NSU-Prozess: Bricht Zschäpe ihr Schweigen?
07.12.2015 - 05:00 Uhr
München. Im Prozess um die Verbrechen des NSU will die Hauptangeklagte erstmals aussagen. Das spätere Urteil dürfte sie kaum beeinflussen – aber wohl ihr Image.
www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/NSU-Prozess-Bricht-Zschaepe-ihr-Schweigen-712654132Seit zweieinhalb Jahren ist das Justizstück in dem großen Betonkasten in der Nymphenburger Straße zu München zu betrachten. Die Abläufe in Saal A 101 wurden in 247 Verhandlungstagen eingeübt. Während sich jeden Morgen oben, auf der Tribüne, das aus interessierten Senioren, Schulklassen und Journalisten bestehende Publikum drängt, beginnen sich unten nur langsam die billigen Plätze mit den 60 Anwälten der Nebenklage zu füllen.
Danach trudeln die drei Angeklagten, die nicht in Untersuchungshaft sitzen, nebst ihren Verteidigern ein. Dann ziehen die Vertreter der Bundesanwaltschaft ihre lilafarbenen Roben an, derweil sich die bewaffneten Polizisten postieren. Schließlich, zumeist mit einiger Verspätung, öffnet sich die Tür an der linken Seite des Raumes.
Heraus treten die beiden Angeklagten, die unter Polizeischutz aus der Haftanstalt in Stadelheim herbeigebracht wurden. Zumeist eilt zuerst Ralf Wohlleben in kariertem Hemd mit Aktentasche und Stoffbeutel zu seinem Platz. Dann hat Beate Zschäpe ihren Auftritt.
Falls Kameras zugelassen sind, beginnen sie nun unablässig zu klicken. Die Frau sieht ja auch immer etwas anders aus. Mal sind die Haare offen, mal zum Zopf gebunden. Mal trägt sie den Hosenanzug, mal den Pullover und das Tuch. Mal hat sie eine Brille auf, mal nicht.
Jedes dieser Details wird oben, auf den Presseplätzen, akribisch notiert, derweil Rentner und Studienräte ihre Hälse recken. Alles erscheint wichtig an dieser Frau, die offenkundig um ihre Bedeutung weiß.
Wie sie, weil sie angeblich unter Migräne leidet, Verhandlungstage abbrechen ließ, oder wie sie durch den Krieg mit ihren Verteidigern den wichtigsten Prozess der jüngeren bundesdeutschen Geschichte an den Rand der Absurdität führte: dies verrät Sinn für Dramatik.
In der offiziellen Sprachregelung heißt die Hauptverhandlung, die seit dem Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht unter internationaler Beachtung geführt wird, „Strafverfahren gegen Beate Z. und andere (NSU)“. Man darf dies programmatisch verstehen. Die Hauptangeklagte besetzt die Hauptrolle. Der Rest der Beteiligten, sogar der Vorsitzende Richter Manfred Götzl, wirken wie Nebendarsteller – und zuweilen wie Komparsen.
Schweigen der wichtigsten Figur
Das Irre an diesem juristischen Schauspiel, das für die Opfer und Angehörigen so bitter sein muss, ist aber, dass die wichtigste Figur schweigt. Sie schwieg von Anbeginn. Falls sie, wie einmal geschehen, auf eine Antwort des Vorsitzenden Richters ein „Ja“ murmelte, dann war dies sogleich eine Meldung wert.
Am 2. Verhandlungstag, im Mai 2013, hatte der Vorsitzende Manfred Götzl die Angeklagte nach ihren Daten gefragt und danach, ob sie aussagen wolle. So verlangt es die Strafprozessordnung. Doch Beate Zschäpe antwortete nicht einmal darauf.
Stattdessen sprach ihr Anwalt Wolfgang Heer. „Meine Mandantin“, sagte er, „wird keine Angaben zur Person machen“ – und zur Sache schon gar nicht.
