Post by anmerkung on Sept 19, 2015 8:23:06 GMT 1
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Phnom Penh: "Charming City" im Aufbruch
Wer heute nach Phnom Penh reist, findet auf den ersten Blick eine moderne asiatische Großstadt vor: mit goldenen Tempeln, großen Sportwagen und amerikanischen Fast-Food-Ketten. Eine zehnminütige Tuk-Tuk-Fahrt eröffnet eine andere Perspektive: Auf dem Markt herrschen auch mehr als 30 Jahre nach Beendigung der Rote-Khmer-Herrschaft noch ärmlichste Verhältnisse.
Bild zu Birte Schmidt
Bloggerin Birte Schmidt
Birte Schmidt erzählt Reisegeschichten übers Glücklichsein.
Als die kleine zierliche Frau ihr Beil hebt und kräftig zuschlägt, hat die Totenstarre bei ihrem Opfer längst eingesetzt. Platsch macht es, als der Kopf im Matsch landet. Blut spritzt hervor, und auch die Bananen am Nachbarstand kriegen ein paar Tropfen ab. Der Fisch stinkt. Die kleine Frau lächelt. Und legt das Beil neben ihren nackten Füßen zur Seite.
Phnom Penh ist knapp 35 Jahre nach dem Ende der Gewaltherrschaft der Roten Khmer für kambodschanische Verhältnisse eine moderne Stadt mit zwei Millionen Einwohnern. Längst schon reihen sich amerikanische Fast-Food-Ketten ganz selbstverständlich am Preah Sisowath Quay auf, an einer der Hauptverkehrsstraßen der Stadt direkt am Fluss Tonlé Sap. Für die hippe Jugend gibt es stylische Cafés, in denen junge Khmer bei Karamell-Macchiato den Mädchen schöne Augen machen. Historische Sehenswürdigkeiten, ein ausgeprägtes Nachtleben und Restaurants, die für wenig Geld qualitativ hochwertiges Essen anbieten, haben die Stadt neben den heiligen Stätten in Angkor zum wichtigsten touristischen Ziel Kambodschas gemacht.
"Charming City", den Namen haben sich kluge Marketing-Experten mit Schlips und Anzug in einem der großen hellen Bürobauten für die Stadt ausgedacht, und wer ihn noch nicht kennt, wird spätestens beim Eintritt ins Zentrum mit großen Lettern darauf hingewiesen. "You wanna go to Russian Market?" rufen einem die Tuk-Tuk-Fahrer beim Flanieren durch die Stadt zu. Wer das Angebot annimmt und in die leeren Seitengassen voller Wellblechhüten, Plastiktüten und Essensreste abbiegt, entdeckt einen Ort, an dem das Leben der Khmer puristischer kaum sein könnte.
Denn auf dem Markt Phsar Toul Tom Poung sucht man den Glanz der Großstadt vergebens. Stickig ist es hier überall, drinnen düster, draußen unerträglich heiß, überall eng. Die vielen Gerüche lassen keinen Platz zum Atmen. Den haben schon Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse eingenommen. Dazu stehen massenhaft alte Schemel herum, umgeben von großen Bottichen, prallgefüllten Plastiktüten, Motorrollern. Und von Schweineohren, Vergaserteilen, Duftöl und antiken Münzen. Auch Friseure und Garküchen gibt es. Dazwischen hocken Männer und Frauen, einige Minenopfer, viele Kinder im besten Schulalter unter einem riesigen Areal zerfetzter Sonnenschirme in vergilbten Farben. Wer es sich leisten kann, hat zumindest einen Tisch, auf dem er seine Ware anpreist. Viele haben einfach Plastikplanen oder große Blätter als Unterlage ausgebreitet. Reizüberfluss. Es ist laut, die Menschen unterhalten sich, die fremde Sprache macht das Exotische noch fremder.
Phsar Toul Tom Poung oder einfacher Russian Market, wie sich der Markt nach den russischen Einwanderern seit den 80er-Jahren nennt, verteilt sich auf ein riesiges Areal. Zehn Straßen ist er hoch, acht breit. Die Orientierung in Kambodschas Hauptstadt fällt leicht: Wie ein Schachbrett legen sich die Straßen über die Stadt, ungerade verlaufen von Norden nach Süden, gerade von Osten nach Westen. Je höher die Nummern, desto weiter westlich beziehungsweise südlich befindet man sich. Phsar Toul Tom Poung liegt im Süden der Stadt, zwischen der 155. und 163. Straße.
