wjpatzelt.de/?p=1253 Februar 4
Eine kleine Fallstudie über „Fake News“In einer Pressemitteilung wurde unlängst dem Präsidenten des Landtages von Rheinland-Pfalz vorgeworfen, er habe öffentlich behauptet, ich wäre „in ähnlicher Weise wie die Nazis für eine Verrohung unserer politischen Sprache verantwortlich“ (siehe
www.landespressedienst.de/landtagspraesident-stellt-anerkannten-professor-unter-nazi-verdacht/). Ich sah mich daraufhin gezwungen, den Landtagspräsidenten um eine Klärung des Vorgangs zu bitten (siehe dazu
wjpatzelt.de/?p=1239).
Mit Datum vom 2. Februar erhielt ich dann von ihm den folgenden, ausdrücklich auch zur Veröffentlichung freigegebenen Brief:
Sehr geehrter Herr Professor Patzelt,
unter Bezugnahme auf die bisher geführte Korrespondenz darf ich Ihnen auch persönlich nochmals versichern, dass ich im Rahmen der Ausstellungseröffnung „Verbrannte Bücher – von den Nazis verfemte Schriftsteller“ am 26. Januar 2017 im Abgeordnetengebäude Ihren Namen nicht genannt habe. Wie Ihnen schon mitgeteilt wurde, habe ich in meinem Vortrag im Kontext zunehmender Verrohung in der politischen Auseinandersetzung ausgeführt: „Denn wir müssen auch heute einige schlimme Entgleisungen zur Kenntnis nehmen, was Pretzell, was Höcke, was viele andere geäußert haben.“
Hocherstaunt habe ich den von Ihnen mitgeteilten Umstand zur Kenntnis genommen, dass ein Mitglied der rheinland-pfälzischen AfD–Fraktion die Veranstaltung, die dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet war, heimlich aufgezeichnet hat. Mit welcher Intention die Aufnahme erfolgte, vermag ich nicht zu sagen. Ebenso vermag ich nicht zu beurteilen, ob und inwieweit die Aufnahme in der hier fraglichen Passage meine Ausführungen authentisch wiedergibt.
Fest steht aber, dass auch nach mehrmaligem Abhören der von Ihnen übersandten Tonspur [Ergänzung WJP: Hier irrt der Präsident, warum auch immer. Ich habe ihm keine Tonspur übersandt, sondern nur den oben verlinkten Brief] die Behauptung des Abgeordneten Damian Lohr (AfD), ich hätte Sie unter Nennung Ihres Namens unter ,,Nazi–Verdacht„ gestellt und Ihnen vorgeworfen, „in ähnlicher Weise wie die Nazis für eine Verrohung der Sprache verantwortlich zu sein“, nicht stützen lässt. Offensichtlich habe ich mit den Herren Pretzell und Höcke zwei namhafte Vertreter der AfD als aktuelle Beispiele für Tabubrüche im politischen Diskurs erwähnt. Die Aussagen insbesondere des Herrn Pretzell waren am selben Tag Thema in der Plenarsitzung, weshalb ich mich in meiner Rede an besagtem Abend auch auf diese bezog. Mit Ausnahme des Herrn Damian Lohr gab es hierüber beim Auditorium ersichtlich auch keine Missverstandnisse hinsichtlich der Eindeutigkeit meiner Ausführungen.
Seien Sie abschließend nochmals versichert, dass ich in keiner Weise Ihre Person genannt oder auch nur versehentlich erwähnt habe. Sollte gleichwohl dieser Eindruck aufgrund einer Namensähnlichkeit entstanden sein, mochte ich erneut bekräftigen, dass es mir weder um Sie als Person noch um Ihr wissenschaftliches und politisches Wirken ging und geht. Ich hoffe sehr, dass wir uns von diesen derart schlau eingefädelten angeblichen Missverständnissen nicht weiter beirren lassen. Selbstverständlich bin ich mit einer Veröffentlichung dieses Schreibens einverstanden.
Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Hering
Im Nachgang dieses Schreibens rief mich Präsident Hering auch noch an, so dass dieser Vorgang inzwischen einvernehmlich abgeschlossen ist.
Wichtiger als diese Erledigung ist freilich eine Analyse, warum überhaupt jemand – einschließlich meiner selbst – auf die Idee kommen kann, ein Spitzenpolitiker der SPD habe über mich verleumderisch-haarsträubenden Unsinn wie den verbreitet, bei mir fände sich irgendwelche innere Nähe zu Nazis, also zu deren Taten, Empfindungen, Gedanken oder Ausdrucksweisen. Schließlich gibt es weder in meinen Publikationen noch in meiner umfangreichen Lehr- und Vortragstätigkeit auch nur den geringsten Anhaltspunkt für derlei abwegige Unterstellungen.
