Prozess um Terroranschlag von Halle Hörbares Raunen: Neonazi-Killer Balliet von Sturmhauben-Männern ins Gericht geführt
Am 9. Oktober 2019 versuchte der schwerbewaffnete Juden-Hasser Stephan Balliet, die Synagoge von Halle zu stürmen und dort ein Blutbad anzurichten. Als sein Anschlags-Plan scheiterte, erschoss er zwei Menschen. Die Horror-Tat streamte er live ins Internet. Am Dienstag beginnt der Prozess gegen den Killer. Alle Entwicklungen verfolgen Sie im News-Ticker von FOCUS Online.
Am heutigen Dienstag beginnt der Prozess gegen Stephan Balliet, der in Halle zwei Menschen erschoss. Zuvor soll er ein Blutbad in einer Synagoge geplant haben.
Der 28-Jährige muss sich wegen zweifachen Mordes und der versuchten Ermordung von 68 Menschen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg verantworten. Hinzu kommen elf weitere Tatvorwürfe der Bundesanwaltschaft, darunter Volksverhetzung.
FOCUS Online verfolgt den Gerichtsprozess vor Ort.
Richterin fragt, ob Balliet sie veralbern wolle
16:28 Uhr: Stephan Balliet schwadroniert: "Es gibt keinen friedlichen Weg für Weiße, sich gegen die multikulturelle Entwicklung zu wehren." Im Umkehrschluss bedeutet das aus seiner Sicht: Es geht nur mit Gewalt. Auf den abermaligen Hinweis der Richterin, dass in Balliets Heimatort so gut wie keine Flüchtlinge leben, reagiert der Angeklagte missmutig. Er moniert, nirgendwo in Deutschland (nicht mal in einem ostdeutschen Dorf) könne er unter Weißen, also unter seinesgleichen, leben. Die Richterin bemerkt süffisant, in der Abgeschiedenheit seiner Gefängniszelle dürfte er ja keine Probleme mit anderen Menschen haben. Daraufhin Balliet, sehr emotional: "Auf dem gesamten Gang sind nur Muslime." Er fragt die Richterin, ob sie ihn veralbern wolle.
Angeklagter schockiert weiter mit Hetze über Araber und Juden
16.10 Uhr: Balliet erklärt, er habe den jungen Mann im Döner-Imbiss um sein Leben flehen hören, aber das sei ihm egal gewesen. "Es ist egal, ob da jemand was sagt, man schreckt nicht zurück", so Balliet. Weil die Richterin immer wieder ungläubig nachfragt, sagt er provokant: "Ich glaube, Sie waren noch nie in einer solchen Situation." Die Richterin: War es ihr Plan, alle Menschen im Döner-Imbiss zu töten? Antwort: "Wenn es geht, auswählen. Einzelfallentscheidung." Sein Ziel auch bei der späteren Flucht aus dem Restaurant sei gewesen: "So viele Schwarze und Muslime auf der Straße töten." Dann kam die Polizei. Er habe keine Angst gehabt, nur ein mulmiges Gefühl. Für ihn galt das Motto: "Entweder gewinnen oder sterben. Ich bin nicht suizidal, ich will nur meine Feinde bekämpfen."
15:50 Uhr: Der Angeklagte ist wieder im Saal, die Verhandlung geht weiter. Stephan Balliet schildert die Geschehnisse in dem Döner-Imbiss aus seiner Sicht. Er sei reingekommen und habe links einen Mann gesehen. "Ich ziele mit der Maschinenpistole auf ihn, schieße, sie klemmt." Die Ladehemmungen hätten ihm "großen Stress bereitet". Etwa eine Minute habe er versucht, die Waffe wieder flott zu machen. Dann habe er einen jungen Mann gesehen, der sich zwischen zwei Kühlschränken versteckt hielt. Er habe "schwarzes krauses Haar" gehabt. "Ich bin davon ausgegangen, dass diese Person ein Muslim ist." Wieder hetzt Balliet gegen Araber und Juden. "Nach Arabern in der Stadt zu suchen, war das Beste, was ich für den Kampf noch tun konnte", sagt er. Die Richterin wendet ein, das Opfer sei aber ein Deutscher gewesen. "Wenn er ein Muslim gewesen wäre, hätte ich überhaupt kein Problem gehabt, ihn zu töten." So tue es ihm leid.
