www.welt.de/politik/deutschland/article154659149/Die-Anwaelte-versuchten-Frank-S-noch-zu-bremsen.htmlDer Angeklagte steht auf und zeigt im Gerichtssaal, wie er auf Henriette Reker mit dem Messer eingestochen hat. Frank S. streckt den rechten Arm nach vorn zum imaginären Stich, schwenkt ihn dann zur Seite, so als werfe er die Waffe weg. "Reker, zack, Messer weg", sagt der 44-jährige Kölner markig. Er will demonstrieren, dass er am 17. Oktober 2015 "nur" einmal zugestochen hat. "Für mich war dann die Tat umgesetzt. Das Zeichen war gesetzt."
Immer wieder betont Frank S., dass er nicht die Absicht gehabt habe, die damalige Spitzenkandidatin für den Oberbürgermeisterposten in Köln zu töten. "Wenn ich den Willen gehabt hätte, sie umzubringen, hätte ich sie umgebracht", sagt der Angeklagte. Sie habe ja wehrlos vor ihm gelegen. "Ich hätte sie locker töten können, aber ich habe es nicht getan", sagt Frank S. Er habe in Kauf genommen, dass Reker verletzt werde – aber nicht, dass sie sterbe.
Am zweiten Verhandlungstag erzählt der Attentäter im hochgesicherten Prozessgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf, was er am 17. Oktober 2015 gemacht hat. Es hat sich etwas verändert im Vergleich zum ersten Prozesstag. Frank S. versteckt seinen Kopf nicht mehr hinter einem Ordner, als er hereinkommt, sondern lässt sich bereitwillig fotografieren. Er ist widerspenstiger geworden, fällt der Vorsitzenden Richterin Barbara Havliza oft ins Wort, so dass sie ihn immer wieder ermahnen muss.
Frank S. fühlt sich ohnehin persönlich rasch angegriffen. Als die Richterin ihn nach Lücken im Lebenslauf fragt, erwidert er: "Ich komme mir langsam so vor, als wäre ich angeklagt, weil ich arbeitslos bin." Havliza antwortet darauf: "Jetzt hören Sie mal auf, sich in die Opferrolle zu drängen. Sie sind angeklagt, weil sie versucht haben, einen Menschen zu töten und drei zu verletzen. Ich will Ihre Vita abfragen, damit man ein Ihrem Lebenslauf angemessenes Urteil sprechen kann."
Er wollte eine "besondere Theatralik"
Frank S. ist sich auch mit seinen beiden Anwälten nicht einig. Die Verteidiger wollen, dass der Angeklagte sich separat zu seiner Tat äußert, während es S. drängt, endlich zu erklären, warum er die Politikerin angegriffen hat. Es kommt immer wieder zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und den Anwälten.
"Ich würde auch am liebsten sofort das Motiv machen", sagt Frank S. Doch seine Anwälte bremsen ihn. Richterin Havliza merkt an, dass es sehr schwierig sein werde, nur die Tat zu betrachten, ohne auch über die Absicht dahinter zu sprechen: "Es ist immer schwierig, ohne Motiv die Tat zu verstehen." Später wird es aus Frank S. herausbrechen; seine Anwälte werden ihn nicht stoppen können.
Zunächst erzählt er, wie der 17. Oktober 2015 abgelaufen war. Er hatte den letzten Tag vor der Oberbürgermeisterwahl bewusst ausgewählt: "Der Tag hatte Symbolcharakter", erzählt Frank S. Schon am Vorabend hatte er sich die Wahlkampftermine von Henriette Reker herausgesucht. Er beschloss, nicht nur ein Butterfly-Messer mitzunehmen, sondern auch ein riesiges Jagdmesser, das er aus dem Actionfilm "Rambo" kennt und er in einer Vitrine aufbewahrte.
"Es sollte martialisch aussehen. Es sollte nicht blutig oder grausam sein, sondern eine besondere Theatralik haben", erzählt S. vor Gericht. Das Jagdmesser sei auch stumpf und kein Mordinstrument, beteuert er. Richterin Havliza zieht daraufhin die Tatwaffe unter dem Tisch hervor, hält sie in die Höhe und fragt ihn skeptisch: "Sie sprechen von diesem Teil hier."