Sehr wohl aber lässt sich die Spur solcher Fake News klar zurückverfolgen. Das einfach zu erkennende Muster sieht so aus:
a) Sowohl Mitarbeiter als auch Studierende am Dresdner Institut für Politikwissenschaft haben sich im Januar 2014 tatsachenverdrehend-denunziatorisch über mich geäußert, nämlich mit der teils ahnungslosen, teils böswilligen und in jedem Fall unzutreffenden Behauptung, ich sei kein Beobachter und Analytiker, sondern ein Unterstützer und Anhänger der Dresdner PEGIDA-Demonstranten.
b) Diese Aussagen wurden von mehreren Massenmedien aufgegriffen und entlang der Aura journalistischer Verbreitung durch die Vermutung womöglich unabhängiger Faktenrecherche sozusagen „beglaubigt“.
c) Auf der Grundlage beider Textsorten – verleumderische Originaltexte, beglaubigende Journalistentexte – inszenierten dann u.a. Studierende außerhalb Dresdens Protestaktionen gegen mich, in denen sich irreale Tatsachenbehauptungen zu realen Anschlusshandlungen umsetzten.
d) Über diese Anschlusshandlungen ließ sich dann wahrheitsgemäß berichteten. Das wiederum nährte die Annahme, es müsse wirklich Feuer sein, wo doch erkennbarer Rauch aufstieg,
e) Abgerundet wurde das alles durch den grundsätzlichen Verzicht darauf, meine Klar- und Richtigstellungen zu allen anfänglichen Fake News zu berücksichtigen, ja sie überhaupt zu erwähnen.
Damit die Nachzeichnung dieses Musters nicht ohne Verankerung in leicht nachprüfbaren Tatsachen bleibt, findet sich nachstehend eine zwar kurze, doch reichlich mit Links (auch in den verlinkten Texten) bestückte Rekonstruktion dieser Wirkungskette:
(1) Als typisches Beispiel für herabsetzend gemeinte Medienaussagen über mich sei der „Tagesspiegel“ vom 3. Februar 2017 zitiert. Dort steht, und zwar eindeutig in denunziatorischem Zusammenhang: „Patzelt ist umstritten, weil er der Pegida-Bewegung als ‚Teil des normalen Volks‘ Verständnis entgegenbrachte.“ (http://www.tagesspiegel.de/wissen/konservativer-thinktank-mit-bundeshilfe-streit-um-institut-fuer-gesellschaftlichen-zusammenhalt/19340968.html).
Schlüsselbegriff ist hier „umstritten“. Der besondere Angriffs- und Gebrauchswert liegt in der Doppeldeutigkeit dieses Worts. Empirisch meint „umstritten“, dass es eben Streit um jemand gibt. Doch denunziatorisch meint „umstrittenen“, dass es deshalb um jemanden Streit gibt, weil der Umstrittene ja wirklich „nicht ganz sauber ist“.
Ob diese letztere, rein denunziatorische Bedeutung von „umstritten“ gerechtfertigt ist, ließe sich zwar einfach überprüfen – nämlich dadurch, dass man schlicht zur Kenntnis nähme, was ich wirklich zu PEGIDA gesagt habe und weiterhin sage. Diese Aussagen finden sich umfänglich in vielerlei Publikationen (erreichbar über meine auf der Webseite meines Lehrstuhls zugängliche Publikationsliste), überaus bequem in gar nicht wenigen Beiträgen auf meinem Blog wjpatzelt.de, und mittelbar – als Liste von Interviews etc. während der so publizitätsträchtigen Jahreswende 2014/15 – unter einem auf meinem Blog schon seit zwei Jahren verfügbaren Link (https://www.docdroid.net/tqln/pegida-publikationen-und-medienauftritte.pdf.html#page=15) sowie in Werner J. Patzelt / Joachim Klose, PEGIDA. Warnsignale aus Dresden, Dresden 2016, Anhang, S. 658-660. Doch Einsichten aus solchen Quellen prägen Medienaussagen wie die erwähnte so gut wie niemals – und machen gerade dadurch behauptete „News“ zu wenigstens fahrlässigen „Fake News“. Auf die fällt dann so mancher herein.
