www.terz.org/texte/texte_1704/pua-nsu.htmlLeidenschaftslos eingestelltDer „PUA NRW“ zum „NSU“, der Parlamentarische Untersuchungsausschus zur Aufklärung der Ermittlungen rund um die Morde und Anschläge des sogenannten NSU und zu rechtem Terror in Nordrhein-Westfalen, stellt in wenigen Wochen (fast) still und leise die Arbeit ein. Es fehlt nur noch die Veröffentlichung des Abschlussberichts. Ob das Lob, das sich die Parlamentarier*innen schon jetzt selbst aussprechen, gerechtfertigt ist, wird sich dann erweisen müssen.
Im Februar hat der „PUA III NSU“, der dritte Parlamentarische Unterschungsausschuss des Landtages von Nordrhein-Westfalen, in der im Mai 2017 endenden Legislaturperiode die letzten Zeugen-Vernehmungen durchgeführt. In zwei Sitzungen waren drei Herren von der Kriminalpolizei und des polizeilichen Staatsschutz des Polizeipräsidiums sowie ein Oberstaatsanwalt des Amtsgerichts Düsseldorf geladen, um über vergangene und gegenwärtige Ermittlungen zum Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn Auskunft zu geben. Hier wollen die Parlamentarier*innen im Ausschuss in kaum mehr als fünf Stunden Sitzungszeit ihre Schuldigkeit getan haben. Denn wie zu allen anderen Themen- und Tatkomplexen, zu denen sie in den vergangenen 27 Monaten Zeug*innen befragt und sachverständige Expert*innen angehört hatten, sollten sie auch zum „Wehrhahn-Anschlag“ wissen wollen, ob und welches „möglich[e] Fehlverhalte[n] nordrhein-westfälischer Sicherheits- und Justizbehörden einschließlich der zuständigen Ministerien und der Staatskanzlei und anderer Verantwortlicher“ die Ermittlungen zur Aufklärung der Taten des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) und anderer Terrortaten der extremen Rechten in NRW be- oder verhindert (hat). In den wenigen Stunden, die sich der Ausschuss zum „Wehrhahn-Anschlag“ Zeit nahm, war dieses Ziel natürlich nicht im Ansatz zu erreichen (TERZ 03.17). Es dürfte nicht verwundern, dass nach derlei oberflächlichem Aufklärungsbemühen, wie wir es zuletzt zum Thema „Wehrhahn-Anschlag“ wie in einer Nussschale stellvertretend für den gesamten Ausschuss-Ablauf haben beobachten müssen, das Fazit ganz grundsätzlich ebenso nur lauten kann: „NSU-Untersuchungsausschuss in NRW? Failed!“
Ermittlung? Eingestellt!
Selbst einer der ganz wenigen Aspekte, die ohne den NSU-Untersuchungsausschuss in NRW vermutlich nicht zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangt wären, hat in jüngster Vergangenheit an Glanz verloren. Hatte der Ausschuss doch bereits im Juni 2016 einen sachverständigen Mediziner geladen, der in seiner Zeugenaussage sein eigenes Gutachten zum Tod des V-Mannes Thomas Richter alias „Corelli“ korrigierte. Der Diabetologe Dr. Werner Scherbaum hatte unmittelbar nach dem plötzlichen Tod Richters, der 2014 in seiner Tarnwohnung bei Paderborn ausgerechnet von seinen ehemaligen ‚Arbeitgebern‘ aus dem Verfassungsschutzamt tot aufgefunden worden war, begutachtet, dass es kein Gift oder Medikament gäbe, das die Symptome einer Zuckerkrankheit, an denen der V-Mann gestorben war, künstlich auslösen könne. Im PUA sagte Scherbaum dann im Sommer 2016 aber aus, dass er sich zwei Jahre zuvor wohl geirrt habe. Ein Rattengift sei es, das solche Symptome beim