Wer hier verkauft, hat Glück gehabt, denn er hat die Schreckensherrschaft überlebt. Und er muss nicht betteln. Oder auf einer Müllkippe arbeiten. Und wird auch nicht versteckt von seinen Verwandten aus Scham über eventuelle Behinderungen. Er ist "nur" traumatisiert, ein vergessenes Opfer eines Krieges, der schon lange beendet ist, sich aber in der Seele des Landes festgesetzt hat.
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Auf dem Russischen Markt
Die Innenstadt von Phnom Penh ist zwar durchaus charmant. Auf den Märkten und in den ärmlichen Vierteln wird der Besucher jedoch mit den Traumata Kambodschas konfrontiert.
Die Mittagssonne brennt. Mitten im Getümmel wäscht eine Frau ein T-Shirt in einer blauen Schüssel voll mit braun-schlammigem Wasser. Zwei kleine Jungen und ein Mädchen tollen um die Stände herum und heben für ein paar Sekunden den ohnehin schon hohen Geräuschpegel noch an, als sie, nur mit einer Windel bekleidet, mit einem Jauchzen in eine große Pfütze springen. Es stinkt, nach Fleisch, nach Fisch, nach Müll und Dreck. Gemüsestrunke liegen im Matsch auf dem Gehweg. An rostigen Haken brät Fleisch vor sich hin.
Bürgerkrieg und Massenmord haben Spuren hinterlassen. Ziemlich genau 40 Jahre ist es jetzt her, dass die Roten Khmer mit ihrem Anführer Pol Pot die Herrschaft über Kambodscha übernahmen. Und mit dem Ziel der Errichtung eines kommunistischen Bauernstaates rund zwei Millionen Menschen, also ein Drittel der Bevölkerung, systematisch tötete. Seit der Vertreibung der Roten Khmer durch vietnamesische Truppen Anfang 1979 erholt sich Phnom Penh stetig. Die Obdachlosen auf den Straßen der Innenstadt sind verschwunden, und mit ihnen ihre Kühe, Schweine und Hühner. Zurückgedrängt in die Elendsviertel am Rande der Stadt, wo sie unsichtbar bleiben für die Touristen, die dem Land mit ihrem Geld den Weg in die Zukunft ebnen.
Die kleine Frau mit dem toten Fisch kniet jetzt am Boden, so wie es Kinder oft tun. Ihr gelber Hut schützt sie vor der Hitze und dem Staub, in der rechten Hand hält sie ein Messer, die linke steckt in einem gelben Plastikhandschuh, er ist blutverschmiert. Doch die nackten Füße in blauen Flipflops sind inzwischen von den blutigen Schuppen des Fisches übersät. Rechts vor ihr steht eine alte grüne Waage, links in einem Bottich warten neun weitere Fische auf ihre Exekution. In einer kleinen Schüssel auf dem matschigen Boden sammelt sie die Innereien.
Kambodscha ist ein Land auf der Überholspur, auf dem Weg aus der Hölle zurück in die Zukunft, seit internationale Firmen es als Billiglohnland entdeckt haben. Die Verbrechen der Vergangenheit sind nie aufgearbeitet worden, kaum ein Täter wurde verurteilt. Die Zeit soll die Wunden heilen. Geblieben ist eine traumatisierte Gesellschaft, in der Gewalt die gängige Lösung für die meisten Probleme ist.
Vor einem riesigen Container am Rande des Marktes fegt eine Frau mit blauem Shirt und blumigem Sonnenhut die stinkenden Überreste aus Fisch, Fleisch, Abwasser und Dreck zusammen. Die Überbleibsel des Elends. In einem lichtdurchfluteten Fast-Food-Restaurant im Zentrum von Phnom Penh bestellt die Jugend zeitgleich Chicken Wings.
Mein Tipp: Wer sich für die besondere Geschichte des Landes interessiert, sollte unbedingt das wunderbare Buch "Der weite Weg der Hoffnung" von Loung Ung lesen.
Bild zu Birte Schmidt
Bloggerin Birte Schmidt
Als Kind wollte sie unbedingt Astronautin werden und ins All fliegen, heute reist sie lieber mit der Transsibirischen Eisenbahn bis Peking. Birte Schmidt, Journalistin und Nordlicht mit Fernweh, erzählt Reisegeschichten übers Glücklichsein.