(2) Als typisches Beispiel für auf Fake News hereingefallene Organisatoren von Aktionen gegen mich kann der folgende, im Januar 2017 veröffentlichte Protestaufruf der Linken Liste Mainz gegen eine Gastvorlesung von mir dienen:
. Der Gesamtvorgang – mitsamt einigen Vorgängervorkommnissen – ist ausführlich dokumentiert unter
wjpatzelt.de/?p=1216. Viel Spaß beim Zurkenntnisnehmen jener „Mainzer Narreteien“!
(3) Doch woher kommt eigentlich das – rein vermeintliche – „Wissen“ über jenen, gegen den da protestiert werden soll? Erfreulicherweise haben auch die Mainzer Kritiker ihre Quellen schön dokumentiert, u.a. auf einem Protestflugblatt zu meiner Mainzer Gastvorlesung. Und hier sind die von den Mainzer Kritikern als authentisch behandelten Ursprünge jener Fake News:
Stellungnahme von Mitarbeiter*innen:
www.theorieblog.de/…/01/Stellungnahme-Mitarbeiter.pdf Kritik von Studierenden der TU Dresden:
www.addn.me/…/01/Kritik-an-Patzelts-Pegida-Analyse.… Offener Brief von Studierenden aus Regensburg:
www.regensburg-digital.de/offener-brief-kritik-an…/…/ Artikel:
www.spiegel.de/…/mitarbeiter-und-studenten-protestie… publikative.org/…/die-methode-patzelt-anmerkungen-…/Natürlich hatte ich auf alle diese Texte zeitnah reagiert und umfänglich sämtliche falschen Aussagen und missweisenden Deutungen zurechtgerückt, ja auch Vortragstexte bekanntgemacht, in denen sich meine tatsächliche Position ganz unmissverständlich zur Kenntnis nehmen lässt. Die entsprechenden Links finden sich – einmal mehr – in meinem Abriss der „Mainzer Narreteien“ (http://wjpatzelt.de/?p=1216), desgleichen nachstehend:
wjpatzelt.de/?p=149 – zum anonymen Flugblatt Dresdner Studierender vom 27. Januar 2015
wjpatzelt.de/?p=145 – zu Zeitungsartikeln über einen „Aufstand am Dresdner Institut für Politikwissenschaft“
wjpatzelt.de/?p=128 – Antwort auf meine Kritiker am Dresdner Institut für Politikwissenschaft
wjpatzelt.de/?p=119 – Reaktion auf das Schweigen meiner Kritiker nach meiner Antwort auf sie
wjpatzelt.de/?p=415 – Auseinandersetzung mit Miro Jennerjahns Text zur „Methode Patzelt“
wjpatzelt.de/?p=698 – Auseinandersetzungen mit weiteren Kritikern meiner Aussagen zu PEGIDA
Ich habe außerdem immer wieder und ausdrücklich von meinen Kritikern Antworten auf meine Repliken eingefordert. Auch das lässt sich auf meinem Blog wjpatzelt.de unschwer nachverfolgen.
Nie aber hat es jemand gewagt, sich mit meinen Richtigstellungen jener Fake News auseinanderzusetzen; und nie wurde über meine Richtigstellungen auch nur berichtet. Vermutlich haben die Weiterbreiter jener Fake News meine Richtigstellungen niemals zur Kenntnis genommen – oder sie zumindest nicht nachvollziehen wollen.
Somit bleibt als dreifaches Fazit dieser kurzen Fallstudie:
(1) Fake News lassen sich wirkungsvoll als Kampfmittel einsetzen – was ja lange schon bekannt ist.
(2) Die einschlägigen Fake News über mich gingen von Mitarbeitern und Studierenden am Dresdner Institut für Politikwissenschaft aus. Dass diese Fake News weiterhin – und zwar ganz kontrafaktisch – wie korrekte Aussagen behandelt und kolportiert werden, geniert diese Leute nicht. Ich behandle das als ein verachtenswertes Verhalten.
(3) Es wurde in diesem Fallbeispiel nachgewiesen, dass mit Fake News zu arbeiten bzw. naiv mit ihnen umzugehen keine Eselei nur von Rechten ist. Vielmehr waren auch Linke – sowie Wissenschaftler – schon lange vor ihren heute bekundeten Sorgen über die Folgen von Fake News ihrerseits im „postfaktischen Zeitalter“ angekommen. Meine Meinung: Es wäre gut, wenn die Blüte des Post- oder Alternativfaktischen allmählich zu Ende ginge – und zwar ebenso wie inzwischen jene Zeit des „radikalen Konstruktivismus“ zu Ende gegangen ist, zu dessen absehbar missratenem Nachfolger die heutige „Post- und Alternativfaktik“ wurde.
+++
Ob sich correktiv schon eingeschaltet hat, ist nicht bekannt.