Dabei blieb es, zweieinhalb Jahre lang. Mehr als 500 Zeugen wurden geladen, Hunderte Beweisanträge gestellt, Dutzende Bilder voller Blut gezeigt.
Doch Zschäpe schwieg.
Sachverständige sprachen über die Einschusswinkel, in dem die Kugel die Köpfe der Opfer durchschlug. Eine Frau, die ihren Mann verloren hatte, weinte. Ein Vater, dessen Sohn ermordet wurde, schrie durch den Saal.
Doch Zschäpe schwieg.
Falls die Hauptangeklagte tatsächlich in dieser Woche eine Erklärung abgibt, dann bedeutet dies eine Zäsur in diesem Prozess – unabhängig davon, was sie tatsächlich mitteilt und ob erst einmal nur einer ihrer neuen Anwälte reden wird.
Dieser Befund gilt auch für Zschäpe selbst. Als der Prozess begann, sahen ihre drei Verteidiger – Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm – in der Schweigestrategie die einzige Chance, durch diesen Marathonprozess zu gelangen.
Gegen den als einen als harten Hund bekannten Vorsitzenden Richter, den Generalbundesanwalt und eine Armada von Nebenklageanwälten durften sie sich keinen Fehler erlauben. Und sowieso: Wer redet, kann Fehler machen.
Auch jenseits der zeitgeschichtlichen, politischen und moralischen Bedeutung dieses Prozesses geht es um viel. Die Anklage macht Beate Zschäpe als Mittäterin für zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verantwortlich.
Hinzu kommt die schwere Brandstiftung in ihrer letzten Mietwohnung in Zwickau. Da sich kurz vor und während des Feuers noch Menschen im Haus aufhielten, geht es zusätzlich um mehrfachen versuchten Mord.
Die Perspektive für Zschäpe ist lebenslänglich – und dies im Wortsinn. An den meisten Verhandlungstagen sitzt ihr Henning Saß schräg gegenüber, der sich bevorzugt damit beschäftigt, sie zu beobachten und gelegentlich etwas zu notieren. Der Professor ist als Sachverständiger bestellt. Er soll nach der wahrscheinlichen Verurteilung dem Gericht empfehlen, ob Beate Zschäpe, nachdem sie ihre Strafe abgesessen hat, in Sicherungsverwahrung muss.
Dass der Mann da sitzt, macht die Angeklagte sichtlich nervös – so nervös, dass sie über ihre Anwälte versuchte, mehr räumliche Distanz zu erwirken. Saß möge umplatziert werden, forderte sie, er könne ihre Gespräche hören. Das Gericht folgte.
Denn es ist ja nicht so, dass Zschäpe nicht reden würde. In den ersten Verhandlungsmonaten schwatzte sie oft mit Heer, und manchmal auch mit Stahl und Sturm. Nun darf der neue Verteidiger Mathias Grasel zuhören, wenn sie mal wieder einen ihrer Einfälle hat, die sie selbst oft recht amüsant zu finden scheint.
Auch in der Haft, so wurde es immer wieder kolportiert, sei Zschäpe gesprächig, suche den Kontakt zu anderen Gefangenen, ja, halte förmlich Hof. Zudem wurden Briefe bekannt, die sie an einen früheren Neonazi schrieb, der in Bielefeld einsaß. Sie klagte von ihrem Dasein, malte Bildchen und flirtete.
Selbst mit Polizisten sprach sie, ganz zu Beginn, als sie sich in Jena stellte und dann einige Monate später, als sie in einem Bus von ihrem damaligen Gefängnis in Köln nach Thüringen gefahren wurde, wo sie ihre Großmutter treffen durfte.
