Post by fragezeichen2 on Jul 18, 2018 20:08:35 GMT 1
Ralf Wohlleben ist der Heldenstatus in der Naziszene sicher
Er soll dem NSU die Mordwaffe verschafft haben, seine Anwälte zitieren Hitler – Ralf Wohlleben beharrte wie kein anderer auf seiner NS-Ideologie. Ausgerechnet er ist nun wieder frei.
FRANK JANSEN
[...]
Am Mittwochmorgen verlässt er das Gefängnis
Gleich nach der Urteilsbegründung hatten die Richter den Haftbefehl gegen André E. aufgehoben. Die Strafe von zweieinhalb Jahren wegen Unterstützung des NSU mit zwei Bahncards ließ nach mehr als einem Jahr Untersuchungshaft kaum eine andere Entscheidung zu.
Und an diesem Mittwochmorgen, gegen neun Uhr, hat Wohlleben die JVA Stadelheim verlassen. Nach sechs Jahren und acht Monaten Untersuchungshaft. Der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl hatte Wohlleben zu zehn Jahren Haft verurteilt, wegen Beihilfe zu neunfachem Mord, und in der Untersuchungshaft belassen. Nun die Kehrtwende. Der Heldenstatus ist dem 43-jährigen Wohlleben und dem vier Jahre jüngeren André E. in der rechten Szene sicher. Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Entlassung von André E. verkündete, klatschten die Neonazis auf der Tribüne und riefen „Bravo!“
Die Opferfamilien leiden unter der Entscheidung
Für die Opferfamilien und ihre Anwälte ist die Milde des Gerichts unerträglich. Dass nun auch noch Wohlleben frei ist, sei „eine Katastrophe“, ruft Seda Basay ins Telefon. Sie vertritt die Witwe von Enver Simsek, dem ersten Mordopfer des NSU. Die Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten den türkischen Blumenhändler am 9. September 2000 in Nürnberg erschossen. Mit der Pistole Ceska 83, deren Beschaffung mutmaßlich Wohlleben eingefädelt hatte. „Was hat sich denn in den Tagen seit dem Urteil geändert?“, fragt Basay. „Das ist ein unglaublicher Vorgang!“
Gamze Kubasik empfindet die Freilassung Wohllebens als zweiten Tiefschlag, nachdem sie am Tag des Urteils bereits den jubelnden André E. hatte erleben musste. „Das ist alles bitter“, lässt die Tochter des am 4. April 2006 in Dortmund erschossenen Kioskbetreibers Mehmet Kubasik ihren Anwalt mitteilen. Auch Kubasik starb durch Kugeln aus der Ceska.
Schnelles Manöver der Anwälte
Wie kann es sein, fragen sich nicht nur Angehörige der Ermordeten, dass ein mutmaßlicher Waffenlieferant des NSU vor dem Ende seiner Haftzeit freikommt? Was hat Richter Götzl und seine Kollegen bewogen, schon nach wenigen Tagen den eigenen Beschluss zur „Fortdauer“ der Untersuchungshaft zu kippen? Vermutlich war es ein schnelles Manöver der drei Verteidiger Wohllebens, die der rechten Szene nahe stehen.
Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfram Nahrath legten nicht nur sofort nach dem Urteil Revision ein, sie präsentierten dem Gericht am vergangenen Donnerstag auch eine Haftbeschwerde. Es war nicht das erste Mal, dass die Anwälte ihren Mandanten aus der U-Haft herausholen wollten, bislang stets ohne Erfolg. Doch diesmal hatten sie ein paar Trümpfe.
Angeblich hat Wohlleben einen Job sicher
Da Wohlleben nur zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde und nicht zu zwölf, wie die Bundesanwaltschaft gefordert hatte, bleiben angesichts der schon abgesessenen Untersuchungshaft nur noch drei Jahre und vier Monate Reststrafe übrig. Damit hätte Wohlleben, sollte das Urteil rechtskräftig werden, jetzt schon zwei Drittel verbüßt und könnte auf Bewährung freikommen. Das wussten die Richter natürlich schon vergangene Woche. Aber nun schoben die Verteidiger noch ein Argument nach.
Sie teilten dem Strafsenat mit, Wohlleben habe einen Job sicher. „Der Angeklagte könne im Falle einer Haftentlassung sofort in der Nähe seines Wohnortes einer geregelten, entgeltlichen Beschäftigung nachgehen“, schrieben Götzl und zwei weitere Richter in den Beschluss hinein, mit dem sie am Dienstag die Freilassung anordneten. Die Arbeitsstelle ist ein wesentliches Argument für den Strafsenat, die „Fluchtanreize“ als „stark gemindert“ zu bezeichnen. Die Bundesanwaltschaft sieht das ähnlich. Obwohl sie Wohlleben in der Anklage die „steuernde Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene“ des NSU bis zum Jahr 2001 nannte.