"Wissen Sie, was für Leute in der Regel in Döner-Läden gehen?"
14.35 Uhr: Sicherheitskräfte legen Stephan Balliet wieder Handfesseln an und führen ihn aus dem Saal. Der Prozess wird in einer Stunde fortgesetzt.
14.32 Uhr: Balliet spricht über seine gescheiterten Versuche, die Eingangstür der Synagoge aufzutreten, aufzuschießen, aufzusprengen. Die Richterin: "Fühlen Sie sich als Versager?" Er: "Es ist offensichtlich so." Dann kommt die Sprache auf seinen Mordanschlag in einem Döner-Imbiss. Die Richterin: "Waren Sie schon mal in einem Döner-Imbiss?" Er: "Früher, als Jugendlicher." Ob er wisse, welche Leute dort in der Regel hingehen. Balliet: "Größtenteils Leute, die keine Probleme mit Muslimen haben." Die Richterin hält ihm entgegen: "Es sind Leute, die gern einen Döner essen."
Balliet: Hätte er Passantin nicht erschossen, "hätten mich alle ausgelacht"
14.23 Uhr: Stephan Balliet spricht über die kaltblütige Ermordung von Jana L. (40), die ihn auf der Straße vor der Synagoge angesprochen und sich bei ihm beschwert hatte. Er streckte sie mit Schüssen in den Rücken nieder ("Ich kann ja nichts dafür, dass sie mir den Rücken zudreht"), lief weg, kehrte zurück und schoss nochmals auf die am Boden liegende Frau. Dazu sagt Balliet im Prozess: "Es war zur Sicherheit. Wenn man etwas macht, dann muss man es auch durchziehen!"
Hätte er sie nicht erschossen, "hätten mich alle ausgelacht", erklärt Balliet unter Verweis auf die Liveübertragung der Tat im Internet. Die Richterin: "Haben Sie kein Mitleid? Kennen Sie so etwas?" Sie fragt, wie er sich fühlen würde, wenn seine Mutter erschossen werden würde. Er: "Schlecht." Und weiter: "Ich habe viele Weiße angeschossen. Ich wollte das nicht."
13.57 Uhr: Balliet wird gefragt, ob es eine Art Startsignal, einen Auslöser für seine Tat gegeben habe. Er antwortet: "Der Anschlag im neuseeländischen Christchurch am 15. März 2019. Balliet: "Es wehrt sich ein weißer Mann, obwohl er nicht gewinnen kann. Er hat es selbst in die Hand genommen." Das habe ihm imponiert. Er sagt: "Die einzige Möglichkeit, seine Existenz zu sichern, ist, sich auszurüsten und zu kämpfen." Während seiner Ausführungen hetzt er weiter unentwegt gegen Juden und die "mulitkulturelle Entwicklung" in Deutschland. Er gehöre zu jenen Männern, die sich dafür einsetzten, dass "Europa weiß bleibt", so Balliet. Im April/Mai 2019 habe er sich entschlossen, die Synagoge in Halle anzugreifen. Er wusste genau, dass dort am höchsten jüdischen Feiertag viele Gläubige versammelt sein würden.
"Niemals freiwillig": Neonazi-Killer Balliet will seine Schusswaffen nicht abgeben
13.43 Uhr: Auf die Frage der Richterin, ob er ein Einzelgänger sei: "Ja, ich denke schon." Wie er sich dabei fühle? "Super." Seine Wohnung habe er nur verlassen, um in Baumärkten Zutaten für den Bau von Waffen und Sprengsätzen zu kaufen.
13.33 Uhr: Balliet spricht über seine selbstgebauten Schusswaffen: "Ich habe sie zur Selbstverteidigung gegen Muslime und Schwarze gehabt." Dann beharrt er darauf, dass er die von den Ermittlern beschlagnahmten Waffen zurückbekommt. Auf die Frage der Richterin, ob er die Waffen freiwillig herausgeben würde, sagt er: "Ich verzichte nicht freiwillig auf irgendwas - auch nicht auf meine Waffen!" Er wolle sie seiner Familie überlassen, die solle die Gewehre und Pistolen dann verkaufen - um mit dem Geld den "entstandenen Schaden" wiedergutzumachen.