Wie in einer schlechten Seifenoper
Dennoch blieb Beate Zschäpe immer vorsichtig. Kein einziges Detail zu den angeklagten Taten drang aus dem Gefängnis. Auch gegenüber den Polizeibeamten beließ sie es bei Beschwerden über ihre Anwälte – und allgemeinen Bemerkungen, dass sie durchaus reden würde. Wenn sie wolle. Irgendwann.
Dabei könnte der Prozess längst vorbei sein, wenn sie es denn getan hätte. Sie ist, nachdem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor vier Jahren in dem Wohnwagen in Eisenach starben, die einzige Überlebende des Kerns der Terrorzelle, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte. Sie allein könnte wohl die meisten Fragen beantworten, die in München offen blieben.
So ist, nur zum Beispiel, der Tod der aus Thüringen stammenden Polizistin Michèle Kiesewetter noch in großen Teilen ungeklärt. Dass Böhnhardt und Mundlos beteiligt waren, scheint außer Zweifel zu stehen.
Doch wer erschoss die Beamtin? Wer war noch am Tatort? Und vor allem: Was war das Motiv? Die Erklärung der Bundesanwaltschaft vermag hier kaum zu überzeugen.
Doch da Zschäpe schweigt, mussten sich die Prozessbeteiligten 30 lange Monate durch ihr Leben mühen. Die Kindheit bei der Oma, das Zerwürfnis mit der Mutter, die Liebschaften mit den Uwes. Wie in einer schlechten Endlos-Soap traten Menschen auf, die Zschäpe in den 37 Lebensjahren begegnet waren, bevor sie ins Gefängnis ging.
Die Freunde aus Jena. Die Nachbarn aus Zwickau. Die Urlaubsbekanntschaften von Fehmarn. Auch ihr Mutter war kurz da, und natürlich die Eltern der toten Uwes.
„Sie war für mich ein ganz normales Mädchen“, sagte die Mutter von Böhnhardt, nett und höflich. „Sie ist nicht dumm oder gutgläubig. Sie wusste genau, was sie wollte“, sagte Aleksander H., ein Jugendfreund von Mundlos.
Das Bild, das sich aus den vielen Banalitäten formte, ist nicht das einer fanatischen Ideologin – aber auch nicht das einer Mitläuferin. Beate Zschäpe wurde als die Frau beschrieben, als die sie, ganz ohne öffentlich zu reden, auch im Prozess auftrat: schlau, kokett, selbstbewusst – und dominant.
Skrupelloses Vorgehen gegen eigene Anwälte
Interessanterweise ist ihr Verhalten gegenüber ihrem ursprünglichen Verteidiger-Trio das schwerste Indiz für den Vorwurf der Mittäterschaft. Dass sie erst ihren drei Verteidigern kollektiv das Misstrauen aussprach, dass sie dann, als dies nicht funktionierte, einige Monate später gezielt gegen Anja Sturm vorging, dass sie sich nebenher neue Anwälte suchte und schließlich sogar Strafanzeige stellte: Dies alles wirkte zwar etwas überstürzt und ungelenk. Doch aus der Rückschau erscheint es eben auch zielgerichtet, konsequent und in gewisser Weise skrupellos.
Dass sie aussagen will, hat sie dem Gericht im August von Grasel und dessen Mentor Hermann Borchert mitteilen lassen, unter Umgehung ihrer alten Anwälte. Es mag der Angeklagten darum gehen, den Prozess neuerlich in Turbulenzen zu bringen, die Verhandlung zu verlängern oder das Urteil noch irgendwie abzumildern. Ihren Mitangeklagten Ralf Wohlleben hat sie schon mal ganz nebenbei dazu gebracht, ebenfalls auszusagen.
Doch wahrscheinlich geht es der Hauptangeklagten noch um etwas ganz anderes. Es ist das Bild, das am Ende von ihr bleiben wird, und das bisher alle anderen zeichnen durften, nur nicht sie.
Dabei ist es doch ihr Prozess. Der Prozess der Beate Zschäpe.
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Martin Debes / 07.12.15 / TA