Menschen in der Tat verursachen könne. Prompt nahm die Staatsanwaltschaft Paderborn das Todesermittlungsverfahren wieder auf und suchte nun nach weiteren Hinweisen dafür, dass „Corelli“ durch ein Gift oder durch Tabletten zu Tode gekommen sein könnte. Kurz vor Ende der Ausschuss-Arbeit stellte Oberstaatsanwalt Ralf Mayer von der Staatsanwaltschaft in Paderborn, der im Dezember 2017 selbst noch im Ausschuss als Zeuge ausgesagt hatte, am 7. März 2017 das Verfahren erneut ein. Ein „Fremdverschulden am Tod des Thomas R.“ könne „weiterhin ausgeschlossen werden.“
Wie genau es zum Tod Richters gekommen war, bleibt also auch weiterhin im Unklaren. Herausgefunden hat der PUA allerdings dennoch, dass der Verfassungsschutz, der Richter alias „Corelli“ als V-Person geführt hatte, den Leichnam seines vormaligen Spitzels gut und gerne auch gegen rechtliche Grundsätze der Persönlichkeitsrechte und des Erbrechts anonym hatte verscharren wollen, wenn der plötzliche Medienrummel um dessen Tod dies nicht verhindert hätte. Ob der Untersuchungsausschuss etwas aus dieser Information vom Fehlverhalten des Verfassungsschutzes macht, bleibt abzuwarten. Im Ausschuss hatten die Politiker*innen jegliche bohrenden Fragen zu diesem merkwürdig lockeren Umgang mit rechtlichen Fragen nach dem Ableben des V-Mannes bereits schon während der Zeuginnen-Vernehmung der zuständigen leitenden Bundesamts-Verfassungsschützerin Franziska Dinchen Büddefeld im Oktober 2016 eingestellt (TERZ 12.16). Leidenschaftslos.
Gemeinsam Weniges
In der letzten, bezeichnenderweise nicht öffentlichen Sitzung am 23. März 2017 haben die Abgeordneten im Ausschuss – Parlamentarier*innen von SPD, CDU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Piraten-Partei – nun den Abschlussbericht des Ausschusses einstimmig durchgewunken. In seiner Pressemitteilung überschlägt sich Sven Wolf (SPD), seines Zeichens Vorsitzender des PUA, hierzu regelrecht vor Ausdrücken der Glücks- und Dankbarkeitsgefühle: Sei doch die Arbeit im Ausschuss „von Beginn an geprägt von einem gemeinsamen Interesse an einer sachlichen Aufklärungsarbeit“. So gut sei die Zusammenarbeit gewesen, dass sich die Politiker*innen nun sogar bei der „Erstellung des Schlussberichtes“ auf das Harmonischste verständigt haben müssen, wollen wir denn der Verlautbarung Wolfs Glauben schenken: „In den letzten Wochen“, so Wolf, „haben die Ausschussmitglieder und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen sowie das Ausschusssekretariat intensiv und leidenschaftlich an dem gemeinsamen Schlussbericht gearbeitet.“ „Da möchte ich mich“, schreibt Wolf, doch „ganz herzlich bedanken.“
„In den letzten Wochen“? Vorher nicht? Ein Lapsus, natürlich, aber durchaus wahrhaftig. Denn wenn wir auf die vergangenen mehr als zwei Jahre blicken, die der Ausschuss regelmäßig getagt hat, war wohl vor allem eines zu beobachten gewesen: Leidenschaft, die fehlte!
Oder meint der Vorsitzende in seiner Pressemitteilung durch die Blume und über die Vokabel „leidenschaftlich“ andeuten zu müssen, dass sich außer „in den letzten Wochen“ doch nicht alle einig waren? Wer so intensiv auf die Gemeinsamkeit der Arbeit hinweist hat vermutlich wenig Gemeinsames entwickeln können. Oder aber: gemeinsam Weniges.