Balliet wettert gegen deutsche Flüchtlingspolitik: "Ich bin wütend!"
13.26 Uhr: Immer wieder wettert Balliet gegen die deutsche Flüchtlingspolitik: "Ich bin wütend, ich bin wütend!", ruft er ins Mikrofon. "Jetzt werden die Feinde ins Land gelassen, ohne jeden Widerstand!" Er sagt über Flüchtlinge: "Es sind Eroberer aus dem muslimischen Kulturkreis." Die Richterin fragt den Angeklagten, welche persönlichen Nachteile ihm durch Flüchtlinge entstanden seien und wie viele Flüchtlinge in seiner Heimatgemeinde Benndorf (rund 1000 Einwohner, Landkreis Mansfeld-Südharz) leben würden. Er antwortet patzig: "Ich führe keine Statistik."
Balliet sagt weiter: "Ich bin eine Person, die am unteren Rand der Gesellschaft steht." Die Flüchtlinge würden ihn "ganz aus der Gesellschaft rausdrängen". Dann behauptet er: "Man kann seine Meinung in Deutschland nicht frei sagen." Die Richterin widerspricht ihm energisch.
13.07 Uhr: Erstmals greift die Richterin ein und droht Balliet, ihn von dem Verfahren auszuschließen. Sie ermahnt den Angeklagten, im Gericht "keine menschenverachtenden Äußerungen" zu machen. Zuvor hatte Balliet erklärt: "Nach 2015 habe ich mich entschieden, nichts mehr für diese Gesellschaft zu tun, die mit Juden und Negern durchsetzt ist." Ein Satz, der nicht nur die Richterin fassungslos macht.
Prozess um Halle-Anschlag: Nach Frage der Richterin lacht Balliet hämisch
13.02 Uhr: Die Richterin will wissen, wie er gewohnt habe. Balliet antwortet: In einem Plattenbau, die Mieter über ihm seien unsauber gewesen, es habe vor Insekten gewimmelt. Er redet über seine lange Krankheit, noch heute habe er gesundheitliche Probleme. Die Richterin: Wie waren Ihre Pläne nach der Krankheit? "Ich hatte keine mehr." Richterin: Ab wann ging es Ihnen wieder gut? Balliet lacht: "Ha, ha, ha. Keine Antwort."
Balliets einziges Hobby: "Internet"
12.53 Uhr: Balliet sagt auf die Frage der Richterin zu seinen familiären Verhältnissen: "Das ist unwichtig!" Sein Werdegang spiele für die Tat keine Rolle, so der Angeklagte: "Ich will nicht über Privatsachen reden." Als die Richterin nachhakt und erklärt, Kindheit und Jugend seien für die Einordnung und Aufklärung der Tat wichtig, entgegnet er: "Man fragt sich natürlich, wie man solche Taten verhindern kann. Daran habe ich kein Interesse!" Immerhin: Sein Lieblingsfach in der Schule war Biologie, er habe "keine Freunde" gehabt, sein einziges Hobby: "Internet".
12.47 Uhr: Nun erteilt die Richterin Stephan Balliet das Wort.
Bevor Balliet Passantin erschoss, nannte er sie "Schwein"
12.44 Uhr: Die Anklage wird verlesen. An einem Pult in der Nähe des Richtertischs stehend schildert Bundesanwalt Kai Lohse die Tatvowürfe gegen Balliet. Dabei beschränkt er sich auf das "wesentliche Ergebnis" der Ermittlungen. Es ist auf 16 Seiten zusammengefasst, die eigentliche Anklageschrift umfasst 123 Seiten. Lohse erklärt, aus Juden-Hass habe Balliet in der Synagoge von Halle eine "möglichst große Anzahl von Menschen töten" wollen.
Detailliert beschreibt er, wie sich Balliet den Weg in das Gotteshaus bahnen wollte - mit Schüssen auf das Türschloss und mehreren Sprenggranaten. Der Ankläger beschreibt, wie Balliet die Passantin Jana L. erschossen und dabei als "Schwein" bezeichnet hat. Balliet feuerte danach auf mehrere Passanten, aber seine Waffe funktionierte nicht richtig. Aus Frust über den gescheiterten Anschlag auf die Synagoge steuerte er einen Döner-Imbiss an, um dort möglichst viele Ausländer zu ermorden. Er tötete den 20-jährigen Kevin S., den er für einen Muslim hielt. Andere Gäste des Restaurants, die Balliet ebenfalls erschießen wollte, konnten flüchten.