Er habe nicht gut vor dem Attentat geschlafen, sagt S. Er sei aber weiterhin entschlossen gewesen, als er am nächsten Morgen gegen sechs Uhr aufgewacht sei. Er habe ein Bier getrunken, das Jagdmesser mitsamt Lederscheide um seinen rechten Oberschenkel geschnallt; er habe eine Latzhose an, einen Kapuzenpulli und eine Jacke angezogen. Mehrere Male habe er geübt, die Hose seitlich mit einer Hand aufzuknöpfen und das Messer herauszuziehen. Dann habe er seine Wohnung und an der Tankstelle zwei weitere Bier gekauft. "Ich musste mich irgendwie enthemmen. Damit ich diese Schwelle übertreten kann", erzählt der Angeklagte.
Er fuhr mit der Straßenbahn zum ersten Ortstermin. Beinahe hätte er die Spitzenkandidatin verpasst, doch dann sah er sie auf der anderen Straßenseite. "Die Reker", sagt Frank S. immer wieder despektierlich über sein Opfer, bis ihn Richterin Havliza deutlich zurechtweist: "Wir sagen auch nicht ,der S.', sondern ,Herr S.' Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie von Frau Reker sprechen würden. So viel Anstand muss sein."
Die DNA-Untersuchung hält er für manipuliert
Der Angeklagte erzählt, dass er dann auf Reker zugegangen sei, die Rosen verteilte, und auch um eine Rose gebeten habe. Er wollte damit Zeit gewinnen, um seine Hose seitlich aufzuknöpfen und das Messer zu ziehen. Dann stach er zu. "Ich hatte nicht im Kopf, wo ich hinstechen wollte. Ich hatte nicht die Gedanken, ich muss sie in den Hals treffen. Ich hatte das Motiv im Hinterkopf. Ich wollte ja dieses Zeichen setzen."
Dann seien die Wahlkämpfer von Reker auf ihn zugekommen: "Ich wollte mich nicht lynchen lassen. Ich sah eine Masse, die auf mich zukam. Ich wollte mir die irgendwie vom Hals halten", so erklärt Frank S., warum er noch vier weitere Personen mit Stichen verletzt hat. Er betont, dass er dazu sein Butterflymesser benutzt habe.
Richterin Havliza hält ihm vor, dass jedoch Blutspuren der Verletzten auf dem großen Messer gefunden worden seien. Frank S. streitet vehement ab, dass er das Jagdmesser wiederholt benutzt habe. Zur DNA-Untersuchung sagt er: "Dann ist es manipuliert worden. Dann ist es eine Riesenverarsche."
Diese Ansicht passt zu seinem Weltbild, das sich am frühen Nachmittag dann offenbart und seine Motivation für das Attentat deutlich macht. "Die Leute sollten erfahren, dass sie (Reker, d. Red.) ein U-Boot, eine Marionette der Grünen ist." Am liebsten wäre ihm ein "klares Duell, Mann gegen Mann" gewesen.
S. verabscheut die Flüchtlingspolitik
Dann legt Frank S. los – und die Strategie seiner Anwälte, sich erst am Ende des Prozesses zum Motiv zu äußern, fällt in sich zusammen. Der Angeklagte offenbart ein erschreckendes Weltbild und in seiner angeblich "komplexen" Motivlage vieles, was Politikverdrossene, Verschwörungstheoretiker und Hasser tagtäglich in Hetzkommentaren und Verbalangriffen im Internet von sich geben.
Es gebe eine "organisierte Selbstzerstörung Deutschlands"; die Regierung wolle das Volk austauschen, ehe das Volk die Regierung austausche; es gebe nur noch eine Einheitspartei wie in der früheren DDR. Es gehe nur noch um Flüchtlinge.
Als exponierte Vertreterin dieser für ihn verabscheuungswürdigen Politik nahm Frank S. vor allem Henriette Reker wahr, die zu jener Zeit auch auf vielen Wahlplakaten in der Stadt zu sehen war. Die Spitzenkandidatin war bis zur OB-Wahl als Sozialdezernentin auch für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig.
Sie sei eine "linksradikale Schickeria-Ideologin", die in der Flüchtlingspolitik nur Chancen, aber nicht die Risiken gesehen habe. Ihre Aussagen im Wahlkampf seien "völlig weltfremd und unverantwortlich" gewesen. Frank S. echauffiert sich über die Grünen und die Antifa, die ihm schon vor vielen Jahren Ärger machte, als er in einer rechten Gruppierung namens Berserker in Bonn aktiv war. Kommende Woche soll Reker selbst vor Gericht ihre Erinnerungen an das Attentat schildern.