Vom Fernsehrichter zum Justizminister?
INTERVIEW MIT ALEXANDER HOLD am 16. Oktober 2018
Alexander Hold ist vielen aus dem Fernsehen bekannt. Für Sat.1 sprach er jahrelang Urteile nach Drehbuch. Für die Freien Wähler zieht der Jurist nun im Zuge der Bayernwahl in den Landtag ein und gilt gar als Anwärter für den Posten des Justizministers. Alles nur Show?
Herr Hold, 2017 haben Sie noch für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. Jetzt ziehen Sie für die Freien Wähler in den bayerischen Landtag. Ist das nicht eine Nummer zu klein für Sie?
Nein, gar nicht. Das Amt des Bundespräsidenten wäre natürlich etwas ganz Besonderes gewesen. Aber was könnte ich denn nach Ihrer Argumentation überhaupt noch machen? Über dem Bundespräsidenten steht nur noch der Papst.
Stattdessen schlagen Sie sich jetzt in den Niederungen der Landespolitik durch.
Das ist eine ganz praktische Aufgabe. Ich freue mich sehr darauf. Die Wähler haben mir in meinem Wahlkreis, Kempten im Allgäu, mit 21,4 Prozent einen großen Vertrauensvorschuss gegeben. In Bayern kann ich was bewegen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die Freien Wähler vor der Landtagswahl noch als „Freibierpartei“ bezeichnet.
Das war Wahlkampfgetöse. Es war die CSU, die Freibier in Flaschen abfüllen und bei ihren Veranstaltungen verteilen lassen hat. Dieser Begriff war gemünzt auf manche Forderungen wie die Abschaffung der Studiengebühren, die wir schon durchgesetzt hatten, und unseren derzeitigen Kampf für kostenlose Kitas. Aber das ist alles sauber durchgerechnet.
Das Gefühl, belächelt zu werden, dürfte Ihnen bekannt vorkommen. Von 2002 bis 2013 haben Sie sich als Richter freistellen lassen, um für die gescriptete Reality-Sendung „Richter Alexander Hold“ echte Kriminalfälle mit Laiendarstellern nachzuspielen. Damals hieß es, nach den Nachmittagstalkshows sei der Niveaufahrstuhl im Fernsehen noch ein paar Etagen tiefer gefahren.
Der Vorwurf kommt von Journalisten. Kollegen haben das ganz überwiegend positiv gesehen. Sogar eine Bundesjustizministerin hat mir zugeraunt, dass sie die Sendung gern sieht. Ich habe jeden einzelnen Fall exakt so verhandelt und entschieden, wie ich es bei der Justiz auch getan hätte. Die bayerische Justiz hat das von Anfang an positiv begleitet und schreibt mir regelmäßig, dass ich zu einem guten Ansehen der Justiz beitrage.
Absurde Kriminalfälle als trashiges Entertainment. Haben Sie der Justiz damit nicht einen Bärendienst erwiesen?
Natürlich ist das Unterhaltung. Das ist doch ganz klar. Ich hab nie behauptet, dass das ein Telekolleg ist. Die Geschichten hatten aber mehr Tiefgang, als man auf den ersten Blick vermutet hätte.
Tiefgang?
In jedem dieser Fälle steckte etwas, das den Zuschauer dazu bringt, seine Werte neu zu justieren. Es ging zum Beispiel im Zusammenhang mit der Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler um die Frage: Darf ein Staat Folter androhen? Wenn Sie die Leute auf der Straße befragt hätten, hätten 98 Prozent gesagt, sie sind dafür. Nach der Sendung hab ich Zuschriften von Leuten bekommen, die gesagt haben: Jetzt habe ich verstanden, warum das das Ende unserer Rechtsstaatlichkeit wäre.
Die Serie wurde 2013 eingestellt, alte Folgen laufen aber immer noch in der Wiederholung bei Sat.1 Gold. Kommt es heute noch vor, dass sie als „Richter Alexander Hold“ auf der Straße angesprochen werden?
Ja, mehrfach täglich. Im Wahlkampf habe ich möglichst wenig Reden von oben herab geführt. Ich habe lieber versucht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Wenn ich dann am Wahlinfostand stand, musste ich bestimmt täglich 30 bis 40 Selfies mit Fans machen. Natürlich oft nicht als Bezirksrat Alexander Hold, sondern als TV-Richter.
Jetzt haben bayerische Zeitungen nach der Wahl die Frage gestellt, ob der TV-Richter Alexander Hold der nächste Justizminister wird. Das war ein Scherz, oder?
Also, die Fraktion der Freien Wähler ist mit 27 Mitgliedern deutlich größer als bisher. Da sind viele Kollegen dabei, die besondere Fähigkeiten haben, die ministrabel sind. Wir stehen erst am Anfang von Sondierungsgesprächen. Da wäre es vermessen und unsinnig, über Posten zu reden.
Aber reizen würde Sie der Job schon?
In meinem Leben war es bisher immer so, dass ich am Ende nie derjenige war, der nur die Trikots gewaschen hat. Man hat mir immer Verantwortung übertragen. In Landesregierung und Parlament gibt es aber verschiedene Aufgaben, die mir mehr liegen, als manche aufgrund meiner Fernseh-Karriere vermuten würden.
Noch steht die Koalition mit der CSU nicht, obwohl der Spitzenkandidat der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, schon klargemacht hat, dass er unbedingt mitregieren will. Warum sollte sich Markus Söder für die „Freibierpartei“ entscheiden – und nicht für die Grünen, die mit 17,5 Prozent zweistärkste Fraktion geworden sind?