Schließlich kehrte Balliet zu seinem Mietwagen zurück, feuerte auf weitere Passanten, traf sie aber nicht. Als er die ersten Polizisten wahrnahm, schoss er auf die Beamten - und wurde selbst von einer Polizeikugel am Hals getroffen. Balliet gelang es, mit dem Auto aus Halle nach Landsberg zu flüchten. Dort erpresste er sich ein Taxi als neuen Fluchtwagen. Nahe Zeitz stieß er frontal mit einem Lkw zusammen - und wurde gefasst. Stephan Balliet senkt, während die Anklage verlesen wird, nicht ein einziges Mal den Kopf oder zeigt sonst irgendeine Regung. Um 12.43 Uhr endet die Verlesung.
Angeklagter im Halle-Anschlag: "Ich möchte eine Aussage machen!"
12.07 Uhr: Stephan Balliet auf Nachfrage der Richterin: "Ich möchte eine Aussage machen!"
12.06 Uhr: Ein Beamter nimmt Balliet die Handfesseln ab, die Fußfesseln muss er anbehalten. Drei Wachmänner bleiben aus Sicherheitsgründen direkt hinter dem Angeklagten stehen, während die Vorsitzende Richterin die Verhandlung eröffnet. Balliet dreht sich kurz nach links und schaut in den Bereich, wo Zuschauer und Journalisten sitzen. Sein Blick ist nichtssagend. Ansonsten schaut der 28-Jährige in den ersten Minuten vor sich hin - in Richtung der beiden Anklagevertreter der Bundesanwaltschaft.
Balliet wird von Männern mit Sturmhauben ins Gericht gebracht
11.52 Uhr: Blitzlichtgewitter und ein deutlich hörbares Raunen im Gericht: Der Angeklagte Stephan Balliet betritt den Saal, mehrere bewaffnete, mit Sturmhauben maskierte Justiz-Wachleute bringen ihn aus seinem streng gesicherten Verwahrraum an seinen Platz auf der Anklagebank. Er ist an Händen und Füßen gefesselt.
Der 28-Jährige (kahl rasierter Schädel, Jeans, Mundschutz) sitzt während der Verhandlung zwischen seinen beiden Verteidigern. Die Plätze sind durch Plexiglasscheiben voneinander getrennt. Gleich kommen die Richterinnen und Richter. Dann eröffnet die Vorsitzende das Verfahren - mit fast zweistündiger Verspätung.
Zwei dicke Aktenordner: Balliet will offenbar gut vorbereitet in Verhandlung gehen
10.45 Uhr: Eigentlich hätte der Prozess längst laufen müssen, doch noch immer sind bei weitem nicht alle Beteiligten im Saal C24. Die Kontrollen fallen außerordentlich streng aus. Der FOCUS-Online-Reporter musste, wie alle anderen auch, zwei Detektor-Schleusen passieren und wurde zweimal abgetastet bzw. mit Hand-Detektoren gescannt, also penibler als an internationalen Flughäfen. Fast alle Nebenkläger mit ihren Anwälten sind mittlerweile auf ihren Plätzen.
Auch zwei Sachverständige - die Psychologin Lisa John und der Psychiater Norbert Leygraf - haben ihre Sitzplätze eingenommen. Vor der Richterbank unterhalten sich die beiden Vertreter der Anklage, Bundesanwalt Kai Lohse und Stefan Schmidt (Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof BGH) mit Rechtsanwalt Hans-Dieter Weber, der den Angeklagten Stephan Balliet verteidigt. Auf dem Tisch der - noch leeren - Anklagebank liegen zwei dicke Aktenordner. Balliet will offenbar gut vorbereitet in die Verhandlung gehen.