Vermutlich kehrt er nach Sachsen-Anhalt zurück
Um was für eine Arbeitsstelle es sich handelt, steht im Beschluss der Richter nicht. Auch die Verteidiger Wohllebens schweigen. Nach Informationen des Tagesspiegels kann Wohlleben in einem Ort im Süden von Sachsen-Anhalt, nahe der Grenze zu Sachsen und Thüringen, unterkommen. Gewohnt hatte er vor Beginn der U-Haft im November 2011 in Jena, wo er zuletzt als Feinelektroniker tätig war und jahrelang als einer der Häuptlinge der rechten Szene auftrat. Die Gemeinde in Sachsen-Anhalt ist von Jena etwa 70 Kilometer entfernt.
Das passt nicht ganz zur Behauptung der Verteidiger, Wohlleben könne in der Nähe seines Wohnortes arbeiten. Andererseits sollen in dem Ort in Sachsen-Anhalt Mitglieder seiner Familie leben. Und für die Richter zählt auch die Erfahrung aus dem Prozess, dass Wohlleben auf familiären Rückhalt bauen kann.
[...]
Über Meldeauflagen ist nichts bekannt
Die zehn Jahre Haft, die der Strafsenat gegen Wohlleben verhängt hat, sind eine hohe Strafe, die jedoch unter dem Antrag der Bundesanwaltschaft bleibt und damit Wohlleben den Weg in die Freiheit öffnete. Dass er jetzt Meldeauflagen einhalten müsste, ist nicht bekannt. Ob er die restlichen drei Jahre und vier Monate verbüßen muss, ist offen, aber wegen der Zwei-Drittel-Regel bei Haftstrafen wenig wahrscheinlich. Das Neonazispektrum, das ihn mit der Kampagne „Freiheit für Wolle“ unterstützt hat, kann sich freuen. „Seine Freilassung bedeutet eine Verstärkung der Szene“, sagt der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan J. Kramer. „Wir werden ihn im Auge behalten.“
www.tagesspiegel.de/themen/reportage/nsu-prozess-ralf-wohlleben-ist-der-heldenstatus-in-der-naziszene-sicher/22814696.html
Er soll dem NSU die Mordwaffe verschafft haben, seine Anwälte zitieren Hitler – Ralf Wohlleben beharrte wie kein anderer auf seiner NS-Ideologie. Ausgerechnet er ist nun wieder frei.
FRANK JANSEN
[...]
Am Mittwochmorgen verlässt er das Gefängnis
Gleich nach der Urteilsbegründung hatten die Richter den Haftbefehl gegen André E. aufgehoben. Die Strafe von zweieinhalb Jahren wegen Unterstützung des NSU mit zwei Bahncards ließ nach mehr als einem Jahr Untersuchungshaft kaum eine andere Entscheidung zu.
Und an diesem Mittwochmorgen, gegen neun Uhr, hat Wohlleben die JVA Stadelheim verlassen. Nach sechs Jahren und acht Monaten Untersuchungshaft. Der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl hatte Wohlleben zu zehn Jahren Haft verurteilt, wegen Beihilfe zu neunfachem Mord, und in der Untersuchungshaft belassen. Nun die Kehrtwende. Der Heldenstatus ist dem 43-jährigen Wohlleben und dem vier Jahre jüngeren André E. in der rechten Szene sicher. Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Entlassung von André E. verkündete, klatschten die Neonazis auf der Tribüne und riefen „Bravo!“
Die Opferfamilien leiden unter der Entscheidung
Für die Opferfamilien und ihre Anwälte ist die Milde des Gerichts unerträglich. Dass nun auch noch Wohlleben frei ist, sei „eine Katastrophe“, ruft Seda Basay ins Telefon. Sie vertritt die Witwe von Enver Simsek, dem ersten Mordopfer des NSU. Die Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten den türkischen Blumenhändler am 9. September 2000 in Nürnberg erschossen. Mit der Pistole Ceska 83, deren Beschaffung mutmaßlich Wohlleben eingefädelt hatte. „Was hat sich denn in den Tagen seit dem Urteil geändert?“, fragt Basay. „Das ist ein unglaublicher Vorgang!“
Gamze Kubasik empfindet die Freilassung Wohllebens als zweiten Tiefschlag, nachdem sie am Tag des Urteils bereits den jubelnden André E. hatte erleben musste. „Das ist alles bitter“, lässt die Tochter des am 4. April 2006 in Dortmund erschossenen Kioskbetreibers Mehmet Kubasik ihren Anwalt mitteilen. Auch Kubasik starb durch Kugeln aus der Ceska.