Phnom Penh: "Charming City" im Aufbruch
Wer heute nach Phnom Penh reist, findet auf den ersten Blick eine moderne asiatische Großstadt vor: mit goldenen Tempeln, großen Sportwagen und amerikanischen Fast-Food-Ketten. Eine zehnminütige Tuk-Tuk-Fahrt eröffnet eine andere Perspektive: Auf dem Markt herrschen auch mehr als 30 Jahre nach Beendigung der Rote-Khmer-Herrschaft noch ärmlichste Verhältnisse.
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Birte Schmidt erzählt Reisegeschichten übers Glücklichsein.
Als die kleine zierliche Frau ihr Beil hebt und kräftig zuschlägt, hat die Totenstarre bei ihrem Opfer längst eingesetzt. Platsch macht es, als der Kopf im Matsch landet. Blut spritzt hervor, und auch die Bananen am Nachbarstand kriegen ein paar Tropfen ab. Der Fisch stinkt. Die kleine Frau lächelt. Und legt das Beil neben ihren nackten Füßen zur Seite.
Phnom Penh ist knapp 35 Jahre nach dem Ende der Gewaltherrschaft der Roten Khmer für kambodschanische Verhältnisse eine moderne Stadt mit zwei Millionen Einwohnern. Längst schon reihen sich amerikanische Fast-Food-Ketten ganz selbstverständlich am Preah Sisowath Quay auf, an einer der Hauptverkehrsstraßen der Stadt direkt am Fluss Tonlé Sap. Für die hippe Jugend gibt es stylische Cafés, in denen junge Khmer bei Karamell-Macchiato den Mädchen schöne Augen machen. Historische Sehenswürdigkeiten, ein ausgeprägtes Nachtleben und Restaurants, die für wenig Geld qualitativ hochwertiges Essen anbieten, haben die Stadt neben den heiligen Stätten in Angkor zum wichtigsten touristischen Ziel Kambodschas gemacht.
"Charming City", den Namen haben sich kluge Marketing-Experten mit Schlips und Anzug in einem der großen hellen Bürobauten für die Stadt ausgedacht, und wer ihn noch nicht kennt, wird spätestens beim Eintritt ins Zentrum mit großen Lettern darauf hingewiesen. "You wanna go to Russian Market?" rufen einem die Tuk-Tuk-Fahrer beim Flanieren durch die Stadt zu. Wer das Angebot annimmt und in die leeren Seitengassen voller Wellblechhüten, Plastiktüten und Essensreste abbiegt, entdeckt einen Ort, an dem das Leben der Khmer puristischer kaum sein könnte.
Denn auf dem Markt Phsar Toul Tom Poung sucht man den Glanz der Großstadt vergebens. Stickig ist es hier überall, drinnen düster, draußen unerträglich heiß, überall eng. Die vielen Gerüche lassen keinen Platz zum Atmen. Den haben schon Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse eingenommen. Dazu stehen massenhaft alte Schemel herum, umgeben von großen Bottichen, prallgefüllten Plastiktüten, Motorrollern. Und von Schweineohren, Vergaserteilen, Duftöl und antiken Münzen. Auch Friseure und Garküchen gibt es. Dazwischen hocken Männer und Frauen, einige Minenopfer, viele Kinder im besten Schulalter unter einem riesigen Areal zerfetzter Sonnenschirme in vergilbten Farben. Wer es sich leisten kann, hat zumindest einen Tisch, auf dem er seine Ware anpreist. Viele haben einfach Plastikplanen oder große Blätter als Unterlage ausgebreitet. Reizüberfluss. Es ist laut, die Menschen unterhalten sich, die fremde Sprache macht das Exotische noch fremder.
Phsar Toul Tom Poung oder einfacher Russian Market, wie sich der Markt nach den russischen Einwanderern seit den 80er-Jahren nennt, verteilt sich auf ein riesiges Areal. Zehn Straßen ist er hoch, acht breit. Die Orientierung in Kambodschas Hauptstadt fällt leicht: Wie ein Schachbrett legen sich die Straßen über die Stadt, ungerade verlaufen von Norden nach Süden, gerade von Osten nach Westen. Je höher die Nummern, desto weiter westlich beziehungsweise südlich befindet man sich. Phsar Toul Tom Poung liegt im Süden der Stadt, zwischen der 155. und 163. Straße.