09.46 Uhr: Der Prozessbeginn verzögert sich wegen der strengen Sicherheitskontrollen, der geplante Start um 10.00 Uhr ist nicht mehr zu halten. Noch immer warten, teils seit mehr als zwei Stunden, Dutzende Journalisten und Kamerateams, aber auch Dolmetscher, Sachverständige, einige Nebenkläger und Zuschauer in langen Schlangen vor dem Justizgebäude. Durch einen Nebeneingang kam soeben der Grünen-Politiker Cem Özdemir ins Gericht, der den Prozess offenbar als Zuschauer verfolgen will. Er musste sich nicht in die Menge der Wartenden einreihen.
Prozess zum Anschlag in Halle: Balliet wird Erklärung abgeben
09.00 Uhr: Einer der beiden Balliet-Pflichtverteidiger, Thomas Rutkowski, sagte vor dem Gerichtsgebäude zu FOCUS-Online: "Unser Mandant wird heute eine Erklärung abgeben. Er hat sich intensiv mit den Akten beschäftigt und ist sehr aufgeregt." Zum Inhalt der Erklärung wollte der Verteidiger keine Angaben machen.
Balliet wird bei Transport mit Hand- und Fußfesseln gesichert
08.05 Uhr: Eine Kolonne aus rund einem Dutzend Polizeiwagen rollt mit Blaulicht und Sirenen auf den Innenhof des Landgerichts Magdeburg. In einem der Wagen: Neonazi-Killer Stephan Balliet. Der 28-Jährige , der als hochgefährlich gilt, war mit einem Polizeihubschrauber von der JVA Burg auf den Flugplatz Magdeburg gebracht worden. Während des Transports war er mit Hand- und Fußfesseln gesichert.
08.00 Uhr: Um 10 Uhr beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Halle-Attentäter Stephan Balliet vor dem Oberlandesgericht Naumburg. FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer berichtet von vor Ort.
Halle-Attentäter Balliet gilt als hochgefährlich
Der 28-jährige Balliet muss sich wegen zweifachen Mordes und der versuchten Ermordung von 68 Menschen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg verantworten. Hinzu kommen elf weitere Tatvorwürfe der Bundesanwaltschaft, darunter Volksverhetzung.
Aus Platz- und Sicherheitsgründen findet die Verhandlung im Landgericht Magdeburg statt – in Sachsen-Anhalts größtem Gerichtssaal C 24 (rund 400 Quadratmeter). Er wurde eigens für den Prozess umgebaut, die Schutzmaßnahmen massiv verstärkt. Kosten: rund 300.000 Euro.
Balliet gilt als hochgefährlich. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Halle war es ihm am Pfingstsamstag gelungen, seinen Aufsehern für kurze Zeit zu entkommen. In einem unbewachten Moment auf dem Freistundenhof kletterte er über einen 3,40 Meter hohen Zaun in den Innenbereich der Anstalt. Dort versuchte er, offene Türen und Gullydeckel zu finden, um zu flüchten, konnte aber rechtzeitig gestoppt werden.
Terror-Angeklagter Balliet: Fußfesseln, zwei extra Wachleute
Um solche Zwischenfälle von vornherein auszuschließen, hat das Gericht für die 18 Verhandlungstage strengste Schutzmaßnahmen angeordnet. So muss Balliet während des Transports von der JVA zum Sitzungssaal mit Hand- und Fußfesseln gesichert werden. Im Gericht selbst bleiben die Fußfesseln dran, mindestens zwei Wachleute passen auf ihn auf.
Das Urteil gegen Balliet, der laut Bundesanwaltschaft aus einer „antisemitischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Gesinnung“ heraus gehandelt hat, wird eine Frau sprechen: Ursula Mertens. Die Vorsitzende Richterin führt seit mehr als 20 Jahren Strafprozesse. Ihr bekanntester Fall: Der Reichsbürger Peter Fitzek („König von Deutschland“). Sie wird von vier weiteren Berufsrichterinnen und -richtern unterstützt.
Die Bundesanwaltschaft hat für den Prozess 147 Zeugen benannt, darunter 68 Ermittlungsbeamte. Hinzu kommen mehrere Sachverständige aus den Bereichen Waffentechnik, Rechtsmedizin und Psychiatrie.
