos wiederherstellen lassen würden. „Dann könnten wir die Bilder der Feuerwehrleute mit denen der Polizei vergleichen.“ Der Abgeordnete zeigt sich überrascht, wie viele unbeantwortete Fragen sich allein zum Komplex Eisenach inzwischen ergeben haben, denen der Ausschuss nachgehen müsse.
Die damalige Situation beim Auffinden der Leichen im Fahrzeuginneren ist auch für Aussagen zum Tod der beiden Männer wichtig. Die Bundesanwaltschaft geht in ihrer NSU-Anklage davon aus, dass Mundlos mit einer Schrotflinte zuerst seinen Kumpel Böhnhardt erschossen und danach sich selber ebenfalls mit dieser Waffe getötet hat.
Ein Gutachten des Bundeskriminalamtes (BKA) von Anfang Mai 2012 stützt diesen Hergang und sieht keine Anhaltspunkte für eine dritte Person als möglichen Mörder. Das trifft aber nur zu, wenn die Toten in etwa so gelegen haben, wie sie auf den Tatortfotos zu sehen sind. Rekons-truierte Fotos der Feuerwehrleute könnten hier weiter Klarheit schaffen.
Thüringer Polizei kennt den Brandbericht nicht
Die Abgeordneten hoffen aber auch, erkennen zu können, wo genau die Dienstwaffe von Michèle Kiesewetter, der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin, gelegen hat. Denn ihre Pistole soll trotz massiver Brandschäden im Inneren des Wohnmobils nach bloßem Augenschein als mögliche Polizeiwaffe vom damaligen Einsatzleiter erkannt und sichergestellt worden sein. So konnten die Beamten in Baden-Württemberg noch am 4. November über den Fund der Pistole informiert werden.
Mitglieder des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses sind in der Sommerpause noch einer weiteren Frage nachgegangen. Gibt es ein Gutachten über Brandursache und Brandverlauf im Wohnmobil?
Die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling zeigte sich gegenüber unserer Zeitung dieser Tage verwundert darüber, dass die Brandursache des Wohnmobils bei den damaligen Ermittlungen offenbar nicht von vordergründigem Interesse gewesen sei. Keiner der bisher vor dem Ausschuss aufgetretenen Feuerwehrleute habe über eine Befragung der Polizei zum Brand berichtet, so die Abgeordnete.
Nach Recherchen unserer Zeitung sollen die NSU-Ermittlungsakten nur einen Untersuchungsbericht zur Brandursache, aber kein Gutachten enthalten. Dieser Bericht stammt von einem Diplom-Chemiker des Landeskriminalamtes (LKA) in Baden-Württemberg. Der Beamte wurde auch nicht von Thüringen, sondern von der Soko „Parkplatz“ in Stuttgart beauftragt. Die Soko sollte über Jahre den Mord an der aus Thüringen stammenden Michèle Kiesewetter aufklären, war dabei aber gescheitert.
Nach unserer Zeitung vorliegenden Schreiben konnte die Thüringer Polizei bis Ende Juli dieses Jahres keine Aussage treffen, ob bei den Ermittlungen nach dem Brand im Wohnmobil und dem Auffinden von zwei Toten auch nach der Brandursache gesucht worden war.
Weder die Landespolizeidirektion noch die damals zuständige Polizeidirektion Gotha und auch nicht das LKA in Erfurt hatten auf eine entsprechende Anfrage des Untersuchungsausschusses eine weiterführende Antwort parat. Erst Ende Juli informierte die Landespolizeidirektion in einem weiteren Schreiben den Ausschuss darüber, dass es einen Hinweis auf einen Beamten aus Baden-Württemberg gebe.
Wann sind die Leichen identifiziert worden?
Die Soko Parkplatz reagierte 2011 schnell auf die Ereignisse in Eisenach und schickte den Chemie-Experten nach Eisenach. Dieser untersuchte einen Tag nach dem Brand mithilfe Thüringer Ermittler das Innere des Fahrzeugs und legte vier Wochen später darüber einen Bericht vor.
Einen sogenannten Brandbeschleuniger schloss der Ermittler aus. Der Bericht lässt auch die Frage offen, ob der aufgedrehte Campingkocher im Wohnmobil eine Explosion herbeiführen sollte. Wegen einer Sicherheitssperre war offenbar kein Gas ausgeströmt. Das Feuer soll auf dem Tisch im Wohnmobil entstanden sein.
Dieses Dokument von Anfang Dezember 2011 bekamen die Thüringer Ermittler aber nicht mehr zu Gesicht. Bereits Wochen zuvor übernahmen die Bundesanwaltschaft und damit das BKA die Ermittlungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Die mutmaßlichen NSU-Mitglieder waren unter Terrorverdacht geraten.
Zur zweiten Zeugenanhörung des NSU-Untersuchungsausschusses nächste Woche Donnerstag ist unter anderen auch die Chefin der Rechtsmedizin an der Uni in Jena, Prof. Gita Mall, in den Landtag geladen. Von ihr erhoffen sich die Abgeordneten Angaben zur Obduktion der beiden Toten, vor allem aber auch zu deren Identifizierung. Ab wann wussten die Ermittler, dass die Leichen Mundlos und Böhnhardt sind?
Die Polizei will mit Mundlos den ersten der beiden Namen in der Nacht nach dem Auffinden in Eisenach erfahren haben. Böhnhardt sei noch etwas später identifiziert worden, so die offizielle Version der Ereignisse.
Laut Gutachten der Rechtsmedizin wurden in den Lungen beider Toter keine Rußpartikel entdeckt. Damit hätten die Männer nicht mehr die Branddämpfe aus dem Wohnmobil vor ihrem Tod eingeatmet.
Das bezeugte auch einer der Jenaer Rechtsmediziner im Münchner NSU-Prozess. Jörg Zierke, der damalige BKA-Präsident, erklärte dagegen gut drei Wochen nach dem Auffinden der Toten dem Bundestags-Innenausschuss, dass Mundlos Brandruß in seiner Lunge hatte, weil er erst Böhnhardt erschossen, danach das Wohnmobil angezündet und so den Ruß eingeatmet habe, bevor er sich selber tötete.
Dorothea Marx stellte im Mai während einer Podiumsdebatte in Erfurt die Frage, ob dem Präsidenten damals vielleicht falsche Informationen vorgelegen haben und wenn ja, warum?
Für den 27. August hat der Ausschuss auch noch einmal den Eisenacher Wehrführer als Zeugen geladen sowie einen Beamten der Stadtverwaltung.
Das Gremium will in dieser Legislatur unter anderem klären, ob der „unverzügliche Abtransport“ des ausgebrannten Wohnmobils mitsamt der Toten überhaupt den Anforderungen an eine umfassende Spurensicherung genügt hat. Dazu sollen demnächst auch Beamte der Tatortgruppe beim LKA befragt werden, die damals für die Spurensicherung verantwortlich waren.
Laut Anklage im NSU-Prozess soll Beate Zschäpe gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt die mutmaßliche Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gebildet haben. Der NSU wird für zehn Morde, 15 Raubüberfälle sowie zwei Sprengstoffanschläge verantwortlich gemacht. Deutsche Sicherheitsbehörden bemerkten angeblich mehr als zehn Jahre nichts von den mutmaßlichen Rechtsterroristen.
Kai Mudra / 19.08.15 / TA
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