Schnelles Manöver der Anwälte
Wie kann es sein, fragen sich nicht nur Angehörige der Ermordeten, dass ein mutmaßlicher Waffenlieferant des NSU vor dem Ende seiner Haftzeit freikommt? Was hat Richter Götzl und seine Kollegen bewogen, schon nach wenigen Tagen den eigenen Beschluss zur „Fortdauer“ der Untersuchungshaft zu kippen? Vermutlich war es ein schnelles Manöver der drei Verteidiger Wohllebens, die der rechten Szene nahe stehen.
Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfram Nahrath legten nicht nur sofort nach dem Urteil Revision ein, sie präsentierten dem Gericht am vergangenen Donnerstag auch eine Haftbeschwerde. Es war nicht das erste Mal, dass die Anwälte ihren Mandanten aus der U-Haft herausholen wollten, bislang stets ohne Erfolg. Doch diesmal hatten sie ein paar Trümpfe.
Angeblich hat Wohlleben einen Job sicher
Da Wohlleben nur zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde und nicht zu zwölf, wie die Bundesanwaltschaft gefordert hatte, bleiben angesichts der schon abgesessenen Untersuchungshaft nur noch drei Jahre und vier Monate Reststrafe übrig. Damit hätte Wohlleben, sollte das Urteil rechtskräftig werden, jetzt schon zwei Drittel verbüßt und könnte auf Bewährung freikommen. Das wussten die Richter natürlich schon vergangene Woche. Aber nun schoben die Verteidiger noch ein Argument nach.
Sie teilten dem Strafsenat mit, Wohlleben habe einen Job sicher. „Der Angeklagte könne im Falle einer Haftentlassung sofort in der Nähe seines Wohnortes einer geregelten, entgeltlichen Beschäftigung nachgehen“, schrieben Götzl und zwei weitere Richter in den Beschluss hinein, mit dem sie am Dienstag die Freilassung anordneten. Die Arbeitsstelle ist ein wesentliches Argument für den Strafsenat, die „Fluchtanreize“ als „stark gemindert“ zu bezeichnen. Die Bundesanwaltschaft sieht das ähnlich. Obwohl sie Wohlleben in der Anklage die „steuernde Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene“ des NSU bis zum Jahr 2001 nannte.
Vermutlich kehrt er nach Sachsen-Anhalt zurück
Um was für eine Arbeitsstelle es sich handelt, steht im Beschluss der Richter nicht. Auch die Verteidiger Wohllebens schweigen. Nach Informationen des Tagesspiegels kann Wohlleben in einem Ort im Süden von Sachsen-Anhalt, nahe der Grenze zu Sachsen und Thüringen, unterkommen. Gewohnt hatte er vor Beginn der U-Haft im November 2011 in Jena, wo er zuletzt als Feinelektroniker tätig war und jahrelang als einer der Häuptlinge der rechten Szene auftrat. Die Gemeinde in Sachsen-Anhalt ist von Jena etwa 70 Kilometer entfernt.
Das passt nicht ganz zur Behauptung der Verteidiger, Wohlleben könne in der Nähe seines Wohnortes arbeiten. Andererseits sollen in dem Ort in Sachsen-Anhalt Mitglieder seiner Familie leben. Und für die Richter zählt auch die Erfahrung aus dem Prozess, dass Wohlleben auf familiären Rückhalt bauen kann.
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Über Meldeauflagen ist nichts bekannt
Die zehn Jahre Haft, die der Strafsenat gegen Wohlleben verhängt hat, sind eine hohe Strafe, die jedoch unter dem Antrag der Bundesanwaltschaft bleibt und damit Wohlleben den Weg in die Freiheit öffnete. Dass er jetzt Meldeauflagen einhalten müsste, ist nicht bekannt. Ob er die restlichen drei Jahre und vier Monate verbüßen muss, ist offen, aber wegen der Zwei-Drittel-Regel bei Haftstrafen wenig wahrscheinlich. Das Neonazispektrum, das ihn mit der Kampagne „Freiheit für Wolle“ unterstützt hat, kann sich freuen. „Seine Freilassung bedeutet eine Verstärkung der Szene“, sagt der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan J. Kramer. „Wir werden ihn im Auge behalten.“
www.tagesspiegel.de/themen/reportage/nsu-prozess-ralf-wohlleben-ist-der-heldenstatus-in-der-naziszene-sicher/22814696.html