Prozess in halle: 44 Saalplätze für Medien ausgelost: FOCUS Online ist dabei
Für den Prozess, der bis zum 14. Oktober 2020 dauern soll, haben sich rund 200 nationale und internationale Medienvertreter angemeldet. Allerdings gibt es für Berichterstatter im Saal nur 44 Sitzplätze, weitere 50 sind für Zuschauer reserviert.
Über die Vergabe der begehrten Medien-Plätze hat das Gericht im Losverfahren entschieden. Am Ende stand fest: FOCUS Online ist im Saal ebenso mit dabei wie ARD, ZDF, „Süddeutsche Zeitung“, „FAZ“ oder „Zeit“. Auch Reporter aus den USA, Israel, der Schweiz und den Niederlanden („New York Times“, „Israel Hayom“, „Neue Zürcher Zeitung“, „De Telegraaf“) werden direkt aus dem Verhandlungssaal berichten.
Gericht verbietet "Vollverhüllung oder Vollverschleierung"
Für sämtliche Prozessbeteiligte - darunter 43 Nebenkläger und deren 21 Rechtsanwälte - hat das OLG Naumburg massive Sicherheitskontrollen angeordnet.
Neben der obligatorischen Weisung, wonach keine Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände mitgebracht werden dürfen, wurde ein Verbot der „Vollverhüllung oder Vollverschleierung“ erlassen. Damit will das Gericht sicherstellen, dass „mögliche Störer“ leichter identifiziert werden können. Ebenfalls untersagt ist „das demonstrative Vorzeigen“ von Symbolen oder Darstellungen „politischer, weltanschaulicher oder religiöser Bekenntnisse“.
Zuschauer, Journalisten, Zeugen, Dolmetscher, Sachverständige, Verteidiger, Nebenkläger und deren Rechtsanwälte werden am Einlass penibel kontrolliert (Abtasten der Kleider, Metalldetektorschleuse, bei Bedarf Durchsuchungen am Körper). Zuschauer müssen ihre Ausweise am Eingang kopieren lassen – aus zwei Gründen.
Zum einen will das Gericht etwaige Störer im Nachgang leichter ausfindig machen können. Zum anderen kann es mögliche Corona-Infektionsketten auf diese Weise besser verfolgen. Zum Schutz vor Ansteckungen ist im Gerichtssaal das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes Pflicht, ausgenommen sind nur die Verfahrensbeteiligten.
Teuflischer Plan: "Anschlag auf Bürger jüdischen Glaubens"
In ihrer 123-seitigen Anklageschrift geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass Stephan Balliet am 9. Oktober 2019 „einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens“ geplant hatte. Demnach fuhr er, ausgerüstet mit acht Schusswaffen und mehreren Sprengsätzen, zur Synagoge in der Humboldtstraße in Halle (Saale). „Der Angeschuldigte wollte sich zu dem Gotteshaus Zutritt verschaffen und möglichst viele der dort Anwesenden töten.“ Zu diesem Zeitpunkt hielten sich in der Synagoge 52 Gläubige auf.
Wie von Beginn an geplant, filmte der Angeschuldigte das gesamte Tatgeschehen mit einer Kamera und verbreitete die Aufnahmen während eines Live-Streams im Internet. Diese Aufnahmen sollen nach bisheriger Planung am ersten Verhandlungstag im Gericht vorgeführt werden.
Zudem veröffentlichte er unmittelbar vor der Ankunft an der Synagoge Internet-Links zu drei von ihm selbst verfassten Dokumenten. In diesen erläuterte er unter anderem seinen Tatplan und seine Tatmotivation. „Hierdurch wollte der Angeschuldigte seinen Anschlag einer breiten Öffentlichkeit präsentieren und Nachahmer für vergleichbare Taten gewinnen“, so die Anklage.