Leidenschaftlich bühnenreif
So spricht die von Wolf so betont genutzte Formel von der Leidenschaftlichkeit der eigenen Aufklärungsarbeit aber zu allererst allem Hohn, was wir in der nun über zwei Jahre währenden Sitzungsgeschichte des Untersuchungsausschusses haben erleben müssen. Denn gerade an Langmütigkeit kaum zu überbieten waren die vielen Frage- und Antwortspielchen, auf die sich die Politiker*innen etwa immer dann einließen, wenn Zeug*innen aus dem Bereich Verfassungsschutz geladen waren oder wenn Polizeibeamt*innen ihnen weiszumachen versuchten, da oder dort nicht zuständig gewesen zu sein und sich nun auch nicht mehr erinnern zu können, warum sich seinerzeit niemand dafür interessiert hatte, dass auch die Tathypothesen in Richtung rechter Gewalt lohnend nachzuvollziehen gewesen wären. Nicht einmal dort, so wir uns richtig erinnern, war Leidenschaft zu spüren. Nicht einmal in Sitzungen, in denen die Ausschussmitglieder richtiggehend verladen wurden. Hier oder da ließ der Ausschussvorsitzende Sven Wolf zwar einmal ein Mütchen durchblicken – etwa, wenn ein Polizeibeamter sich an wirklich gar nichts erinnern mochte: wie zu den Ermittlungen zum dreifachen Polizist*innen-Mord durch den Neonazi Michael Berger. Dass der Zeuge die Ermittlungen zum Mord an seinen Kolleg*innen im eigenen Zuständigkeitsbereich nach 16 Jahren vergessen haben will, erschien selbst dem SPD-Mann wohl zu unglaubwürdig.
Zu solchen oder ähnlichen Gelegenheiten waren schlagkräftige Konsequenzen – etwa die Verhängung von Ordnungsgeldern gegenüber den maulfaulen Zeug*innen – jedoch nicht sichtbar. Zorn oder Ärger darüber, in der eigenen Autorität so schamlos wie offensichtlich untergraben zu werden? Fehlanzeige. Leidenschaft? Sie sieht anders aus. Wer leidenschaftlich ist, fragt nach, bohrt weiter und bemüht sich darum, zum Kern der Frage und ihrer Beantwortung vorzudringen. Wer sich indes nur für den öffentlichen Auftritt ins Zeug legt und mit Leidenschaft spielt wie Zorro im Kostümverleih, wird nicht umhin können, als berechnend und abgeklärt desinteressiert wahrgenommen zu werden.
Blamage? Für wen?
Nun, wir werden abwarten müssen, was der Ausschuss uns am Ende in wenigen Wochen vorlegen wird. Vermutlich werden wir ein großes Paket Papier auf den Tisch bekommen, auf das die Ausschussmitglieder der Parteien dann mit stolz geschwellter Brust und mit „Guck mal, das haben wir gemacht“-Blicken tippen dürfen. Bis die Expert*innen zum Thema „extreme Rechte“, die Vertreter*innen der Medien oder unabhängige Beobachter*innen wie beispielsweise NSU-Watch NRW den Abschlussbericht gelesen haben werden, wird sich das Bild der erfolgreichen Ausschuss-Arbeit dann entweder bereits so unauffällig wie hartnäckig schöngelächelt in der öffentlichen Wahrnehmung des Ausschusses verankert haben, dass es kaum noch kritische Fragen gibt. Oder – was angesichts der Wirkmächtigkeit vergleichbarer Abschlussberichte aus den anderen Länder-Untersuchungsausschüssen zum Thema „NSU“ durchaus wahrscheinlich ist : Es kräht kein Hahn mehr nach dem Papier, auf das sicher vor allem die Mitarbeiter*innen der Politiker*innen im Ausschuss ihre kostbare Lebenszeit verwand haben. Es liegt an uns, weiterhin Fragen zu stellen und die Politik auch in NRW nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Denn spätestens nach Silvester 2016/17, wo die