Über 50 Prozent der Wähler wollten eine bürgerlich-liberale Regierung und nur 30 Prozent eine eher linke Regierung. Herr Söder tut gut daran, diesen Mehrheitswillen zu respektieren und seinen Regierungsauftrag so zu verstehen, dass er eine stabile bürgerliche Regierung etabliert. Die Positionen von CSU und Grünen liegen so weit auseinander, dass wir wieder so ein Gezänk wie in Berlin bekämen. Und das ist ja ein Grund, warum die CSU so schlecht abgeschnitten hat.
Moment, die CSU hat sich mit der CDU gestritten – nicht mit den Grünen.
Die Leute sind den Streit aber leid. Sie wollen endlich wieder vernünftige Sachpolitik. Und das ist der Markenkern der Freien Wähler. Wir sind völlig ideologiefrei. Bayern geht es ja nicht schlecht. Aber das Land braucht eine Partei, die die Alltagsprobleme der Leute löst – und zwar mit Augenmaß.
Die Freien Wählern sind weder links noch rechts. Sie sind ein bisschen öko, ein bisschen sozial, in vielem aber ziemlich konservativ. Fehlt der Partei nicht ein klares Profil?
Wir stehen exakt in der Mitte der Gesellschaft. Das ist etwas, wonach sich viele Menschen sehnen.
Nach Mittelmaß?
Nach Augenmaß. Wir sind eine europa-freundliche Partei, die die Heimat erhalten, aber zugleich das Land voranbringen will. Wir schauen mehr als andere auf die Balance zwischen den Ballungsgebieten und dem ländlichen Raum. Dafür braucht man keinen ideologischen Überbau.
Sind die Freien Wähler so etwas wie die personifizierte Rache der Provinz an der Bundespolitik?
Politik funktioniert nicht als Rache. Der Begriff Balance trifft es besser. Ich bin davon überzeugt, dass eine Balance zwischen großer Politik und Alltagsproblemen etwas ist, was die großen Parteien aus dem Auge verloren haben. Dafür stehen wir.
Haben viele Bayern die Freien Wähler nicht vor allem aus Protest gewählt, um der CSU einen Denkzettel zu verpassen, ohne die AfD wählen zu müssen?
Die Freien Wähler gibt es seit über 60 Jahren. Sie sind in Bayern die zweitstärkste Kraft in der Kommunalpolitik, das wird im Rest der Republik gar nicht so wahrgenommen. Wir stellen hunderte von Bürgermeistern und ein Dutzend hervorragender Landräte. Wir sind seit zehn Jahren die drittstärkste Kraft im Landtag. Das ist das Gegenteil einer Protestpartei: Das Angebot für Menschen, die sich nach Sachpolitik sehnen.
Sie selbst sitzen seit zehn Jahren für die Freien Wähler im Stadtrat in Ihrer Heimatstadt Kempten. Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Der Stadtrat hat mir mein Einfamilienhäuschen nicht genehmigt. Begründung: Ein Flachdach im Allgäu sei nicht besonders haltbar. Darüber habe ich kurz geärgert, mir dann aber gesagt: Meckern allein bringt nichts. Mach`s halt besser!
Vom Fernsehstar zum Lokalpolitiker. War das nicht ein Abstieg?
So etwas zu fragen bedeutet eine Missachtung der vielen tausend Menschen, die sich ehrenamtlich politisch engagieren. Ohne die, die eben nicht nur meckern, sondern ihre Freizeit für den Gemeinde- oder Stadtrat opfern, würde nichts in Deutschland funktionieren: Ihre Kinder hätten keinen Kita-Platz, Ihr Müll würde nicht abgeholt, das Krankenhaus auf dem Land und das Theater in Ihrer Stadt gäbe es schon lange nicht mehr. In diesem Ehrenamt engagiere ich mich eben für meine Heimat. Ein sehr zeitaufwendiges Hobby….
Wie viel Show verträgt denn die Politik?
In der Kommunalpolitik werden Sie schlicht und einfach daran gemessen, was Sie für Ihre Stadt erreichen. Ich glaube, dass Show da ganz schnell auffliegt. In der Landes- und Bundespolitik sieht das schon anders aus.
Da könnte Ihnen Ihr Promifaktor weiterhelfen?
Die Show überlasse ich gern anderen. Der Promifaktor muss auch nicht unbedingt hilfreich sein. Bei meiner zweiten Kommunalwahl habe ich fast 70 Prozent mehr Stimmen als beim ersten Mal bekommen. Offensichtlich musste ich viel Wähler erst davon überzeugen, dass ich mich tatsächlich für sie engagiere.
Was haben sich die Freien Wähler denn für diese Legislaturperiode vorgenommen?
Wo soll ich da anfangen? Wir müssen dringend den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, Wohnraum schaffen und trotzdem den Flächenverbrauch verringern, zum Beispiel, indem wir keine dritte Startbahn am Münchner Flughafen bauen. Bei der Migrationspolitik kommt es darauf an, die Richtigen abzuschieben, also Gefährder und Verbrecher und nicht die, die Deutsch gelernt, eine Ausbildung absolviert haben und in ihren Betrieben eine große Hilfe sind. Und wir müssen endlich die Kita-Gebühren abschaffen, wie das zehn andere Bundesländer auch schon getan haben. Wenn das hoch verschuldete Berlin das kann, dann doch wohl Bayern erst recht.
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