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Anschlag in Halle: Täter scheiterte an verschlossener Eingangstür der Synagoge
Nach seiner Ankunft vor der Synagoge ging Balliet davon aus, das Gebäude „alsbald betreten und sogleich mit der Tötung der Gläubigen beginnen zu können“, so die Bundesanwaltschaft. Allerdings sei es ihm nicht gelungen, die verschlossene Eingangstüre der Synagoge zu öffnen. „Daher warf er eine Sprenggranate auf das dortige Grundstück. Hierdurch wollte er sich dort aufhaltende Gläubige töten oder diese zur Flucht aus der Synagoge bewegen, um sie anschließend erschießen zu können.“
Nachdem Balliet registriert hatte, dass seine Pläne nicht aufgehen würden, richtete er seine vollautomatische Schusswaffe auf eine zufällig vorbeikommende Frau, die ihn zuvor auf sein Verhalten angesprochen hatte. Die 40-jährige Jana L. starb durch mehrere Schüsse in den Rücken. Anschließend zielte Balliet mit seiner Maschinenpistole auf mehrere Passanten, doch seine Waffe hatte eine Ladehemmung.
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Entschlossen, "Menschen mit Migrationshintergrund zu töten"
„Frustriert über diesen weiteren Misserfolg, fasste der Angeschuldigte den Entschluss, den Ort des Geschehens zu verlassen und Menschen mit Migrationshintergrund zu töten“, heißt es in der Anklage. Zunächst steuerte er einen Döner-Imbiss an und versuchte, die Anwesenden mit einer Sprenggranate zu töten. Dies misslang.
Balliet zielte daraufhin auf mehrere Menschen, doch aus seiner defekten Maschinenpistole löste sich weiterhin kein Schuss. Schließlich tötete Balliet den 20 Jahre alten Kevin S., den er fälschlicherweise für einen Moslem hielt, mit Schüssen aus einer Pistole sowie einer Schrotflinte.
Nach einer abenteuerlichen Flucht mit dem Auto – Balliet wurde von einer Polizeikugel am Hals getroffen, später erpresste er sich ein Taxi als Fluchtwagen – wurde er auf der Bundesstraße 91 in Richtung Zeitz gefasst. Er war frontal mit einem Lastkraftwagen zusammenstoßen.
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Video und Geständnis: Beweise gegen Halle-Attentäter Balliet erdrückend
Die Beweise gegen Balliet sind erdrückend. Allein das 35-minütige, von ihm selbst gedrehte und ins Internet gestellte Video lässt keine Zweifel an seiner Täterschaft aufkommen. „Mit dem Filmen seines Verbrechens hat er die Beweisführung selbst übernommen“, hatte Balliets Pflichtverteidiger Hans-Dieter Weber aus Karlsruhe wenige Tage nach der Tat gegenüber FOCUS Online erklärt. Balliet wisse, „dass er für seine Tat zur Rechenschaft gezogen wird“. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe plus Sicherungsverwahrung.
Der Todesschütze von Halle hat außerdem ein umfassendes Geständnis abgelegt. Vor dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe erklärte Stephan Balliet, er habe die Tat alleine geplant und begangen, es gebe weder Mittäter noch Mitwisser oder Helfer.
Balliet fühlte sich von Juden beherrscht und ausgebotet
Als Grund für sein Verbrechen gab Balliet, der zuletzt bei seiner Mutter wohnte und arbeitslos war, Hass auf Juden an. Sie trügen die Schuld an seiner verkorksten Existenz. Er fühle sich von ihnen beherrscht und ausgebotet: „Die drängen mich aus meinem Leben“, so Balliet.
Auf einschlägigen Internetseiten fand er vielfach Bestätigung für seine kruden Thesen. Seine anti-jüdische Einstellung verfestigte sich immer mehr. Im stillen Kämmerlein zimmerte sich Stephan Balliet ein Weltbild zusammen, das auf Verschwörungstheorien basierte und in dem Gewalt gegenüber Andersdenken einen festen Platz hatte.
Attentäter radikalisierte sich in Anonymität des Internets
Dabei verzichtete der Mann aus Sachsen-Anhalt weitgehend darauf, sich mit anderen auszutauschen, ob real oder virtuell. Er bewegte sich ganz bewusst in der Anonymität - und war damit für die Sicherheitsbehörden wohl unsichtbar.
Anwalt Weber ist sicher, dass sich Stephan Balliet „schon seit längerer Zeit“ mit einem Anschlag auf Juden befasst und sich entsprechend vorbereitet hat. Einen bestimmten Anlass, gerade am 9. Oktober loszuschlagen, gab es offenbar nicht. Vor dem BGH erklärte sein Mandant: „Der Entschluss ist erst gefasst, wenn Du losfährst und nicht mehr umkehrst.“
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