NRW-Polizei Hunderte von Menschen allein wegen ihres Aussehens am Kölner Hauptbahnhof über Stunden eingekesselt, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit zeitgleich stigmatisierende und diskriminierende Bezeichnungen für die von ihr Festgehaltenen gefunden hat und schlussendlich auch im Nachhinein mit falschen Zahlen zur Gruppe der vor dem Kölner Hauptbahnhof Eingekesselten versucht hat, ihr Vorgehen schön oder zumindest besser zu reden ... ist offenbar nichts in Ordnung! Wo – wie in diesem Fall der anlassbezogenen polizeilichen Präventionskonzepte – ein Staat und seine Behörden dermaßen getrieben und durchzogen sind von institutionellem Rassismus, wird es uns kaum zu verdenken sein, dass wir Zweifel daran haben, der Polizei oder der Justiz und letztlich auch den politisch Verantwortlichen zuzutrauen, dass sie in den Ermittlungen zu rassistischer oder rechter Gewalt gut arbeiten. Nein, es besteht überhaupt kein Grund dafür, zu glauben, dass rechte Gewalt nicht weiterhin unter dem Radar der Ermittlungs-, Sicherheits- und Justizbehörden ungestört stattfindet. Nicht, dass es überhaupt eine gute Begründung dafür gäbe, auch im Falle der Positionierung gegen Rechts und gegen rechte Gewalt und ihre Täter*innen nach dem Staat und seinen für zuständig erklärten Behörden zu rufen. Dieses Vertrauen ist längst verspielt oder hat ganz grundsätzlich keine Basis (und nie gehabt). Es ist aber nichtsdestotrotz fatal, sich nicht darauf verlassen zu können, dass vor allem Polizei und Justiz rechte Gewalt erkennen (wollen), wenn sie vor ihrer Nase geschieht. Jedes Mal, wenn rechte Täter*innen ihre Taten durch entpolitisierende Strafurteile bestätigt sehen, weil eine unerkannte oder nicht anerkannte rechte Motivation der begangenen Gewaltstraftaten für gelinde Strafen sorgt, werden die Betroffenen, die Angegriffenen, die Überlebenden und ihre Angehörigen erneut verhöhnt. Polizei und Justiz tragen hieran ihren Anteil.
Dass ohne die Rolle des Verfassungsschutzes, dessen Bundes- und Landesamt in NRW sich auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, zum Gegenstand kritischer Aufmerksamkeit zu werden (Stichwort: Aussagegenehmigungen, Verschluss-Sachen, Geheimhaltungsvermerke uvm.), rechte Gewalt und rechter Terror viel weniger große Chancen hatte und weiterhin hat, ‚erfolgreich‘ zu sein, liegt auf der Hand. Hier gibt es nichts zu reformieren oder zu sensibilisieren. „Verfassungsschutz auflösen!“ muss die Forderung heißen.
Ob wir uns angesichts der Luftnummer „PUA III NSU“ in der jetzt ablaufenden Legislaturperiode einen zweiten Untersuchungsausschuss wünschen sollen, der nach der Landtagswahl in anderer Runde behördliches (Fehl-)Verhalten bei der Ermittlung rechter Gewalttaten untersucht? Ja. Und Nein. Er muss es besser machen. Das wissen wir schon jetzt, ohne den Abschlussbericht gelesen zu haben.
Da sind wir gerne und leidenschaftlich voreiliger Meinung. Und rudern gerne ebenso leidenschaftlich zurück, wenn der Abschlussbericht entgegen unseren Erwartungen präzise, kritisch und empathisch für die Anliegen der Betroffenen, Überlebenden und Angehörigen sein sollte. Einfach: Leidenschaftlich. Da machen wir dann gerne einen Kniefall. Das Risiko, uns mit vorschneller Kritik am Untersuchungsausschuss zu blamieren, ist überschaubar – wir bleiben bis auf weiteres erst einmal pessimistisch.