Wer hier verkauft, hat Glück gehabt, denn er hat die Schreckensherrschaft überlebt. Und er muss nicht betteln. Oder auf einer Müllkippe arbeiten. Und wird auch nicht versteckt von seinen Verwandten aus Scham über eventuelle Behinderungen. Er ist "nur" traumatisiert, ein vergessenes Opfer eines Krieges, der schon lange beendet ist, sich aber in der Seele des Landes festgesetzt hat.
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Auf dem Russischen Markt
Die Innenstadt von Phnom Penh ist zwar durchaus charmant. Auf den Märkten und in den ärmlichen Vierteln wird der Besucher jedoch mit den Traumata Kambodschas konfrontiert.
Die Mittagssonne brennt. Mitten im Getümmel wäscht eine Frau ein T-Shirt in einer blauen Schüssel voll mit braun-schlammigem Wasser. Zwei kleine Jungen und ein Mädchen tollen um die Stände herum und heben für ein paar Sekunden den ohnehin schon hohen Geräuschpegel noch an, als sie, nur mit einer Windel bekleidet, mit einem Jauchzen in eine große Pfütze springen. Es stinkt, nach Fleisch, nach Fisch, nach Müll und Dreck. Gemüsestrunke liegen im Matsch auf dem Gehweg. An rostigen Haken brät Fleisch vor sich hin.
Bürgerkrieg und Massenmord haben Spuren hinterlassen. Ziemlich genau 40 Jahre ist es jetzt her, dass die Roten Khmer mit ihrem Anführer Pol Pot die Herrschaft über Kambodscha übernahmen. Und mit dem Ziel der Errichtung eines kommunistischen Bauernstaates rund zwei Millionen Menschen, also ein Drittel der Bevölkerung, systematisch tötete. Seit der Vertreibung der Roten Khmer durch vietnamesische Truppen Anfang 1979 erholt sich Phnom Penh stetig. Die Obdachlosen auf den Straßen der Innenstadt sind verschwunden, und mit ihnen ihre Kühe, Schweine und Hühner. Zurückgedrängt in die Elendsviertel am Rande der Stadt, wo sie unsichtbar bleiben für die Touristen, die dem Land mit ihrem Geld den Weg in die Zukunft ebnen.
Die kleine Frau mit dem toten Fisch kniet jetzt am Boden, so wie es Kinder oft tun. Ihr gelber Hut schützt sie vor der Hitze und dem Staub, in der rechten Hand hält sie ein Messer, die linke steckt in einem gelben Plastikhandschuh, er ist blutverschmiert. Doch die nackten Füße in blauen Flipflops sind inzwischen von den blutigen Schuppen des Fisches übersät. Rechts vor ihr steht eine alte grüne Waage, links in einem Bottich warten neun weitere Fische auf ihre Exekution. In einer kleinen Schüssel auf dem matschigen Boden sammelt sie die Innereien.
Kambodscha ist ein Land auf der Überholspur, auf dem Weg aus der Hölle zurück in die Zukunft, seit internationale Firmen es als Billiglohnland entdeckt haben. Die Verbrechen der Vergangenheit sind nie aufgearbeitet worden, kaum ein Täter wurde verurteilt. Die Zeit soll die Wunden heilen. Geblieben ist eine traumatisierte Gesellschaft, in der Gewalt die gängige Lösung für die meisten Probleme ist.
Vor einem riesigen Container am Rande des Marktes fegt eine Frau mit blauem Shirt und blumigem Sonnenhut die stinkenden Überreste aus Fisch, Fleisch, Abwasser und Dreck zusammen. Die Überbleibsel des Elends. In einem lichtdurchfluteten Fast-Food-Restaurant im Zentrum von Phnom Penh bestellt die Jugend zeitgleich Chicken Wings.
Mein Tipp: Wer sich für die besondere Geschichte des Landes interessiert, sollte unbedingt das wunderbare Buch "Der weite Weg der Hoffnung" von Loung Ung lesen.
Bild zu Birte Schmidt
Bloggerin Birte Schmidt
Als Kind wollte sie unbedingt Astronautin werden und ins All fliegen, heute reist sie lieber mit der Transsibirischen Eisenbahn bis Peking. Birte Schmidt, Journalistin und Nordlicht mit Fernweh, erzählt Reisegeschichten übers Glücklichsein.